„Gemeinsam mit Unternehmen die Potenziale der Digitalisierung für die Aus- und Weiterbildung ausschöpfen“

Was bewegt die berufliche Bildung? (2)

Unsere Reihe zum Wissenschaftsjahr 2018 – Arbeitswelten der Zukunft

FRAGEN AN Markus Tränkle von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stutttgart, der für den Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) im November 2015 Unternehmen in Baden-Württemberg zu den Auswirkungen von Wirtschaft 4.0 auf die Aus- und Weiterbildung befragt hat. Die Umfrage gibt Aufschluss darüber, wie sich die Digitalisierung auf die Aus- und Weiterbildung auswirkt, und welche Unterstützung Unternehmen bei den erforderlichen Veränderungsprozessen benötigen.

Markus Tränkle, Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stutttgart

Herr Tränkle, wie schätzen die befragten Ausbildungsbetriebe den digitalen Wandel für ihr Unternehmen ein?

Auswirkungen von Wirtschaft 4.0 auf die Qualifikationen von Mitarbeitern (Tortendiagramm)

Als wir die Umfrage Ende 2015 gemacht haben, zeigten unsere befragten Ausbildungsbetriebe grundsätzlich ein großes Interesse am Thema, gleichzeitig herrschte aber eine abwartende Zurückhaltung, ja Gelassenheit vor – man wollte nichts überstürzen und beobachtete die Entwicklungen lieber noch. Das zeigte sich auch in der Einschätzung der bestehenden Berufsbilder: Mit diesen lasse sich sehr gut arbeiten, so der Tenor, man müsse sie aber gegebenenfalls an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Gibt es Unterschiede hinsichtlich der Betriebsgröße und der Branche?

Je größer das Unternehmen, desto mehr hatte man sich schon auf den Wandel eingestellt – mit Stabsstellen oder ganzen Abteilungen, die sich mit der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die Abläufe im Unternehmen auseinandersetzen. Die kleineren Betriebe haben oft nicht die Manpower dafür und sahen auch für sich die Notwendigkeit noch nicht. Die großen Unternehmen waren im Denken und in der Umsetzung also weiter als die kleinen – das ist sicherlich noch immer so. Bei den Branchen sind naturgemäß die IT-Unternehmen vorne dran. Und auch im Handel wurde relativ schnell reagiert: Da kommt in diesem Jahr nach einer knapp vierjährigen Entwicklungszeit ein neuer Ausbildungsberuf: Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce.

Welche Konsequenzen ziehen die Betriebe in Bezug auf Ausbildung / Qualifikation ihres Personals?

Zum Zeitpunkt der Umfrage vor rund zwei Jahren hatten viele sich darüber noch keine grundlegenden Gedanken gemacht, sie gingen davon aus, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die notwendigen Qualifikationen mitbringen. Aber der größte Teil der Befragten war auch bereit, notwendige Qualifizierungen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung anzubieten und als Ausbildungsbetriebe entsprechend zu investieren. Zum Zeitpunkt der Umfrage hatten sie aber noch keine konkreten Vorstellungen, an welchen Stellschrauben sie drehen wollen. Jetzt, zwei Jahre später sieht das schon anders aus: Es gibt sehr konkrete Veränderungen in der Ausbildungspraxis, wie digitale Berichtshefte oder digitale Prüfungsprozesse. Die Ausbilderinnen und Ausbilder stellen Ausbildungsplanung und Lernen digitaler auf und bieten Lernoptionen über Tablet, Apps und Videos an. Dabei greifen sie auf schon Bestehendes zurück, denn das Entwickeln neuer Ausbildungsinhalte oder Tools ist aufwändig und teuer und geschieht meist in Großunternehmen, bei Lehrinstituten oder in Schulen.

Wie kann man sich das digitale Lernen im Betrieb vorstellen?

Nehmen wir mal als Beispiel die Informationsrecherche und -verarbeitung, eine für die künftige Arbeitswelt ganz zentrale Kompetenz. In vielen Firmen formulieren Ausbilder konkrete Aufträge für ihre Azubis: „Recherchier‘ mal im Internet, wie das funktioniert, überprüfe dieses Wissen auf seinen Wahrheitsgehalt, fasse deine Ergebnisse zusammen und erstelle eine kurze Präsentation.“ Natürlich müssen Ausbilder die Jugendlichen mit Tipps und Hilfestellungen bei diesem Prozess unterstützen.

Und wie sieht es mit den Fähigkeiten der Ausbilder und Fachkräfte selbst im Hinblick auf die Digitalisierung aus?

Bei einem Ausbilder mit 40 Azubis in der Automobilindustrie ist die Kompetenz im Umgang mit digitalen Lernmethoden und -medien wahrscheinlich höher, als bei einem Ausbilder im Handel, der vielleicht nur drei Auszubildende hat. Der Bedarf an Nachqualifizierung ist also individuell ganz unterschiedlich.  Und es ist definitiv auch eine Generationenfrage: Ausbilder mit 40-jähriger Berufserfahrung hinterfragen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten nicht in dem Maße, wie es die jüngere Generation tut. Bei der IHK Region Stuttgart gibt es zum Beispiel immer mehr Leute, die für ihre Ausbildereignungsprüfung keine Präsenzseminare mehr besuchen, sondern sich das Wissen über Lernprozesse und -methoden in Blended-Learning-Angeboten oder mit Apps aneignen.

Die IHK-Umfrage „Auswirkungen von Wirtschaft 4.0 auf die berufliche Aus- und Weiterbildung“

Die Umfrage erfolgte online in der Zeit vom 2. bis 26. November 2015. Insgesamt wurden 16.055 Ausbildungsbetriebe per E-Mail angeschrieben. Teilgenommen haben 2.796 Unternehmen, das ist eine Teilnahmequote von 17,4 %. Die hohe Beteiligung lässt das große Interesse der Unternehmen an dem Themenkomplex Wirtschaft 4.0 und Berufsbildung erkennen. Die Ergebnisse der Umfrage sind online abrufbar.
(Auswirkungen von Wirtschaft 4.0 auf die berufliche Aus- und Weiterbildung, pdf, 52 Seiten)

Was hat die IHK Stuttgart letztlich mit den Ergebnissen der Umfrage gemacht?

Es hat sich deutlich gezeigt, dass die Unternehmen in Baden-Württemberg angesichts der fortschreitenden Digitalisierung Anpassungsbedarf in der Aus- und Weiterbildung sehen. Als IHK möchten wir vor allem kleineren und mittleren Unternehmen etwas an die Hand geben, um ihnen den Weg in die Wirtschaft 4.0 zu erleichtern. Deshalb haben wir im Rahmen des Jobstarter plus-Programms das Projekt „ProAW 4.0 – Prozessberatung in der Aus- und Weiterbildung 4.0“ aufgesetzt, bei dem wir direkt in die Betriebe der Region Stuttgart gehen und mit ihnen Konzepte erarbeiten. Wir eruieren gemeinsam Potenziale der Digitalisierung für die Aus- und Weiterbildung sowie für das Ausbildungsmarketing, definieren geeignete Maßnahmen und unterstützen und begleiten anschließend die Anpassungsprozesse. Es sind also maßgeschneiderte Konzepte, die wir anbieten – mit dem Ziel, dass auch andere Unternehmen von diesen Best-Practice-Beispielen profitieren können.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Tränkle!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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