Wie Bildungsstatistiken für die Forschung nutzbar gemacht werden können

Praktische Hinweise zum Umgang mit dem Datenangebot der Schulstatistik

Nachnutzung von Forschungsdaten (1)

DAS WORT HAT Professor Dr. em. Horst Weishaupt, ehemaliger Leiter der DIPF-Arbeitseinheit Steuerung und Finanzierung des Bildungswesens und Mitherausgeber des alle zwei Jahre erscheinenden Bildungsberichts „Bildung in Deutschland“. In seinem Beitrag stellt er Potenzial und Hürden der Schulstatistiken dar und zeigt auf, wie eine Verknüpfung von Daten aus den Schulstatistiken mit anderen statistischen Angeboten die Bearbeitung spannender Forschungsfragen ermöglicht.

Professor Dr. em. Horst Weishaupt, ehemaliger Leiter der DIPF-Arbeitseinheit Steuerung und Finanzierung des Bildungswesens.

Bildungsstatistiken bieten umfangreiche Daten über Bildungsinstitutionen sowie die beteiligten Akteure und werden regelmäßig erhoben, auch im schulischen Bereich. Sie bieten damit das Potenzial Forschungsfragen mit geringem Zeit- und Ressourcen-Aufwand zu bearbeiten. Neben Wissenschaftlern können auch Studierende (bspw. für Abschlussarbeiten) von den verfügbaren Daten profitieren, da ihnen häufig der Zugang zum Feld und die Zeit für eigene Erhebungen fehlen. Trotzdem werden Daten der Bildungsstatistiken bislang selten für die Bildungsforschung genutzt.
Diese Distanz zur Bildungsstatistik kommt nicht von ungefähr, denn erst in den letzten Jahren hat sich das bildungsstatistische Datenangebot deutlich verbessert. Inzwischen stehen differenzierte – wenn auch nicht immer erschöpfende – Informationen zum Datenangebot der amtlichen Bildungsstatistik zur Verfügung. Hier werden ergänzende Informationen vorgestellt, die sehr hilfreich für Forschungsvorhaben mit Bildungsstatistiken sind. 

Einblicke in verschiedene Bildungsstatistiken

Insbesondere die Kinder- und Jugendhilfestatistik wurde 2006 erheblich ausgeweitet und liefert seitdem ein differenziertes bundesweit einheitliches Datenangebot zur Kindertagesbetreuung. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht umfangreiche Informationen zum Datenangebot des Bundes und der Länder, über die Statistischen Ämter der Länder können zusätzlich Informationen für Gemeinden und Kreise eingeholt werden. Alle Daten stehen als Excel-Dateien zur Verfügung und können für eigene Zwecke weiter bearbeitet werden.

Grundsätzlich existieren in allen Bildungsbereichen statistische Informationen über

  • die Einrichtungen nach Struktur und Trägern,
  • die Besucherinnen und Besucher der Einrichtungen (Kindergartenkinder, Schüler, Auszubildende, Hochschüler) nach individuellen Merkmalen,
  • die Gemeinde, in der die Einrichtung liegt, und die Gemeinde, in der die Besucherinnen und Besucher der Einrichtungen wohnen (häufig noch nicht verfügbar),
  • Informationen zur Art und fachlichen Struktur des Angebots,
  • zum Personal nach persönlichen Merkmalen, Qualifikation und Beschäftigungsumfang und
  • zu den öffentlichen Ausgaben.

Anregungen für eigene Fragestellungen bietet der alle zwei Jahre erscheinende Bildungsbericht, der im Kapitel C vor allem die Kinder- und Jugendhilfestatistik auswertet.Sehr hilfreich für weiterführende Informationen und gegebenenfalls auch eine Beratung ist die Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik in Dortmund, die das statistische Material nach Jugendamtsbezirken selbst aufbereitet und mit KOMDAT regelmäßig eine Publikation mit aktuellen Analysen auf der Basis der Jugendhilfestatistik veröffentlicht.
Ähnlich ist die Situation bezogen auf die Statistik zur betrieblichen Berufsausbildung, die sämtliche Auszubildende am Arbeitsort erfasst. Diese über die Ausbildungsbetriebe erhobene Statistik steht im Forschungsdatenzentrum des Bundesinstituts für Berufsbildung Nutzern zur Verfügung. Dort gibt es Kontaktpersonen, die Hilfestellung und Beratung bieten. Zentrale Auswertungsergebnisse finden sich in den jährlichen Datenreports zu den Berufsbildungsberichten.
Schließlich gibt es ein umfassendes Datenangebot zur Hochschulstatistik und eine fachliche Beratung durch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Bezogen auf die Hochschulstatistik darf das Statistische Bundesamt auch Daten über einzelne Hochschulen an Nutzer weitergeben, während in den anderen Bildungsbereichen Daten unterhalb der Landesebene nur über die Statistischen Landesämter bezogen werden können.

Das Datenangebot der Schulstatistik geht über die bundesweit veröffentlichten Informationen hinaus.

Wesentlich komplizierter als in den anderen Bildungsbereichen ist die Datensituation im Bereich der Schulstatistik. Für die Schulstatistik existiert keine bundeseinheitliche rechtliche Grundlage, sondern sie ist – wegen der Kulturhoheit der Länder – eine in den Ländern unterschiedlich geregelte Aufgabe. Es gibt zwar zahlreiche Absprachen zwischen den Ländern zu einer bundesweit einheitlichen Schulstatistik, doch ist dieses Ziel noch lange nicht erreicht. Im Wesentlichen ist bisher nur der Teil der Schulstatistik der einzelnen Länder für alle Länder verfügbar, der auch in den schulstatistischen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes enthalten ist. Selbst bei diesen Statistiken müssen die Fußnoten aber genau gelesen werden, da aufgrund der fehlenden rechtlichen Verpflichtung, Länderdaten regelmäßig an das Statistische Bundesamt zu liefern, teilweise Daten geschätzt oder aus Vorjahren übernommen werden.

Die Reihe „Nachnutzung von Forschungsdaten“ erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Verbund Forschungsdaten Bildung.

Potenzielle Fragestellungen und Hinweise zu den Datenbeständen

Die breit gefächerte Datenbasis ermöglicht vielfältige Analyseperspektiven, die über eine Verknüpfung der Daten untereinander und mit anderen Daten noch zusätzlich ausgeweitet werden können. Beispielsweise kann es von Interesse sein zu analysieren, welche Übereinstimmung in Gemeinden besteht zwischen dem Anteil der Kindergartenkinder und der Grundschülerinnen und Grundschüler mit nichtdeutscher Familiensprache (vergleichende Auswertung von Kindergarten- und Schulstatistik). Die flächendeckend in Deutschland durchgeführte gesundheitliche Schuleingangsuntersuchung wird inzwischen in vielen Regionen der Forschung zur Verfügung gestellt. In Verbindung mit der Kindertagesstättenstatistik können regionale Konzentrationen von Risikolebenslagen analysiert werden. Inzwischen gibt es auch Ansätze, die Schulergebnisse der flächendeckenden Schulleistungsuntersuchungen mit schulstatistischen Merkmalen zu kombinieren, um Ursachen für Schulerfolg zu identifizieren.

Die Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Beständen bietet vielfältige Analyseperspektiven.

Weitere Fragestellungen, die mit Bildungsstatistiken bearbeitet werden können, richten sich beispielsweise auf die mit dem Bildungsangebot erreichte Versorgung und die sachgerechte Verteilung des Angebots und dessen Personalausstattung (Daseinsvorsorge).
Aus der Sicht der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer können auch die Bildungsmöglichkeiten und die Zugänglichkeit von Angeboten untersucht werden. Unterschiede in den Angeboten und deren Nutzung nach sozialen Gruppen, Geschlecht, Nationalität, Migrationserfahrung und anderen Ungleichheitsdimensionen sind weitere zentrale Untersuchungsabsichten. Eine zusätzliche Analyseperspektive eröffnen die Daten der Bildungsfinanzstatistik in der Kombination mit Teilnehmer- oder Personaldaten.

Wer sich über das Datenangebot der Schulstatistik einen relativ breiten Überblick verschaffen möchte, der sollte sich die jährliche Veröffentlichung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen vornehmen. Leider gibt es von den anderen Ländern keine vergleichbar differenzierte veröffentlichte Darstellung der Schulsituation anhand der Merkmale der Schulstatistik.

Nur NRW bietet eine differenzierte Darstellung der Schulsituation anhand der Merkmale der Schulstatistik.

In den meisten Ländern sind vergleichbare Daten nur auf Anfrage bei den Statistischen Landesämtern zu erhalten und Nordrhein-Westfalen hält regionalisierte Daten auf Kreis- oder Gemeindeebene vor. Allerdings gibt es von allen Ländern Schulverzeichnisse, die wenigstens zentrale Angaben zu einzelnen Schulen erhalten.

Die Versorgung mit Schulangeboten im längeren zeitlichen Vergleich und im Vergleich zwischen den Bundesländern lässt sich beispielsweise sehr gut mit den vom Sekretariat der KMK bereitgestellten Daten zu Schülern, Klassen, Lehrkräften und wöchentlich erteilten Unterrichtsstunden analysieren. Die Daten stehen für Bildungsbereiche und Schularten rückwirkend ab 1992 zur Verfügung. Unterhalb der Länderebene können bei den Statistischen Landesämtern oder den Kultusministerien die gleichen Daten für Kreise, Gemeinden und gegebenenfalls auch für einzelne Schulen angefordert werden. Teilweise wird man ältere Daten nacherfassen müssen, weil sie nur als gedruckte Tabellen vorliegen. Mit diesen Daten lassen sich umfangreiche Analysen zu der Personalversorgung von Schularten, zu Unterschieden im Unterrichtsangebot und der Zahl der Schüler je Klasse im Zeit- und Ländervergleich durchführen.
Auch zur sonderpädagogischen Förderung von Schülerinnen und Schülern in Förderschulen und allgemeinen Schulen (allgemeinbildende Schulen ohne Förderschulen) stellt das Sekretariat der KMK umfangreiches Datenmaterial seit 1993 für alle Länder und sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zur Verfügung. Neben weiteren veröffentlichten Statistiken gibt es auch Daten, die das Sekretariat der KMK auf Anfrage zur Verfügung stellt. Dazu gehören insbesondere die Kursbelegungen in der gymnasialen Oberstufe.

Wo finde ich was? Ein paar konkrete Hinweise

Wer Informationen über den Unterricht in einzelnen Fächern in der Grundschule und Sekundarstufe I sucht, findet in den regelmäßigen schulstatistischen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes wenigstens Informationen über den Fremdsprachenunterricht. Obwohl das Statistische Bundesamt nur wenige Daten als Zeitreihen veröffentlicht, lohnt aber immer eine Rückfrage, ob die gewünschten Daten in Zeitreihe vorliegen.
Informationen über den Unterricht in anderen Fächern (oder fachfremd erteilten Unterricht) müssen bei den Statistischen Landesämtern erfragt werden. In einigen Ländern kann es sein, dass die Statistischen Landesämter um eine Anfrage beim Kultusministerium bitten, weil einige Kultusministerien nur den Teil des gesamten statistischen Datenbestands weitergeben, den die Statistischen Landesämter für ihre eigenen Veröffentlichungen bzw. die Weitergabe an die Bundesstatistik benötigen.

Die Schulstatistik bietet viel Spielraum für unterschiedliche Fragestellungen.

In einigen Ländern ist es möglich, Daten über die Schülerinnen und Schüler nach Wohn- und Schulort zu erhalten. Insbesondere für die Analyse der Situation sonderpädagogischer Förderung im ländlichen Raum und des Besuchs von allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in der Sekundarstufe II eignen sich diese Informationen. Es lässt sich die Bildungsbeteiligung nach Wohnort bestimmen und die Struktur der Bildungspendler analysieren.
Neben dem Geschlecht und der Nationalität (einige Länder erfassen auch mehrere Staatsbürgerschaften) werden über die einzelnen Schülerinnen und Schüler nur noch Migrationsmerkmale (im Ausland geboren, nichtdeutsche Familiensprache) erhoben. Da die Erhebungsmerkmale für den Migrationshintergrund der Schülerinnen und Schüler von der Bevölkerungsstatistik (die auch Elternmerkmale berücksichtigt) abweichen und sich zusätzlich zwischen den Ländern unterscheiden (Kemper 2017), müssen sie stets mit besonderer Sorgfalt ausgewertet werden. Neben dem Vergleich mit der Kinder- und Jugendhilfestatistik bietet sich ein Vergleich mit der Volkszählung 2011 an, die Schülerinnen und Schüler nach Wohnort, Schulart und Migrationshintergrund (in der Definition der Bevölkerungsstatistik) bis auf Gemeindeebene ausweist. Außerdem kann der Mikrozensus herangezogen werden, um auf Landesebene die Daten der Schulstatistik zum Migrationshintergrund mit der Bevölkerungsstatistik abzugleichen und Fehlinterpretationen zu vermeiden.

Diese Hinweise können nur Anregungen geben, um den Spielraum für unterschiedliche Fragestellungen, die mit der Schulstatistik untersucht werden können, anzudeuten. In den Ländern, die den Kerndatensatz der KMK oder zumindest Teile davon in Verbindung mit einer Personenkennung bereits umgesetzt haben, wären auch im Längsschnitt verknüpfbare Individualdaten verfügbar. Doch müssen entsprechende Analysen gut vorbereitet und längerfristig abgesprochen werden, weil die erforderlichen Daten bisher kaum in Forschungsdatenzentren unmittelbar für eine Nutzung bereitstehen. Doktoranden können mit diesem Datenzugang interessante weiterführende Forschungsfragen untersuchen. Andere Examenskandidaten sollten sich mit dem leichter zugänglichen Datenangebot begnügen, denn es bietet ausreichende Möglichkeiten für originelle Abschlussarbeiten und neue Forschungsergebnisse.


Literatur


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Prof. Dr. Horst Weishaupt für Deutscher Bildungsserver

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