Audio-Linkempfehlungen zum Bildungspolitischen Forum 2024
„Fachkräftemangel in der Bildung: Chancen und Perspektiven“ ist das Thema des Bildungspolitischen Forums am 11. Oktober 2024. In dieser Podcast-Folge werden wissenschaftliche Studien vorgestellt, die sich mit der Ermittlung des tatsächlichen Fachkräftebedarfs in Kita und Schulen beschäftigen und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel benennen, die sich aus wissenschaftlicher Sicht als wirksam erwiesen haben. Die Linkempfehlungen stammen alle aus dem Dossier „Personalmangel in Schulen und Kitas“ des Deutschen Bildungsservers
Einheitliche und konsistente Erfassung der Bedarfszahlen, Neuausrichtung und Optimierung der Lehrerausbildung, Verbesserung der Lehrerfortbildung, Optimierung des Seiten- und Quereinstiegs – an Vorschlägen und Empfehlungen dem Fachkräftebedarf in der Bildung entgegen zu wirken, mangelt es nicht. Das zeigen nicht nur die vielen bildungspolitischen Ideen und Initiativen auf Bundes- und Länderebene, sondern auch zahlreiche wissenschaftliche Gutachten. Christine Schumann stellt Studien und Empfehlungen aus der Bildungsforschung vor. Soviel vorab: Es ist komplex!
Und hier geht’s zum Podcast
Links zu den im Podcast vorgestellten Studien und Gutachten
- Autorengruppe Fachkräftebarometer: FACHKRÄFTEBAROMETER Frühe Bildung 2023
- Gewinnung von Nachwuchs – Bindung der Profis. Evaluation des Bundesprogramms „Fachkräfteoffensive“ (GeBiFa). Wissenschaftlicher Abschlussbericht.
- Lehrkräftemangel und -überschuss: eine unendliche Geschichte
- Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht – Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz
- Neue Lehrkräfte braucht das Land: Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für die Lehrkräfteausbildung in Deutschland 2024
- Prognose der Schüler*innenzahl und des Lehrkräftebedarfs an berufsbildenden Schulen in den Ländern bis 2030
- Dringend gesucht: Berufsschullehrer. Die Entwicklung des Einstellungsbedarfs in den beruflichen Schulen in Deutschland zwischen 2016 und 2035
- Global report on teachers. Addressing teacher shortages and transforming the profession. (UNESCO-Bericht 2024)
Lesefassung
Zwischen 20.400 und womöglich sogar bis zu 72.500 Fachkräfte werden 2025 in den Kindertagesstätten fehlen. In den Schulen wird für das Schuljahr 2025/2026 mit einer Lücke von 35.000 Lehrerinnen und Lehrern gerechnet, im Schuljahr 2030/2031 sollen es dann schon 68.000 Lehrkräfte sein, die fehlen. Und auch in den Berufsschulen wird es 2030/2031 bei einem Gesamtbedarf von 123.080 Vollzeitlehrkräften 1.460 Lehrerinnen und Lehrer zu wenig geben.
Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann. Ich greife heute das Thema des Bildungspolitischen Forums am 11. Oktober 2024 auf: „Fachkräftemangel in der Bildung: Chancen und Perspektiven“. Dazu stelle ich Ihnen einige wissenschaftliche Studien vor, die sich mit der Prognose des Bedarfs beschäftigen und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in Elementarbildung, Schule und beruflicher Bildung herausgearbeitet haben. Alle Studien sind im Dossier „Personalmangel in Schulen und Kitas“ des Deutschen Bildungsservers zu finden.
Das Dossier „Personalmangel in Schulen und Kitas“ im Deutschen Bildungsserver
Der prognostizierte Fachkräftebedarf ist erschreckend hoch, auch wenn die konkreten Zahlen – je nach Studie und Erfassungsmethode – variieren! Dass sie gar nicht so leicht zu erfassen sind, liegt an den vielen Parametern. Sie machen eine genaue Prognose ziemlich schwierig!
Es geht ja nicht nur um demographische Anhaltspunkte wie Geburtenrate oder Altersverteilung der pädagogischen Fachkräfte. Berechnet werden muss die Verteilung künftiger Lehrkräfte auf Schulformen, Bundesländer und Kommunen. Und auch Unvorhergesehenes wie beispielsweise die Anzahl der zu integrierenden geflüchteten Kindern oder auch gewünschte und geplante Schul- oder Kitareformen fließen in die Bedarfsermittlung ein. Auf der anderen Seite muss ermittelt – und ja, auch gesteuert – werden, dass eine bestimmte Anzahl junger Menschen den Beruf Lehrerin oder Erzieher auch ergreift.
Doch nun zu den einzelnen Bildungsbereichen. Wie steht es um den Fachkräftemangel in den Kitas?
Das Personal wächst und wächst, wenngleich zuletzt etwas weniger stark als in den Jahren zuvor. Das stellt die Autorengruppe des 2023 erschienenen Fachkräftebarometers fest. Fachkräfte würden das Arbeitsfeld auch nicht in Scharen verlassen, sondern wiesen – gemessen an ihrer Beschäftigungsdauer – eine vergleichsweise hohe Bindung an das Arbeitsfeld auf. Dennoch scheinen die Anstrengungen nicht auszureichen, um den Fachkräftebedarf zu decken. Woran liegt das? Neben der allgemeinen Situation am Arbeitsmarkt sieht die Autorengruppe unter anderem erschöpfte Ausbildungskapazitäten, zu wenige Quereinsteiger und große regionale Unterschiede.
Ein Weg aus dem Dilemma wäre eine Gesamtstrategie mit miteinander verzahnten Maßnahmenbündeln: Die Autorengruppe erwähnt neue Ausbildungsformate, Verringerung der Abbruchquoten in der Ausbildung, stärkere finanzielle Anreize und mehr professionelle Unterstützung wie zum Beispiel Fachberatung oder Teamentwicklung
Autorengruppe Fachkräftebarometer: FACHKRÄFTEBAROMETER Frühe Bildung 2023
Für die Erarbeitung einer solchen Gesamtstrategie setzte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Arbeitsgruppe ein, die ihre Ergebnisse am 21. Mai 2024 veröffentlichte. Für die Arbeit haben die Autorinnen und Autoren erfolgversprechende Maßnahmen für vier Handlungsfelder zusammengetragen:
So wird etwa im Hinblick auf die berufliche Orientierung empfohlen, die vielfältigen Informationen zu Zugangsvoraussetzungen gebündelt darzustellen und passgenaue Beratungsangebote für die unterschiedlichen Zielgruppen bereit zu halten. Auch die unterschiedlichen Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter und allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe sollten sichtbarer gemacht werden.
Für eine attraktive Aus- und Weiterbildung müssten die Kapazitäten bedarfsorientiert ausgebaut, vergütete Ausbildungsmodelle angeboten und Aufstiegsmöglichkeiten gefördert werden.
Mit einer flexibleren Erstausbildung und Weiterbildung und stärkerer – auch digitaler – Modularisierung könnten zusätzliche Berufsgruppen erschlossen werden. Und es könnten mehr Menschen mit ausländischen Abschlüssen beschäftigt werden, wenn zum Beispiel die Teilnahme an Sprachkursen oder berufsbegleitende Anerkennungs- und Nachqualifizierungsmöglichkeiten verbessert würden.
Auch die Arbeits- und Rahmenbedingungen könnten besser werden, wenn Gesundheit, Information und Beratung noch stärker berücksichtigt würden, und die Träger der Einrichtungen Funktionsstellen eigens vergüten würden.
Gesamtstrategie Fachkräfte in Kitas und Ganztag. Empfehlungen der AG „Gesamtstrategie Fachkräfte“
Viele der hier vorgeschlagenen Maßnahmen lassen sich detailliert auch in der Evaluation des Bundesprogramms „Fachkräfteoffensive“ nachlesen. Der wissenschaftliche Abschlussbericht „Gewinnung von Nachwuchs – Bindung der Profis“ wurde 2022 vom Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg erarbeitet und veröffentlicht.
Jetzt zum Lehrkräftemangel
Ich hatte ja schon vorher erklärt, warum es so schwer ist auszurechnen, wie viele Fachkräfte im Bildungsbereich benötigt werden. Natürlich kann man anhand der Geburtenrate ausrechnen, wie viele Schülerinnen und Schüler es zur Einschulung in sechs Jahren geben wird. Aber wie prognostiziert man zum Beispiel, wie viele geflüchtete Kinder hinzukommen? Dazu kommt, dass nicht klar ist, wie viele Kinder sich in den Sekundarstufen auf welche Schulen und in welchen Regionen verteilen. Und das ist nur die Schüler-Seite.
Betrachtet man die Seite der Lehrkräfte fällt einem noch sehr viel mehr ein: Zum Beispiel welche bildungspolitischen Reformen wann umgesetzt werden und wieviel zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer es dafür braucht – Stichwort Ganztagsschule oder Brennpunktschule? Dann geht es auch noch um die Höhe des Unterrichtsdeputats und natürlich auch um die Frage, wie viele Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit arbeiten.
Dazu kommt noch die Zahl der Lehramtsstudierenden: Wie viele gibt es? Wie verlässlich sind die Planungsgrößen der Länder? Für welche Fächer und Schulen werden sie ausgebildet? Wie hoch ist die Abbrecherquote und auch – wie viele gehen nach abgeschlossenem Studium überhaupt ins Referendariat und in den Schuldienst?
Im Dossier Bildung der Bundeszentrale für Politische Bildung identifizieren und beschreiben Benjamin Edelstein und Klaus Klemm in einem Beitrag vier Bausteine, die dabei helfen, den zukünftigen Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern belastbarer prognostizieren zu können:
- Die demographische Entwicklung
- Die Entwicklung der Zahl an Schülerinnen und Schülern
- Die Entwicklung des Einstellungsbedarfs von Lehrkräften
- Die Entwicklung des Neuangebots von Lehrkräften und die Bilanzierung des Angebots
Lehrkräftemangel und -überschuss: eine unendliche Geschichte
Und welche Maßnahmen werden diskutiert, um dem aktuellen Lehrkräftemangel entgegenzuwirken? Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK, die SWK, hat in ihrem Gutachten 2023 elf Empfehlungen formuliert, die ich hier nicht ausführlich vorstellen kann – das würde den Rahmen sprengen. Auch hier sind es wieder vier Themen, die unbedingt optimiert werden müssten:
- Die Bedarfsprognostik
- Die erste Phase der Lehrerausbildung
- Die Übergänge zwischen den Phasen der Lehrerausbildung inklusive Quer- und Seiteneinstieg
- Die Fort- und Weiterbildung
Auch Mark Rackles, ehemaliger Staatssekretär für Bildung in Berlin und seit 2019 freiberuflicher Berater und Publizist im Bildungswesen, hat in seiner bei der Rosa Luxemburg-Stiftung 2024 veröffentlichten Publikation „Neue Lehrkräfte braucht das Land“ seine Ideen zur Lehrkräftebildung erläutert. Er stimmt mit den SWK-Empfehlungen im Grundsatz überein, kritisiert allerdings ihre – aus seiner Sicht zu akademische – Ausrichtung. Er empfiehlt, die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften bei der Lehrerbildung mit ins Boot zu nehmen.
Lehrerinnen und Lehrer fehlen nicht nur an allgemeinbildenden Schulen. Auch in den Berufsschulen gibt es ein Problem:
Dieter Dohmen und Maren Thomsen vom FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie haben in ihrer Studie die Zahlen der Schülerinnen und Schüler in den berufsbildenden Schulen ermittelt und anschließend die Zahlen der dafür erforderlichen Lehrkräfte bis zum Jahr 2030 für alle 16 Bundesländer prognostiziert. Daraus folgte eine interessante Erkenntnis: Es zeichnen sich zum Teil sehr unterschiedliche Entwicklungen ab. In den neuen Bundesländern und den Stadtstaaten wird es im Schuljahr 2030/31 im Vergleich zum Schuljahr 2016/17 insgesamt 108.700 Schüler*innen mehr in berufsbildenden Schulen geben – das ist ein Anstieg um knapp 25 Prozent. In den alten Bundesländern ist im gleichen Zeitraum mit einem Rückgang von 37.500 Schüler*innen (-2 Prozent) zu rechnen. Für ganz Deutschland leiten die Autoren aus ihren Untersuchungen und Rechnungen einen Mehrbedarf von 1.460 und einen Gesamtbedarf von 123.080 Vollzeitlehrkräften ab.
Auf eine ähnliche Diskrepanz zwischen zu erwartenden Schülerzahlen und zur Verfügung stehenden Lehrkräften kommt auch Klaus Klemm in der 48-seitigen Studie der Bertelsmann Stiftung. Der emeritierte Professor für Bildungsforschung und Bildungsplanung an der Universität Duisburg-Essen schlägt kurzfristig vor, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass Teilzeitbeschäftigte ihre wöchentlichen Unterrichtsstunden freiwillig erhöhen und beurlaubte Lehrkräfte grundsätzlich früher an die Schule zurückkehren können. Auch ein späterer Eintritt in den Ruhestand, mehr Honorarkräfte und Seiten- bzw. Quereinsteiger scheinen ihm sinnvoll. Um die Situation aber langfristig zu verbessern, müsste seiner Einschätzung nach
- das Interesse an der Aufnahme eines Studiums für das Lehramt an beruflichen Schulen geweckt werden,
- die Zahl der Studienstandorte erhöht werden,
- die Abbruchquoten im Lehramtsstudium für berufliche Schulen reduziert werden,
- ein „Master of Education“-Studium eingeführt werden, das auf der Grundlage einer Techniker- oder Meister-Ausbildung auf das Lehramt für berufliche Schulen vorbereitet.
Lehrkräftemangel ist übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit ein Problem
Das zeigt ein 2024 veröffentlichter Bericht der UNESCO. Neue Daten weisen darauf hin, dass 44 Millionen zusätzliche Lehrer*innen benötigt werden, um bis 2030 eine allgemeine Grund- und Sekundarschulbildung für alle Kinder zu erreichen. Der Bericht gibt aus internationaler Perspektive Antworten auf Fragen wie: „Wo ist der Lehrermangel am größten?“, „Warum gibt es so viel Lehrermangel weltweit? „oder „Wie kann man den Lehrermangel lösen?“
Global report on teachers. Addressing teacher shortages and transforming the profession.(UNESCO-Bericht 2024)
All diese Empfehlungen finden Sie übrigens im Dossier „Personalmangel in Schulen und Kitas“ des Deutschen Bildungsservers!
Ich wünsche eine interessante Lektüre – und ein spannendes Bildungspolitisches Forum 2024!
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver