Rousseau: Pädagogik und Demokratie

Heute vor 300 Jahren wurde Jean-Jaques Rousseau in Genf geboren, vor 250 Jahren erschienen seine Werke zur Staatsphilosophie, Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, und zur Erziehung, Emile oder über die Erziehung. Die aktuelle Dokumentation von ARTE versucht sich dem vielgestaltigen Klassiker zu nähern, indem Auszüge aus Rousseaus autobiografischen, gesellschaftskritischen und -theoretischen Schriften ebenso einbezogen werden wie Kommentare von Rousseau-Spezialisten, die die Gedankenwelt Rousseaus im Kontext unserer Gegenwart erläutern.

ARTE hat die Dokumentation derzeit leider aus dem Netz genommen, hier der Link zur Filmbeschreibung. Das Video gibt es aber *noch* auf einer bekannten Video-Plattform im Internet zu sehen 🙂

Weiter nachgefragt, was Rousseau außer seinem musealen Klassikerdasein und den diesjährigen Genfer Feierlichkeiten der Gegenwart aus der Ferne des 18. Jahrhunderts überhaupt noch zu sagen hat, dann ist das vielleicht weniger seine Rolle als „Held der Gegenöffentlichkeit“, die ihn zum Vordenker der Empörten mit Guy-Fawkes-Maske macht – wie von Iring Fetscher im Spiegel (26/2012) gedeutet. Eher könnten die Jubiläen gerade seiner beiden Werke „Emile“ und „Du Contract Social“ Anlass geben zu erneutem Nachdenken über den vernachlässigten Zusammenhang von Pädagogik und Philosophie.
Ohne sich direkt auf Rousseau zu beziehen nimmt sich Axel Honneth dieses Themas in seinem Beitrag „Die verlassene Schule der Demokratie“ an. Die Basis der praktischen Philosophie ist Autonomie, dies sowohl bei Rousseau als auch bei Kant, an den Honneth seine Überlegungen anknüpft. Die Parallele von Regierungs- und Erziehungskunst, schreibt er, bestehe für Kant darin, aus dem Zustand der Unmündigkeit in den der Freiheit zu überführen. Die Komplementarität von Erziehung und Demokratie, bei Honneth „republikanische Staatsordnung“ sei so zu verstehen: „Der kleine, naturgetriebene Mensch muss erst einen Prozess der auf Freiheit zielenden Erziehung durchlaufen haben, bevor er Mitglied eines sich selbst regierenden Staatsvolks werden kann.“
Eine einheitliche Volkssouveränität im Sinne von Rousseau – immer schon eine moralisch-metaphysische Konstruktion (Fetscher) – kann es natürlich angesichts multikultureller Realität nicht mehr geben. Aber „staatlich organisierte Erziehungsprozesse“ können und sollten Demokratie fördernde Verhaltensweisen wie Toleranzfähigkeit, Empathie und Gemeinwohlorientierung vermitteln und nicht allein auf den Erwerb wirtschaftlich verwertbarer Fähigkeiten zielen, so Honneth weiter, um damit angemessen auf die Staatsbürgerrolle vorzubereiten, was von Kant über Durkheim bis Dewey als das vorrangige Ziel von Erziehung und auch Schule galt.
Auch die Berliner Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) beschäftigte sich in diesem Jahr anlässlich der Rousseau-Jubiläen in einer Tagung mit der Bildungskonzeption von Rousseaus pädagogischer Theorie und ihrer Wirkungsgeschichte; die Beiträge sollen im kommenden Jahr in einem Tagungsband veröffentlicht werden. Bis Ende September 2012 ist in der BBF eine Ausstellung zu sehen, die Illustrationen des Emile im Wandel seiner Rezeptionsgeschichte zeigt.

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