Wie steht es um die Qualität der Bildungsberatung?

Bildungsberatung   (1)

DAS WORT HAT…..Karen Schober, Vorsitzende des Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V. (nfb) und Mitautorin der Broschüre „Professionell beraten: Qualitätsstandards für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“, die sie gemeinsam mit Prof. Dr. Christiane Schiersmann im Rahmen des BeQu-Projekts erarbeitet hat. Im Beitrag zeichnet Karen Schober ein Bild der Beratungslandschaft in Deutschland, erörtert, was Qualität in der Bildungsberatung bedeutet und wie sie entsteht, beschreibt wichtige Qualitätsstandards und beschäftigt sich kritisch mit Qualitätstestierungen. Bei der Qualitätsentwicklung geht es ihr nicht um das Abarbeiten von Checklisten, sondern um das Wohl der Ratsuchenden.

Karen Schober, Vorsitzende des Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V.

1. Bildungsberatung – ein unübersichtliches Feld

Bildungsberatung in Deutschland ist äußerst vielfältig, heterogen und unübersichtlich. Sie umfasst eine breite Palette an Beratungsangeboten, die sich über die gesamte Lebensspanne von Menschen erstreckt, von der frühkindlichen Bildung bis zu nachberuflichen Aktivitäten und Bildungsprozessen. Bildungsberatung beinhaltet auch nicht nur die Beratung in Bildungsangelegenheiten im engeren Sinne – also z.B. Schullaufbahnberatung, Studienberatung, Weiterbildungsberatung –, sondern bezieht sich auf alle damit in Zusammenhang stehenden Fragen der Lebens- und Berufsplanung. Insofern greift der Begriff Bildungsberatung eigentlich zu kurz, weshalb wir (das nfb) – auch wenn es sperrig klingt – lieber von der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung sprechen (BBB-Beratung).

Die gesetzlichen und institutionellen Zuständigkeiten einschließlich der Finanzierung sind vielfältig und zersplittert.

Entsprechend vielfältig und zersplittert sind auch die gesetzlichen und institutionellen Zuständigkeiten einschließlich der Finanzierung, denen die verschiedenen Beratungsdienste unterliegen. Bund, Länder und Kommunen, Schulen, Hochschulen, Arbeitsagenturen, Kammern, Bildungsträger, non-profit Organisationen, Sozialpartner, Wirtschaftsverbände, Stiftungen, zielgruppenspezifische Dienste sowie Freiberufler und kommerzielle Anbieter teilen sich das Feld der BBB-Beratung. Kaum jemand in Deutschland, geschweige denn die Ratsuchenden, Kund*innen oder Klient*innen, haben den kompletten Durchblick durch den „Dschungel der Beratungsangebote“ (nfb 2014; Bertelsmann Stiftung 2015)

Die Vielzahl an Akteuren, Richtlinien und institutionellen Rahmenbedingungen machen eine Einschätzung und Beurteilung der Qualität von Beratungsangeboten schwer.

Die Vielzahl an Akteuren, Richtlinien und institutionellen Rahmenbedingungen, gesetzlichen Regelangeboten sowie befristeten Programmen oder Projekten für jeweils unterschiedliche Zielgruppen machen auch eine Einschätzung und Beurteilung der Qualität von Beratungsangeboten schwer wenn nicht gar unmöglich. Mehr Transparenz über die Qualität der unterschiedlichen Beratungsangebote ist aber unabdingbar, denn für Ratsuchende ebenso wie für Fördermittelgeber ist die Qualität eines Beratungsangebots ein zentrales Entscheidungskriterium für die Wahl eines Anbieters oder dessen finanzielle Förderung.

Bislang ist es allerdings nicht gelungen, dass sich die relevanten politischen Akteure, hier insbesondere der Bund und die Länder (mit allen beteiligten Ressorts) und die Kommunen sowie die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die großen Verbände über einheitliche und verbindliche Qualitätsmaßstäbe in der Bildungs- und Berufsberatung verständigt hätten. Auch in den Vergaberichtlinien der öffentlich-rechtlichen Auftraggeber zu Bildungs- oder Arbeitsmarktdienstleistungen finden sich nur selten spezifische, auf die Beratungstätigkeit als soziale Dienstleistung bezogene Qualitätsanforderungen oder die erforderlichen Kompetenzen bzw. Qualifikationen der Beratungsfachkräfte, die über relativ inhaltsleere Formulierungen wie z. B. „pädagogisch geeignetes Personal“ hinausgehen. Insofern ist der „Wildwuchs“ bei den Qualitätsstandards vorprogrammiert.

Die relevanten politischen Akteure haben sich über einheitliche und verbindliche Qualitätsmaßstäbe in der Bildungs- und Berufsberatung bisher nicht verständigt.

Kontinuität und Stabilität in den Beratungsangeboten und bei den Beschäftigten gibt es hingegen bei den gesetzlich verankerten Regelangeboten, wie z.B. bei der Bundesagentur für Arbeit oder bei den Studienberatungen. Doch auch hier vermisst man verbindliche, beratungsspezifische Qualitätsstandards. Das Beratungskonzept der BA, das 2010 bundesweit eingeführt wurde, enthält zwar Qualitätsstandards, die sich aber zumeist auf geschäftspolitische, organisationale sowie  Management- und prozessbezogene Kriterien beziehen und kaum auf die beraterischen Grundhaltungen und Kompetenzen oder auf die Gestaltung der Beziehungsebene zwischen Ratsuchenden und Beratenden (BA 2010).

2. Qualität in der Bildungsberatung – ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess

Qualitätsstandards für die Bildungs- und Berufsberatung wurden in Deutschland bisher überwiegend von den professionellen Verbänden der Bildungs- und Berufsberatung und der psychosozialen Beratung erstellt und für ihren Geltungsbereich für verbindlich erklärt (Jenschke/Schober 2017). Im europäischen und internationalen Vergleich hat sich gezeigt, dass die Existenz starker professioneller Verbände mit entsprechenden Qualitätsstandards eine wichtige Voraussetzung für die politische Verständigung über und die Akzeptanz von professionellen Qualitätsstandards sind.

Doch was ist „gute Qualität“? Was verstehen die jeweils beteiligten Akteure unter einer qualitätsvollen Bildungsberatung? Und was ist dann ein Qualitätsstandard?

Qualität ist zunächst einmal kein objektiver, sondern ein relationaler Sachverhalt, der in einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess der beteiligten Akteure, ihren Wertvorstellungen, Erwartungen und Ansprüchen sowie gesetzlichen und institutionellen Vorgaben und Rahmenbedingungen zu bestimmen ist. Vier Akteursgruppen sind hier zu benennen (Schiersmann/Weber 2013): Ratsuchende/Kund*innen/Klient*innen, die Profession, Beratungsanbieter, Politik und Gesellschaft.

DBS-Dossier zur Bildungsberatung

Im Verlauf der Bildungsbiografie müssen vielfach Entscheidungen bezüglich der geeigneten und passenden Optionen für den individuellen Bildungsweg getroffen werden. Vor allem zu Zeitpunkten der Übergänge zwischen den Bildungsbereichen ergibt sich Beratungsbedarf, aber auch während des Besuchs eines Bildungsgangs. Das DBS-Dossier Bildungsberatung: Wege durch das deutsche Bildungssystem bündelt für die einzelnen Bildungsstufen Informationen und ausgewählte Links zu den wichtigsten Beratungsangeboten.

Es muss an dieser Stelle nicht betont werden, dass die Interessen und Erwartungen dieser verschiedenen Akteure an die Qualität von Beratung durchaus in einem Spannungsfeld stehen können. Eine Arbeitsagentur oder ein Jobcenter hat als gesetzliche Vorgabe und geschäftspolitisches Ziel eine rasche Arbeitsmarktintegration und die Reduzierung von Transferleistungen, Ziele, die nicht unbedingt den Interessen der Ratsuchenden an einer längerfristigen, nachhaltigen beruflichen Weiterqualifizierung entsprechen müssen oder dem professionellen Anspruch von Beratenden an eine klientenorientierte Beratung. Wenn es also darum geht, für ein Beratungsfeld oder eine Beratungseinrichtung Qualitätsstandards festzulegen, muss dem immer ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess zwischen den beteiligten Akteuren vorangehen. Das Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses kann dann zum Qualitätsstandard und damit für diesen Bereich oder diese Einrichtung zum Standard im Sinne einer normativen Vorgabe werden.

3. Qualitätsstandards in der Bildungsberatung: Breiter Konsens innerhalb der Profession – unterschiedliche Adressaten

Ein Blick auf die in Deutschland im Bereich der Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatung existierenden, öffentlich zugänglichen Qualitätsstandards zeigt, dass trotz teilweise unterschiedlicher Interessenlagen und Rahmenbedingungen die grundlegenden Anforderungen der Akteure an eine qualitätsvolle Beratung doch recht nahe beieinanderliegen, sieht man von z.T. abweichenden theoretischen Grundlagen, Begrifflichkeiten und Definitionen ab.

Die in den meisten Qualitätskatalogen enthaltenen zentralen Dimensionen von Qualität lassen sich fünf Gruppen zuordnen und beziehen sich auf folgende Aspekte:

© nfb/IBW 2014
Eine vollständige Auflistung der Qualitätsstandards und der Kompetenzen enthalten die Broschüren „Professionell beraten: Qualitätsstandards für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“ und „Professionell beraten: Kompetenzprofil für Beratende in Bildung, Beruf und Beschäftigung“, Berlin/Heidelberg 2014, www.wbv-open-access.de sowie die Online-Version „BeQu-Online“ unter www.beratungsqualitaet.net.

Adressaten dieser Qualitätsstandards sind in der Regel die Beratenden mit der Folge, dass die Hauptverantwortung für das Gelingen guter Beratung meist allein den Beraterinnen und Beratern auferlegt wird, was nicht selten von diesen als ungerechtfertigte und einseitige Belastung empfunden wird, da sie viele Rahmenbedingungen nicht selbst beeinflussen können. Einige Qualitätskataloge beinhalten daher auch Anforderungen an die jeweilige Beratungsorganisation, die für die Sicherstellung angemessener und beratungsförderlicher Rahmenbedingungen Verantwortung trägt. In dem systemischen Kontextmodell von arbeitsweltbezogener Beratung von Schiersmann/Weber (2013), das dem BeQu-Konzept des nfb zugrunde liegt, werden daher jeweils drei Handlungsebenen adressiert, die für gute Qualität in der Beratung verantwortlich sind: (1) Beratende, (2) Führungskräfte/das Management der Beratungsorganisation, (3) für das jeweilige Beratungsangebot politisch Verantwortliche.

Politik steht in der Pflicht, ihren Beitrag zum Gelingen qualitätsvoller Beratung zu leisten.

Damit soll noch einmal explizit verdeutlicht werden, dass auch die Politik in der Pflicht steht, ihren Beitrag zum Gelingen qualitätsvoller Beratung zu leisten – sei es durch gesetzliche Regelungen oder förderrechtliche Bestimmungen oder sei es durch die öffentliche Kommunikation von Leitlinien und Grundsätzen für eine qualitativ hochwertige Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung.

4. Qualitätstestierungen – „Segen oder Fluch“?

Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von Qualitätsstandards oder Qualitätskatalogen einzelner Beratungseinrichtungen, Träger oder Verbände, aber nur wenige institutionenübergreifende beratungsspezifische Qualitätsentwicklungs- oder Qualitätssicherungssysteme. Allerdings haben seit dem Beginn der 2000er Jahre entsprechend dem allgemeinen Trend einer Zunahme von Qualitätssiegeln und Zertifizierungen auch bei den Beratungsdiensten das Qualitätsbewusstsein und das Bemühen um den Nachweis der eigenen Qualität durch entsprechende Testierungen deutlich zugenommen. Dementsprechend hat in den vergangenen 10 – 15 Jahren auch die Zahl der beratungsspezifischen Qualitätstestierungen und Gütesiegel zugenommen, was durch die Förderpolitik einiger Landesregierungen unterstützt wird. Beispielhaft wären hier neben der „Kundenorientierten Qualitätstestierung in Beratungsorganisationen (KQB)“, dem „BerufsBeratungsRegister“ und dem „BeQu-Konzept“ u.a. zu nennen: der „Qualitätsrahmen Berliner Modell (QBM)“, der analog auch in Niedersachsen angewendet wird, die Gütesiegel von Weiterbildung Hessen e.V., die Selbstverpflichtung auf die Qualitätsmerkmale des Landesnetzwerks Weiterbildungsberatung Baden-Württemberg und das Qualitätskonzept des BBE-Programms in NRW (Jenschke/Schober 2017).

Es gibt eine Vielzahl von Qualitätsstandards oder Qualitätskatalogen einzelner Beratungseinrichtungen, Träger oder Verbände, aber nur wenige institutionenübergreifende beratungsspezifische Qualitätsentwicklungs- oder Qualitätssicherungssysteme.

So erfreulich diese Entwicklung hin zu mehr nachprüfbarer Qualität in der Bildungsberatung ist, so müssen auch die Gefahren gesehen werden. Zum einen spiegelt die oben dargestellte Vielfalt der Qualitätssicherungssysteme die Heterogenität und Unübersichtlichkeit der Bildungsberatungslandschaft wider und ist im Hinblick auf die notwendige Hilfestellung für Ratsuchende kontraproduktiv. Hier muss ein Weg aus der deutschen „Kleinstaaterei“ hin zu gemeinsam getragenen, verbindlichen Qualitätsleitlinien gefunden werden. Zum anderen sollten die Einrichtungen und die Beratenden bei ihren Bemühungen um den Erwerb eines Zertifikats nicht das Ziel aus den Augen verlieren: Es geht vorrangig um die Weiterentwicklung der Qualität der eigenen Dienstleistung zum Wohle der Ratsuchenden und nicht um das Abarbeiten von Checklisten und bürokratische Normerfüllung! Hieran sollten Politik und Profession, Anbieter und Verbraucherschützer gemeinsam arbeiten!


Das nfb hat gemeinsam mit dem Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg (IBW) in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt ein integriertes Qualitätskonzept für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung entwickelt (BeQu-Konzept), das in einem mehrjährigen „offenen Koordinierungsprozess Qualitätsentwicklung“ mit zahlreichen Akteuren aus allen einschlägigen Beratungsfeldern erarbeitet wurde. Ziel des Vorhabens war es in erster Linie, einen Verständigungsprozess unter den beteiligten Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Profession über die Qualität von Beratung und die Ansprüche der Beteiligten in Gang zu setzen und ein gemeinsam getragenes Verständnis von Beratungsqualität zu entwickeln. Damit unterscheidet sich das BeQu-Konzept von anderen, eher top-down entstandenen Qualitätssicherungssystemen. (nfb/IBW 2014).


Quellen:

  • BA 2010: Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.), Beratungskonzeption der Bundesagentur für Arbeit. Band 1. Handbuch für Berufsberaterinnen und Berufsberater. Nürnberg
  • Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2015), Bildungslotsen in der Risikogesellschaft. Gütersloh (Autor: Bernd Käpplinger)
  • nfb 2014: Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (Hrsg.), Lebensbegleitende Bildungs- und Berufsberatung. Strukturen und Angebote im Lebenslauf. 2. überarbeitete Auflage. Berlin
  • nfb/IBW 2014: Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung/ Forschungsgruppe Beratungsqualität im Institut für Bildungswissenschaft der Ruprecht Karls Universität Heidelberg: „Professionell beraten mit dem BeQu-Konzept. Instrumente zur Qualitätsentwicklung der Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“, dieselben:  „Professionell beraten: Qualitätsstandards für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“ und dieselben: „Professionell beraten: Kompetenzprofil für Beratende in Bildung, Beruf und Beschäftigung“, Berlin/Heidelberg 2014
  • Bernhard Jenschke/Karen Schober (2017), Berufsverbände und ihre Konzepte zur Professionalisierung des Beratungsfeldes, in: W. Gieseke/D. Nittel (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim/Basel. Beltz/Juventa
  • Christiane Schiersmann/Peter Weber (Hrsg.) (2013), Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung. Eckpunkte für ein integriertes Qualitätskonzept, Bielefeld. W. Bertelsmann

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name der Urheberin soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Karen Schober für Deutscher Bildungsserver.


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