Berufsschulen für Demokratie und Vielfalt

Demokratie und Bildung (4)


Dieser Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung aus der Zeitschrift “Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis” 4/2019, S. 34-35 des Bundesinstituts für Berufsbildung. Das Interview führte Arne Schambeck.


Interview mit Michael Hammerbacher, Leiter des Vereins für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung

Einrichtungen der beruflichen Bildung müssen demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Haltungen und Handlungen entgegenwirken. In Berlin, Brandenburg und Hamburg bietet der »Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung (DEVI e.V.)« Unterstützung bei der Bewältigung damit  verbundener Herausforderungen. Im Interview erläutert Michael Hammerbacher wie Berufsschulen und ihre Lehrkräfte diese Unterstützungsangebote nutzen.

BWP: Mit welchen Problemen kommen Berufsschulen auf Sie zu? Welche Unterstützung wird nachgefragt?

Hammerbacher: Je nach Region und Ausgangslage mit sehr unterschiedlichen Problemen. Häufige Fragen sind: Wie können wir auf rechtsextreme Vorfälle und Haltungen in unserer Schule richtig reagieren? Wie können wir besser gegen Diskriminierung vorgehen und diese auch schon im Vorfeld verhindern? Wie können wir auf die neue religiöse Vielfalt eingehen, aber gegen religiös begründeten Extremismus und konfrontative Religionsbekundung wirken? Wie können wir unsere Einrichtung im Rahmen der Möglichkeiten demokratischer gestalten? Meist geht die erste Anfrage von einem konkreten Vorfall aus.

BWP: Was sind das für Vorfälle?

Hammerbacher: Beispielsweise rechtsextreme Äußerungen im Unterricht, vermehrtes Tragen von Kleidungsstücken mit rechtsextremen Codes oder Beschwerden über erlebte Diskriminierung. Auch öffentliches Beten, das Einfordern von Sonderrechten aus religiösen Motiven oder religiös begründetes Mobbing führen zu einer Kontaktaufnahme mit uns.

DEVI e.V.

Der DEVI e.V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung – wurde 2012 gegründet und unterstützt Berliner, Hamburger und Brandenburger Berufsschulen dabei, sich präventiv gegen Rechtsextremismus, Diskriminierung und religiös begründeten Extremismus zu engagieren.

Mehr unter www.demokratieundvielfalt.de

BWP: Wie ist Ihre Herangehensweise, wenn Sie angefragt werden?

Hammerbacher: Zuerst nehmen wir die gesamte Einrichtung und ihre Struktur in den Blick: Was müssen wir berücksichtigen, um die passende Maßnahme durchzuführen? Wie können wir die Lehrkräfte dabei unterstützen, mit den auftretenden Phänomenen besser umzugehen?

BWP: Was heißt das dann konkret?

Hammerbacher: Wir bieten in Projekten zur Prävention von  Rechtsextremismus,  Diskriminierung  und  konfrontativer  Religionsbekundung  Unterstützung  an.  Die  Angebote beginnen mit der Möglichkeit einer langfristigen Schulberatung und -begleitung zur Entwicklung der Einrichtung. Leitfrage ist: An welchen Stellen können wir die Berufsschule demokratischer gestalten und präventiv gegen extremistische Haltungen wirken? Das berührt die »Kultur« der Schule, den Umgang zwischen Lehrkräften und Auszubildenden, die Möglichkeiten der Beteiligung, die Unterrichtsinhalte und Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Auszubildende. Unsere Handlungsfelder reichen von der Einbindung von Themen in den Unterricht über demokratiepädagogische Maßnahmen bis zum Festlegen einheitlicher Regeln. Wir bieten hierfür Begleitung, Beratung, Fortbildungen, Seminare und Klassentage für Leitungen, Lehrkräfte, Auszubildende und Schülerinnen und Schüler an.

BWP: Können Sie ein Beispiel für solche einheitlichen Re­geln nennen? Ist das so eine Art Verhaltenskodex?

Hammerbacher: Hilfreich ist hier zuerst ein Punkt in der Hausordnung, der diskriminierendes und demokratieablehnendes Verhalten erfasst. Dazu machen wir Formulierungsvorschläge. Die Durchsetzung solcher Regelungen und deren pädagogische Bearbeitung erfordern eine Interventions- und Handlungskette. Um eine solche zu verankern, unterstützen wir mit Wissen und Methoden zum Umgang mit diesen Phänomenen und Jugendlichen.

BWP: Was sind die größten Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Berufsschulen?

Hammerbacher: Die Berufsschule ist meistens nicht der Lebensmittelpunkt der jungen Menschen. Daher müssen wir erst einmal deren Interesse fördern und die Notwendigkeit von Unterstützung deutlich machen. Auch die Vielzahl der möglichen Abschlüsse und damit verbunden die stark unterschiedlichen Bildungsniveaus der Auszubilden­den und Schülerinnen und Schüler sind eine Herausforderung. Eine weitere Hürde sind die Berufsschulen selbst, insbesondere die Bereitschaft, sich der Thematik anzunehmen. Das Kerngeschäft ist hier natürlich die fachliche Qualifizierung für Berufe und eine Vielzahl von Bildungsabschlüssen. Die sozialen Kompetenzen und die Fähigkeit der Auszubildenden und Schülerinnen und Schüler, sich in einer demokratischen und vielfältigen Gesellschaft zurechtzufinden, sind zwar ebenfalls Bildungsziele, aber um diese zu erreichen, müssen in ausreichendem Maß Bereitschaft, Kompetenzen, Raum und Zeit vorhanden sein, was nicht immer der Fall ist. Abseits dieser Hürden ist der Bereich der beruflichen Bildung eine der letzten Möglichkeiten, Jugendliche im Bildungssystem zu erreichen und mit ihnen zu diesen Themen zu arbeiten.

„Berufliche Bildung ist eine der letzten Möglichkeiten, Jugendliche im Bildungssystem zu erreichen und mit ihnen zu diesen Themen zu arbeiten.“

BWP: Wie werden die Lehrkräfte eingebunden?

Hammerbacher: Es ist wichtig, sich den Herausforderungen zu stellen und nicht wegzusehen. Die Lehrkräfte müssen wir in ihrer Fähigkeit unterstützen, die Probleme richtig zu deuten und dann zu handeln. Daher liegt der Schwerpunkt unserer Weiterbildungen bei der Vermittlung von Wissen zu den Phänomenen, wie z. B. Extremismus oder Diskriminierung, Vorschlägen zum Umgang damit und Empfehlungen zur Entwicklung von Argumentationen.

BWP: Was sollte geschehen, damit Lehrkräfte in der beruflichen Bildung bei Werte- und Kulturkonflikten ihrer Vorbildrolle in Zukunft besser gerecht werden können?

Hammerbacher: Wir orientieren uns an den Begriffen »Grundrechtsklarheit« und »Grundrechtskompetenz«. Diese definieren wir so: Grundrechtsklarheit verbindet ein spezifisches Wissen, Wollen und Können. Die Grundrechte werden für alle Menschen konsequent verteidigt und durchgesetzt. Staatliche Gesetze und Verordnungen gelten ebenfalls für alle gleich. Grundrechtsklarheit bedeutet aber mehr als nur Kenntnis der Grundrechte oder ihre Treue dazu. Klarheit ist eine Sache des Auftretens und der Verständlichkeit. Das bedeutet, die Werte und Normen unserer Verfassung überzeugend darlegen und gegen alle Varianten von Menschenrechts- und Demokratiefeindlichkeit verteidigen zu können. Wenn Lehrkräfte diesem Ideal nahekommen, sind sie besser auf extremistische und konfrontative Haltungen bei ihren Auszubildenden und Schülerinnen und Schülern vorbereitet.

Demokratie und Bildung beim Deutschen Bildungsserver

Das Dossier Demokratie und Partizipation lernen und leben bietet strukturierte Hinweise auf Projekte, Initiativen und Materialien, die zeigen, wie Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen demokratische Grundsätze und Mitwirkungsmöglichkeiten vermittelt werden können und extremistischen und demokratiefeindlichen Haltungen vorgebeugt werden kann. Auch Internetquellen unter anderem zum Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zur Demokratieförderung und Extremismusprävention sowie Informationen zum Thema Kinderrechte und Partizipation von Kindern, zur Demokratiebildung als Unterrichtsgegenstand in der Schule sowie zur politischen Bildung von Erwachsenen sind hier zu finden.

BWP: Wie können Demokratie und Vielfalt nachhaltig im Sinne eines ganzheitlichen Konzepts gefördert werden?

Hammerbacher: Oft führen Berufsschulen anlassbezogen einzelne Maßnahmen wie Projekt- oder Klassentage gegen Rechtsextremismus oder Diskriminierungen durch. Doch man darf nicht aus dem Blick verlieren, dass die Prävention schon in der Kultur der Einrichtung beginnen sollte. Dazu  gehören auch die Unterrichtsinhalte, die Beteiligungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler, ein anerkennender und wertschätzender Umgang der Lehrkräfte und Schüler untereinander und moderierte Auseinandersetzungen um kontroverse politische Themen. Diese Maßnahmen und Prozesse müssen gesteuert werden und Teil der Einrichtungskultur sein. Dann können sie ihre Wirkung entfalten.

BWP: Richtet sich Ihr Angebot nur an die beruflichen Schu­len oder binden Sie auch Ausbildungsbetriebe und weitere Einrichtungen ein? Wie vernetzen Sie diese miteinander?

Hammerbacher: In einzelnen Fällen gibt es eine funktio­nierende Zusammenarbeit. In Berlin arbeiten beispiels­weise zwei Oberstufenzentren mit dem Handelsverband Berlin/Brandenburg zusammen und führen erfolgreich regelmäßig Projekte gegen Rechtsextremismus und Dis­kriminierung durch. In der Breite ist dies aber schwierig. Es müssen unterschiedliche Strukturen, Ausgangslagen und Erwartungen von Berufsschulen und Ausbildungs­betrieben zusammengeführt und gemeinsame Ziele defi­niert werden. Da stehen wir noch am Anfang, das hat aber meiner Ansicht nach großes Potenzial für das zukünftige Engagement für Demokratie und Menschenrechte in den Einrichtungen der beruflichen Bildung.

(Interview: Arne Schambeck)


Zuerst erschienen in der Zeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis“ 4/2019, S. 34-35. URL: www.bwp-zeitschrift.de/de/bwp.php/de/bwp/show/10230


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