Open Educational Resources (1)
INTERVIEW. Schon seit ihrer Gründung stellen Landesbildungsserver Lehrerinnen und Lehrern Unterrichtsmaterialien für verschiedene Fächer und Schulformen bereit. So gesehen sind sie eigentlich die natürlichen Partner für Open Educational Resources (OER) – und haben auch gemeinsam mit dem Deutschen Bildungsserver eine Selbstverpflichtung zu OER formuliert. Aber ein paar Hürden gibt es noch. Wir haben das jährliche Redaktionstreffen der Bildungsserver am 18. Mai 2017 in Frankfurt/M. genutzt, um mit Margret Groß-Hardt vom Landesbildungsserver Rheinland-Pfalz und Burkhart Firgau vom Landesbildungsserver Baden-Württemberg zu sprechen – über die Akzeptanz von OER bei Vorgesetzten und Lehrkräften, über rechtliche Widrigkeiten und Lizenzfragen und über noch unausgereifte Technologien.
Frau Groß-Hardt, Herr Firgau, Landesbildungsserver stellen Unterrichtsmaterialien für verschiedene Fächer und Schulformen bereit. Wie viele Materialien kann man auf Ihren Bildungsservern finden?
Margret Groß-Hardt: Der Großteil unseres Materials wird auf der Plattform für Mediendistribution Omega bereitgestellt und ist über eine Schnittstelle in das Angebot des Bildungsservers integriert. Das sind rund 16.000 unterschiedlich komplexe Bausteine – einzelne Arbeitsblätter, Bilder, Filme und konkrete Unterrichtsbeispiele. Die von uns erarbeiteten Materialien machen nur einen Bruchteil aus. Auf dem Bildungsserver werden zusätzlich ca. 14.000 Seiten durch Redakteurinnen und Redakteure aus dem Pädagogischen Landesinstitut und dem Bildungsministerium gepflegt. Hierbei handelt es sich nicht nur um Unterrichtsmaterial. Es werden vielfältige Informationen, Beratungs- und Fortbildungsangebote zu allen pädagogischen Themen auf unserem Bildungsserver dargestellt. Die Anzahl der reinen Unterrichtsmaterialien ist hier schwer zu schätzen.
Burkhart Firgau: In Baden-Württemberg gibt es drei Instanzen, die Materialien produzieren: Der Lehrerfortbildungsserver, das Landesmedienzentrum und der Landesbildungsserver. Der besteht aus einem Team von 40 Lehrerinnen und Lehrern, die jeweils für ein gewisses Stundendeputat freigestellt sind, um Unterrichtsmaterialien/OER zu erarbeiten. Insgesamt haben wir etwa 60.000 Seiten, das ist aber nicht gleichzusetzen mit der Anzahl der Materialien. Ein Unterrichtsmaterial kann ein kurzer Infotext mit Bild sein, aber auch eine komplette Unterrichtssequenz mit 20 weiteren Unterordnern. Grob geschätzt kommen wir beim Landesbildungsserver auf 10.000 Materialien.
Und wie viele davon kann man als Open Educational Resources bezeichnen?
Burkhart Firgau: Bei uns auf dem Landesbildungsserver ist eigentlich alles OER; sämtliche Materialien können übrigens auch über ELIXIER, den gemeinsamen Ressourcenpool der Bildungsserver für Lehr-/Lernmaterialien für den Schulunterricht aufgerufen werden. Unser Lehrerfortbildungsserver, der ausschließlich Materialien zur Lehrerfortbildung anbietet, veröffentlicht inzwischen auch unter CC-BY SA. Nur das Landesmedienzentrum, das sich um die Distribution von Medien kümmert, kämpft sehr mit den Lizenzen und ist noch weit weg davon, OER anbieten zu können.
Margret Groß-Hardt: Wir beteiligen uns ebenfalls an ELIXIER. Einerseits ist ELIXIER eine Quelle für Materialien, die Lehrkräfte über unsere Mediendistributionsplattform OMEGA recherchieren können, und andererseits stellen wir unsere Metadaten von Materialien, die bisher noch nicht über ELIXIER erschlossen wurden, auch wieder dort ein. Die vom Pädagogischen Landesinstitut bereitgestellten Unterrichtsmaterialien sind bisher zwar noch keine OER, wir haben jedoch damit begonnen, eine Lizenzempfehlung für die Materialerstellung im Haus zu entwickeln. Mit unserem Projekt OER@RLP im Rahmen der Förderlinie OERinfo haben wir zudem eine bildungsbereichsübergreifende Initiative gestartet, die OER eine stärkere Aufmerksamkeit und Präsenz im Bildungsalltag verleihen soll. Neben der Schule haben wir hier auch die Weiterbildung und die Hochschulen in Rheinland-Pfalz im Blick. Außer uns gibt es noch einen weiteren Landesbildungsserver, der an der Förderlinie OERinfo beteiligt ist: Das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg mit dem Projekt OSM@BB – OER für die schulbezogene Medienbildung.
Nochmal zum Verständnis: Worin unterscheiden sich denn Open Educational Resources von den bisherigen Unterrichtsmaterialien?
Margret Groß-Hardt: Durch die Lizenzen und die Möglichkeit, sie weiter zu bearbeiten. Copyright-geschützte Handreichungen mit konkreten Beispielen können im Unterricht nur so genutzt werden wie sie zur Verfügung gestellt wurden; individuelle Anpassungen zum Beispiel auf ein aktuelles Schwerpunktthema sind nicht möglich. Auch wenn ich Material an eine Kollegin oder einen Kollegen weitergebe, befinde ich mich in einer rechtlichen Grauzone. Mit der Vergabe von Lizenzen ist das jetzt kein Problem mehr, die rechtliche Unsicherheit schwindet, zumindest weitgehend. Deshalb kam die Creative Commons-Diskussion für uns genau richtig. Unter den CC-Lizenzen gibt es zwei, drei Varianten, die für Open Educational Resources gut geeignet sind.
Die Frage nach Rechten und Lizenzen scheint untrennbar mit dem Thema OER verbunden zu sein?
Burkhart Firgau: Die Rechtefrage wird dann relevant, wenn diese Materialien weiter publiziert werden. Deshalb müssen wir die Sensibilität bei den Lehrkräften wecken, ihr Material mit einer CC-Lizenz zu versehen, und versuchen, ihre Haltung zu ändern. Wir haben mal einen Moodle-Kurs erstellt, den Lehrkräfte in ihre eigenen Kurse integrieren können. Auf Wunsch haben wir das Ganze noch einmal größer angelegt, mit dem Ergebnis, dass Bilder wieder einfach aus Schulbüchern oder aus anderen Kontexten hochgeladen wurden, ohne dass Quellen- oder Rechteangaben dokumentiert oder geprüft worden wären. Als wir dann aber im Rahmen eines Wettbewerbs Moodle-Kurse nach festen Kriterien erarbeiten ließen, konnten wir 10 bis 15 mit einer CC-Lizenz versehene Kurse auf einer Moodle-Plattform bereitstellen. Man muss den richtigen Dreh finden, das ist nicht ganz einfach.
Stellen eigentlich viele Lehrkräfte ihr eigenes Unterrichtsmaterial in die Bildungsserver ein?
Burkhart Firgau: Das ist eher die Ausnahme als die Regel. Es zeigt sich leider immer wieder, dass Lehrer Einzelkämpfer sind und auch so ausgebildet werden. Manche haben auch Sorge, sich der Kritik der Kollegen auszusetzen. Die Kultur des Teilens ist einfach noch nicht sehr stark ausgeprägt, das muss stärker gefördert werden.
Margret Groß-Hardt: Neben den Bildungsservern gibt es ja auch noch viele andere, meist fachspezifisch ausgerichtete Portale, die auch OER oder Unterrichtsmaterialien bereitstellen. Im Geschichtsbereich ist dafür die Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht „segu“ ein Beispiel, oder das Chemiewiki. Engagierte Fachlehrer stellen ihr Material dort ein – oder bei Portalen wie Lehrerfreund, die für eine Veröffentlichung Honorare zahlen. Aktuell bieten wir unseren Lehrkräften noch keine Möglichkeit, ihren „Content“ bei uns einzustellen. Wir sind aber dabei, dies zu ändern und werden künftig ein Repository anbieten, auf welchem Materialien abgelegt und geteilt werden können.
Inwieweit unterstützen eigentlich die Schulverwaltungen Open Educational Resources?
Margret Groß-Hardt: Die Aufmerksamkeit dafür, Unterrichtsmaterialien so zu erstellen, dass sie in den Schulen auch genutzt und weiterbearbeitet werden können – also mit offenen Lizenzen zu arbeiten – ist bei uns im Haus und auch im Ministerium da. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob die Möglichkeiten von OER auch in den Aufsichts- und Dienstleistungsdirektionen (ADD) gesehen werden. Mit unserem Projekt OER@RLP wollen wir deshalb auch an diese herantreten; dort und im Ministerium sind bspw. die regionalen Fachberater für die Schulen verortet. Seitens des Ministeriums wird das Thema OER grundsätzlich unterstützt. Damit Lehrkräfte jedoch aktiv OER-Material erstellen, veröffentlichen und teilen, wünsche ich mir, dass auch über Anreizsysteme diskutiert wird.
Burkhart Firgau: Beim Landesbildungsserver Baden-Württemberg publizieren wir ja offiziell OER, also mit ordentlichen Lizenzen versehene Materialien. Die Schulverwaltungen tragen das aber nicht weiter, oft wissen sie gar nicht, was das ist. Das betrifft weniger das Landesinstitut für Schulentwicklung oder das Kultusministerium als das Regierungspräsidium oder die staatlichen Schulämter. Bei denen ist das Thema noch nicht wirklich angekommen.
Angesichts der vielen Anforderungen an Lehrkräfte – haben die überhaupt noch Zeit und Lust sich mit den Möglichkeiten der digitalen Unterrichtsgestaltung auseinanderzusetzen?
Margret Groß-Hardt: Sie müssen! Das Thema Digitalisierung wird in der Schule und im Unterricht einiges ändern. Sicherlich ist das ein Prozess, aber ich gehe davon aus, dass der Mehrwert und die Möglichkeit bei den Lehrkräften ankommen. Und wenn man sieht, dass man von Materialien der Kollegen profitieren kann, ist man eher bereit, sein eigenes Material zu teilen – bewährtes Material, das im eigenen Unterricht schon länger eingesetzt wird und das man vielleicht schon mit Kollegen geteilt hat.
Burkhart Firgau: Das sehe ich genauso. Jetzt braucht es erst mal die Infrastruktur, wie zum Beispiel die diversen Bildungsclouds, die in den Ländern konzeptionell Form annehmen. Sobald es dann eine gut funktionierende Plattform gibt, wird deutlich werden, wie das Material der anderen die eigene Arbeit erleichtert. Dann ist auch die Hürde, das eigene Material zur Verfügung zu stellen, nicht mehr so groß. Und natürlich muss das auch von der Bildungsadministration gewollt sein, sie muss Lehrkräften eine unterstützende Umgebung anbieten.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Groß-Hardt, lieber Herr Firgau!
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