„Der Digitalisierungsprozess an Schulen sollte nachhaltig und gemeinsam gedacht werden.“

Digitalisierung und Organisationsentwicklung im Bildungssektor „Schule“ (5/5)

Mit dem fünften Teil und dem Blick auf den digitalen Wandel im Bildungssektor Schule setzen wir unsere Podcast-Reihe „Digitalisierung und Organisationsentwicklung“ fort. Anna Heinemann von der Universität Duisburg-Essen berichtet aus dem Forschungsprojekt Digi-SchulNet und nimmt Stellung zu einem Statement von Dr. Bettina Waffner, Autorin des Critical Reviews für den Bildungssektor Schule im zweiten Reviewband des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ (Digi-EBF).

Lesefassung

Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Bildung auf die Ohren – dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. In unserer fünften und abschließenden Folge der Reihe „Digitalisierung und Organisationsentwicklung“ schauen wir heute auf den Bildungssektor Schule und die Frage „Wie muss sich Schule verändern, damit Digitalisierung gelingen kann?“.

Mein Name ist Michaela Achenbach und ich spreche dazu mit Anna Heinemann von der Universität Duisburg-Essen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Metavorhaben „Digitalisierung im Bildungsbereich“ und forschte bis September 2021 im Projekt „Digitale Schulentwicklung in Netzwerken“.

Frau Heinemann wird uns ihr Forschungsprojekt näher vorstellen und zudem zu einem Statement von Frau Dr. Bettina Waffner aus ihrer Forschungsperspektive Stellung beziehen.  Bettina Waffner war bis Ende 2021 Koordinatorin des BMBF-Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich und ist Autorin des Reviews „Schulentwicklung in der digital geprägten Welt: Strategien, Rahmenbedingungen und Implikationen für Schulleitungshandeln“, welches im 2. Reviewband des Metavorhabens veröffentlicht wurde.

MA: Hallo Frau Heinemann, schön dass Sie heute da sind.

AH: Hallo, schön dass ich heute hier sein kann.

MA:  Frau Heinemann, Sie haben in ihrem Forschungsprojekt DigiSchulNet untersucht, wie Schulen die Digitalisierung als Prozess der Schulentwicklung realisieren und umsetzen können.  Wie sind Sie dabei vorgegangen?

AH: Unsere übergeordnete Forschungsfrage lautete: Wie kann der Transfer von Innovationen in innerschulischen sowie in Netzwerken zwischen Schulen und weiteren Akteuren gelingen?

Miteinbezogen wurden in das Forschungsprojekt als Praxispartner Schulen aus regionalen Netzwerken, wobei unser Schwerpunkt auf Digitalisierungsnetzwerken lag.

Zunächst wurde im Forschungsprojekt eine Dokumentenanalyse durchgeführt, in die v.a. Medienkonzepte, Digitalisierungsstrategien Fortbildungskonzepte von Schulen mit einflossen, um wichtige Rollen im Schulentwicklungsprozess der Digitalisierung zu identifizieren. Einbezogen wurden Dokumente aus Gymnasien, Gesamtschulen und Berufskollegs. Die Schlüsselfunktionen, die wir identifizieren konnten und dann für die weitere Forschung kontaktierten, waren die Schulleitung, der oder die Medienbeauftragte sowie die Didaktische Leitung bzw. Mitglieder der Steuergruppe.

Die weitere Forschung im Projekt wurde auf zwei Wegen durchgeführt. Zum einen wurden zu zwei Zeitpunkten im Projekt, einmal 2019 und einmal 2020 bzw. 2021, Interviews mit möglichst denselben Schlüsselfunktionen an Netzwerkschulen durchgeführt. Die teilnehmenden Lehrkräfte wurden nach den Entwicklungen und ihren Einschätzungen zu innerschulischen sowie netzwerkbezogenen Prozessen in der nahen Vergangenheit gefragt. Wichtig zu erwähnen ist, dass hier Schulen einbezogen wurden, die bereits länger Mitglied in den Netzwerken waren, um die genannte retrospektive Perspektive bezüglich der Schulentwicklung zu beleuchten.

Die andere Forschungsmethodik, die angewandt wurde, waren egozentrierte Netzwerkanalysen mit Schulen, die in neugegründeten Netzwerken teilnahmen, die ich hier nur kurz skizziere, da ich in den Interviews gearbeitet habe und vorrangig die Ergebnisse daraus vorstellen werde. Für die längsschnittliche Analyse von Schulentwicklungsprozessen im Kontext der Digitalisierung wurden also Lehrpersonen regelmäßig über einen Zeitraum von 27 Monaten zu Kommunikations- und Kooperationsanlässen sowohl in der Einzelschule als auch im Netzwerk befragt.

Schließlich haben wir unsere Ergebnisse der verschiedenen Forschungsmethoden immer wieder gemeinsam besprochen und im Sinne einer Triangulation z.B. gemeinsame Artikel und Konferenzbeiträge erstellt sowie ein Themenheft initiiert.

MA:  Welche Gelingensbedingungen wurden für den Prozess der Digitalisierung an Schulen identifiziert?

AH: In den Interviews konnten wir Gelingensbedingungen sowie hemmende Faktoren auf ganz unterschiedlichen Ebenen der Schulorganisation identifizieren. Ich werde hier natürlich nicht alle Ergebnisse benennen können, aber wichtige Teilergebnisse vorstellen.

Hinsichtlich der Organisationsentwicklung konnten wir u.a. folgendes feststellen:

  • Die Schulleitung wurde hinsichtlich der Digitalisierung, wie auch in anderen Schulentwicklungsprozessen als grundlegend wichtiger Faktor für den gelingenden Prozess beschrieben, u.a. da sie Einfluss auf die organisationale Aufstellung der Schule hinsichtlich des Themas hat und auch auf die Kultur, die in der Schule gepflegt wird.
  • Der Digitalisierungsprozess sollte ganzheitlich und gemeinsam gedacht werden: Führungskompetenzen können verteilt werden, z.B. in Form einer erweiterten Schulleitung; Strukturen für den Entwicklungsprozess, wie z.B. die Implementierung von Steuergruppen, sollten geschaffen werden
  • Leitbild und Medienkonzept sollte wenn möglich gemeinsam erarbeitet werden, um Transparenz zu schaffen und alle mit ins Boot holen zu können.

Bezüglich der Unterrichtsentwicklung konnten wir u.a. folgende Faktoren identifizieren:

  • Der Digitalisierungsprozess sollte nicht nur fächerübergreifend, sondern auch fachspezifisch bearbeitet werden. Dies kann z.B. darin resultieren, dass Aspekte der Digitalisierung in die schulinternen Überlegungen zu den Fachcurricula aufgegriffen werden.

Bezüglich der Personalentwicklung können wir folgendes zentrales Ergebnis vorstellen, welches tlw. auch für die gemeinsame Unterrichtsentwicklung als Gelingensbedingung genannt wurde:

  • Eine offene Haltung im gesamten Kollegium gegenüber dem Schulentwicklungsthema, hier also der Digitalisierung, ist von großer Bedeutung. Es ist deshalb dienlich, durch beispielsweise eine offene Fehlerkultur oder z.B. interne Angebote, wie Sprechstunden von engagierten Lehrkräften für das Kollegium, den Austausch und das gegenseitige Vertrauen zu fördern.

Hinsichtlich der Dimension der Technikentwicklung konnten wir folgende Teilergebnisse identifizieren. Wichtig ist hierbei nochmal der Verweis, dass wir ausschließlich mit Lehrkräften an Schulen und nicht mit Personal der Schulträger gesprochen haben:

  • Die positive und konstruktive Zusammenarbeit mit dem Schulträger und die damit verbundene bedarfsorientierte Ausstattung ist essenziell, damit die Schule so ausgestattet und unterstützt wird, wie sie es braucht.
  • Die enge Einbeziehung des Kollegiums in die Beschaffung von Technologie ist ebenfalls wichtig, um den tatsächlichen Bedarf feststellen und im Folgeschritt abdecken zu können. Somit kann auch eine größere Bereitschaft und Teilhabe an dem Schulentwicklungsthema der Digitalisierung gefördert werden.

MA: Welche hemmenden Faktoren wurden für den Prozess der Digitalisierung an Schulen identifiziert?

AH: Wie bereits erwähnt konnten wir auch hemmende Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen der Schule finden. Hier kann ich folgende exemplarisch nennen:

Als hemmende Faktoren wurden v.a. mangelnde zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen von Lehrkräften genannt. Oftmals wurde berichtet, dass der Lehrerberuf zu wenig Raum und Zeit lässt für die gemeinsame Erarbeitung des Schulentwicklungsprozesses. Weiterhin wurde teilweise eine unklare Rolle des Administrators an der Schule genannt. Bzw. die Herausforderung, dass Lehrkräfte diese Rolle neben ihren Unterrichtsstunden besetzen müssen. Dies implementiert auch, dass Personen, diese Rolle besetzen, die nicht unbedingt eine Ausbildung für infrastrukturelle Fragen haben.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Schulen die wichtige Aufgabe haben, die genannten Faktoren Aspekte miteinander zu denken und basierend auf ihren individuellen Gegebenheiten, gemeinsam Lösungen und Wege zu erarbeiten. Die Kooperation mit anderen Schulen und weiteren Akteuren, wie dem Schulträger, z.B. in Form von Netzwerken, kann bei diesem Prozess unterstützend wirken.

MA: Was haben Lehrkräfte durch die Teilnahme am Netzwerk für sich und die Schule mitnehmen können?

AH: Lehrkräfte wurden in den Interviews auch dazu gefragt, ob die Schulentwicklung durch die Teilnahme am Netzwerk profitieren kann und wenn ja, wie. Des Weiteren wurden sie gebeten, Angaben darüber zu machen inwiefern die Teilnahme am Netzwerk oder die Berichte aus dem Netzwerk für ihren eigenen beruflichen Alltag eine Rolle spielen.

In den Interviews kamen hierbei u.a. folgende Ergebnisse heraus.

  • Die Best-Practice Beispiel der anderen am Netzwerk Beteiligten wurden als hilfreich für den eigenen Unterricht, aber auch für die eigene Schule empfunden. Eingebracht wurden hier also beispielsweise Unterrichtskonzepte oder Materialien, die man selbst gut verwerten konnte, aber auch Regelungen auf Schulebene wurden genannt, wie z.B. Handyregelungen für die Schüler:innen, die man durch das Best-Practice Beispiel anderer Schulen im Netzwerk einfacher bzw. schneller erstellen konnte.
  • Ein weiterer Aspekt war die als positiv empfundene Zusammenarbeit nach Fach, wenn sie im Netzwerk ermöglicht wurde. Denn hier konnte noch besser und praxisbezogener über alltagsrelevante Themen diskutiert werden. Dies unterstütze wiederum stellenweise, dass Lehrkräfte Ideen aus dem Netzwerk möglichst niederschwellig in ihren Berufsalltag adaptieren konnten.
  • Auch wurde eine Form der Vergewisserung und Reflexion des eigenen Handelns aller Akteure durch den Austausch auf Augenhöhe im Netzwerk genannt. Sowohl organisierter und moderierter Austausch, als auch der informelle Austausch in den Pausen wurden hier explizit genannt.

MA: Welche organisationalen Aspekte sind den Lehrkräften bei Netzwerkveranstaltungen wichtig?

AH: Die moderierende Person / Institution sollte Fachwissen haben. Weiterhin darf die Autonomie der Schule darf nicht verloren gehen. Die Kommune sollte eng miteinbezogen werden, damit die Perspektivübernahme der verschiedenen Akteure und somit ein effizienteres Kooperieren gefördert wird. Auch sollten Netzwerkgruppen nicht zu groß geplant werden. In der Folge bedeutet das, dass Vertrauen aufbauen in kleineren Gruppen schneller und einfacher funktioniert. Die Wege sind kürzer, man ruft sich dann beispielsweise auch eher mal außerhalb der Netzwerktreffen bei Problemen und Fragen an. Und auch der Peer-to-Peer-Austausch für die verschiedenen Funktionen (Schulleitung, Medienbeauftragte, Fachlehrkräfte, etc.) muss ermöglicht werden,  z.B. durch Schulleitungsrunden.

MA: Im Metavorhaben Digi-EBF ist ja im Herbst 2021 der zweite Reviewband zum Thema „Bildung im digitalen Wandel – Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen“ erschienen. Für den Bildungssektor Schule betrachtet die Autorin Bettina Waffner die Schulentwicklung in der digital geprägten Welt und summiert aus der aktuellen Forschungsliteratur Strategien, Rahmenbedingungen und Implikationen für das Schulleitungshandeln. Hören wir an dieser Stelle ein kurzes Statement von Bettina Waffner:

BW: Es besteht weitgehend gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Möglichkeiten digitaler Medien für eine Verbesserung von Lernprozessen nutzbar gemacht werden können. Die Verfügbarkeit digitaler Medien allein wird dabei gleichwohl keine hinreichende Bedingung darstellen. Innovative Potenziale für das Lernen und Lehren im Konnex der Digitalität sind nur dann zu erwarten, wenn neben technischen und pädagogisch-didaktischen Unterstützungssystemen für Lehrkräfte Professionalisierungen durch Fort- und Weiterbildung erfolgen, die mit einer veränderten Rolle als Lehrkraft einhergehen. Darüber hinaus erfordert es eine Anpassung organisationaler Abläufe in der Schule. Diese Prozesse greifen ineinander und münden in einem strategisch angelegten Schulentwicklungsprozess, der Führung durch Schulleiterinnen und Schulleiter erfordert, um Schule in der digital geprägten Welt zu gestalten.

Angesichts der enormen Geschwindigkeit des digitalen Wandels, braucht es ein neues Narrativ, wofür Schule als Bildungseinrichtung steht. Seit der Bildungsreform zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die mit Wilhelm von Humboldt verbunden ist, zeichnet sich das Schulsystem durch eine hohe Beständigkeit und Stabilität aus. In der digital geprägten Welt wird Schule als System eher für Entwicklung und Wandel stehen. Dieses neue Narrativ gilt es partizipativ zu gestalten, strategisch umzusetzen und als Qualitätsmerkmal in die Schulkultur zu integrieren.

MA: Aus Ihrer Sicht Frau Heinemann – braucht es ein neues Narrativ?

AH: Das lässt sich so nicht unbedingt konkret aus dem Projekt beantworten, da es keine Forschungsfrage von uns war. Was aber herausgefunden wurde ist, dass Schulen von der Implementierung organisationaler Strukturen im Sinne des Digitalisierungsprozesses profitieren und dass Netzwerke bei diesem Prozess unterstützend wirken können. Somit können wir uns BW dahingehend anschließen, dass Schulen sich aufgrund der Digitalisierung v.a. organisational so aufstellen sollten, dass die Digitalisierung als ganzheitlicher Prozess aufgenommen wird, der alle Schulentwicklungsebenen durchdringt. Der Aspekt der Kooperation kann diesen Wandel gewinnbringend mitgestalten – sowohl innerhalb der Schule als gelebte Schulkultur, als auch im Netzwerk mit anderen Schulen und Akteuren, wie dem Schulträger. Somit können auch wir die Aussage bekräftigen, dass Partizipation und Teilhabe sich in unserem Forschungsprojekt als wichtiger Faktor erwiesen hat. Dies zeigt sich z.B. dadurch, dass Lehrkräfte betonten, dass Medienkonzepte und Leitstrategien der Schule im besten Fall gemeinsam und arbeitsteilig erstellt werden sollten. Aber auch die Steuergruppen und die klare Verteilung von Kompetenzen, wie z.B. durch den/die Medienbeauftragte, wurden hinsichtlich der Partizipation von Lehrkräften am Schulentwicklungsprozess positiv bewertet.

MA: Liebe Frau Heinemann, ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses informative Gespräch und die Einblicke in Ihre Forschung. Mit dieser 5. Folge endet die Podcast-Reihe „Digitalisierung und Organisationsentwicklung“. Ich hoffe, wir haben Ihnen fünf spannende Forschungsprojekte des Metavorhabens Digitalisierung im Bildungsbereich vorstellen können und interessante Einblicke in den 2. Reviewband des Metavorhabens gewährt. Danke für Ihr Interesse und Ihre Zeit und bis zum nächsten Mal bei Bildung auf die Ohren.


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Michaela Achenbach für Deutscher Bildungsserver



spotifybadge_schwarz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert