Interview mit Edgardis Garlin über Deutsch als Zweitsprache in der Kita
Christine Schumann spricht mit Dr. Edgardis Garlin vom Zentrum für kindliche Mehrsprachigkeit. Die Sprachwissenschaftlerin hat das KIKUS-Programm – KIKUS steht für Kinder in Kulturen und Sprachen, ein Sprachförderkonzept für Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren – entwickelt und ist seit über 20 Jahren im Bereich DaZ unterwegs.
Im Interview spricht Edgardis Garlin über die Schwierigkeiten der alltagsintegrierten Sprachförderung, das – zumindest in großen Städten – nicht mehr funktionierende „Sprachbad“ und wie wichtig es ist, die Mutter- oder Erstsprache der Kinder ernst zu nehmen. Von großer Bedeutung für sie ist die Interaktionsqualität zwischen Erzieherin/Erzieher und Kindern, die aus ihrer Sicht dringend intensiviert und verbessert werden muss.
Das Interview mit Dr. Edgardis Garlin
Lesefassung
21% der Kinder, die 2022 eine Kita besuchten, lebten in Familien, in denen vorrangig eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wurde. Der Anteil dieser Kinder stieg bundesweit zwischen 2012 und 2022 um rund 5 Prozentpunkte. Während im Westen fast ein Viertel der Kita-Kinder zu Hause überwiegend eine andere Sprache als Deutsch spricht, trifft dies in ostdeutschen Kitas nur auf jedes zwölfte Kind zu. Diese Zahlen veröffentlichte das Fachkräftebarometer Frühe Bildung (WiFF) im Februar 2023 als Zahl des Monats.
Man kann sich also vorstellen, welche Herausforderungen die Mehrsprachigkeit der Kinder im Kita-Alltag birgt. Für Erzieherinnen und Erzieher gibt es zahlreiche Methoden und Programme, nicht nur die Mehrsprachigkeit der Kinder, sondern auch ihre Kompetenzen in Deutsch als Zweitsprache zu fördern.
Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Christine Schumann und ich spreche heute zum Thema Deutsch als Zweitsprache in der Kita mit Dr. Edgardis Garlin vom Zentrum für kindliche Mehrsprachigkeit. Die Sprachwissenschaftlerin hat das KIKUS-Programm – KIKUS steht für Kinder in Kulturen und Sprachen, ein Sprachförderkonzept für Kinder im Alter von 3 bis 10 Jahren entwickelt und ist seit über 20 Jahren im Bereich DaZ unterwegs.
Für sie ist die Interaktionsqualität beim Erlernen von Deutsch als Zweitsprache entscheidend – also die Art und Dauer, wie in den Kitas mit jedem einzelnen Kind gesprochen wird.
Dossiers beim Deutscher Bildungsserver zu DaZ / Mehrsprachigkeit in der Elementarbildung
- Frühe Mehrsprachigkeit
- Inklusive Frühpädagogik – Kinder mit Migrationshintergrund
- Interkulturelle Bildung im Elementarbereich
- Migration / Interkulturelle Pädagogik
- Kinderseiten: Fremdsprachen
- Fachbeiträge und Praxishilfen zur frühen Mehrsprachigkeit
Website der Universität Hamburg zu „Mehrsprachigkeit“
Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2024“, Kapitel Frühe Bildung, Betreuung und Erziehung
Guten Tag, Frau Garlin. Ich freue mich riesig, dass es geklappt hat mit dem Treffen, jetzt auch relativ kurzfristig. Ich wollte mit Ihnen sprechen über Deutsch als Zweitsprache im Kindergarten in der Elementarbildung. Vielleicht stellen Sie sich einfach mal kurz vor.
Edgardis Garlin: Ja, schön, dass es geklappt hat und ich freue mich auch. Mein Name ist Edgardis Garlin und ich bin die Begründerin des Kikus-Programms zur Sprachförderung von Kindern im Alter zwischen drei und zehn Jahren eben im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Und die Organisation, für die ich tätig bin, ist das Zentrum für Kindliche Mehrsprachigkeit e.V. Genau, und wir arbeiten seit 25 Jahren im Bereich Sprachförderung.
Da können Sie wirklich auf langjährige Expertise und Erfahrung zurückblicken. Deswegen würde ich auch ganz gerne mit so einer allgemeinen Frage anfangen, die jetzt erstmal gar nichts mit Ihrer ganz persönlichen Expertise, was Entwicklung von Sprachkursen angeht, sondern eher darum, wie steht es denn in Deutschland um die Deutschkenntnisse von Kindergartenkindern? Können Sie das aus Ihrer Erfahrung? Was ist Ihr Bild?
Edgardis Garlin: Also ich habe natürlich ganz, ganz viel auch in Kindertagesstätten zu tun. Wir machen viele Fortbildungen in Kindertagesstätten. Ich spreche mit vielen pädagogischen Fachkräften. Also es ist unterschiedlich natürlich. Es gibt ein gewisses Stadt-Land-Gefälle im Sinne von, dass es im ländlichen Raum häufig kein großes Thema ist mit den Deutschkenntnissen, was auch nicht immer so ist, aber häufig. Und dass es in der Stadt desweilen sehr, sehr herausfordernd ist, weil es sehr viele Kinder gibt, die tatsächlich nicht mit Deutsch als Erstsprache in die Kita kommen, was erstmal ja überhaupt gar kein Drama ist. Aber der Stress, der dann entsteht in der Kita, weil man weiß, man muss die Kinder auf die Schule vorbereiten, der ist dann riesig groß. Und der ist spürbar sowohl bei den Pädagoginnen in den Kindertagesstätten als auch bei den Eltern natürlich. Und letztendlich wirkt sich das auch auf die Kinder aus. Also die Herausforderungen sind groß.
Hinzu kommt natürlich der Mangel an Fachkräften. Und ja, das ist nicht einfach. Wir wissen, dass im städtischen Raum zwischen 25 und 50 Prozent der Kinder mit einer anderen Familiensprache aufwachsen als dem Deutschen. Und ja, also wie gesagt, das birgt Herausforderungen.
Sie können doch dann bestimmt auch sagen oder haben dann Erfahrungen mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Kita, wie die ErzieherInnen sie normalerweise beim Deutschlernen unterstützen. Ist es sehr unterschiedlich oder gibt es da bereits Programme?
Edgardis Garlin: Ja, es ist sehr unterschiedlich und ja, es gibt auch Programme. Also ich denke, und da muss ich jetzt erstmal sozusagen wirklich meinen Hut ziehen, weil in dieser ganzen schwierigen Situation, sowohl in den Kitas als auch in den Grundschulen, das was dort momentan geleistet wird, ist einfach phänomenal. Und ich möchte erstmal sozusagen wirklich meinen Respekt zum Ausdruck bringen und wie gegenüber den pädagogischen Fachkräften sowohl in der Kita als auch in der Grundschule. Und ich weiß, dass sich ganz, ganz viele wirklich redlich bemühen, auch die Kinder zu fördern.
Was bei uns natürlich, ich glaube in ganz Deutschland, also in Bayern, ich sitze ja hier in Bayern, aber in ganz Deutschland, glaube ich, ganz stark propagiert wird, ist die alltagsintegrierte Sprachförderung in der Kita. Das birgt aber natürlich auch die Aufgabe, dass ich, wenn ich alltagsintegriert fördere, muss ich eigentlich permanent ein sprachliches Metawissen bereithalten, damit ich weiß, in welcher Situation ich was fördern kann. Das bedeutet, ich muss eigentlich viel über Sprache wissen und auch über Sprachen wissen, um sozusagen wirklich alltagsintegriert handeln zu können.
Was die ErzieherInnen immer wieder sagen, was sie verwenden, relativ systematisch sind Programme zur phonologischen Bewusstheit. Aber das sind ja jetzt nicht spezifisch Programme zur Sprachförderung für das Deutsche als Zweitsprache. Das kann zwar auch ein bisschen helfen, aber das ist es nicht.
Also ansonsten, finde ich, ist es relativ unterschiedlich, was gemacht wird. Inhaltlich glaube ich, dass die Primärförderung, der primäre Fokus auf der Wortschatzförderung liegt und dass PädagogInnen nicht so sehr die Bereiche Grammatik und sprachliche Handlungsmuster im Blick haben.
Ich habe noch mal eine Nachfrage. Das erste, dieses alltagsintegrierte Sprachenlernen. Sie sagten, man braucht dafür ein recht großes oder fundiertes Metawissen über Sprache. Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Edgardis Garlin: So eins meiner Lieblingsbeispiele ist das Thema Präpositionen, also auf, unternehmen, zwischen und so weiter und so fort. Und wir haben ja alle schon festgestellt, dass die Präpositionen so ein bisschen auch durch Sprachkontakt und so weiter so verschwinden. Also das klassische Beispiel ist, wir gehen McDonalds, also wir gehen nicht mehr zu McDonalds oder wir uns McDonalds, also nicht mal vorm oder im oder wo auch immer, dass sowas sozusagen verschwindet. Und das braucht man aber trotzdem, wenn man in die Schule geht. Da kann man einfach nicht darauf verzichten. Soweit ist unser Schulsystem jetzt noch nicht in Veränderung begriffen. Das heißt, ich müsste quasi, wenn ich sage, ich möchte natürlich auch das Thema Präpositionen fördern bei den Kindern, dann müsste ich in der Situation, in der sich das gerade anbietet, müsste ich die Situation so gestalten, dass man auch wirklich Sprachförderung macht, dass es nicht nur Input ist, wir stellen uns jetzt alle auf den Stuhl und hinter den Stuhl und neben den Stuhl, sondern wir müssten halt auch die Kinder in die Lage versetzen, dass sie das sagen und dass sie dann auch das wirklich verstehen, was sozusagen diese Präpositionen bedeuten.
Und das ist machbar, wenn ich ein Metawissen habe und auch ein didaktisches Wissen habe, dann kriegt man das hin. Aber im Alltag ist es wirklich nicht ganz so easy, das mal eben so aus dem Ärmel zu schütteln.
Das kann ich mir leibhaftig vorstellen, ja. Das zweite, was Sie jetzt eben angesprochen haben, war, dass im Fokus vom alltagsintegrierten Sprachenlernen meist die Wortschatzförderung überliegen würde und weniger die Grammatik. Das heißt, die Kinder werden nicht ausreichend dazu animiert, zu erzählen in ganzen Sätzen oder werden wenig korrigiert?
Edgardis Garlin: Ja, das hat ganz viele Komponenten. Also das eine mit dem Sprechen in ganzen Sätzen, das finde ich, das wird häufig missverstanden. Weil das Sprechen in ganzen Sätzen findet eigentlich dann statt, wenn man eine Sprachhandlung initiiert. Also wenn man sozusagen ein Sprecher ist, der etwas, der loslegt, eine Aufforderung formuliert, eine Frage formuliert und so weiter. Die Reaktionen, also das, was in der Hörerrolle passiert, sind meistens sowieso nichts in ganzen Sätzen.
Also ich mache auch dafür ein Beispiel, wenn ich jetzt sage, wie heißt du? Dann wird das Kind sagen, Alexander oder wie auch immer und wird nicht sagen, ich heiße Alexander. Wenn ich jetzt versuche, da rauszukitzeln, ich heiße Alexander, dann nützt das nichts, dem Kind zu sagen, sprich mal in ganzen Sätzen, weil wir das auch nicht tun. Aber wir machen das schon, zum Beispiel, wenn wir ein anderes Handlungsmuster verwenden, nämlich wenn wir uns vorstellen.
Also das ist dann nicht mehr Frage-Antwort, sondern wenn wir uns vorstellen, sagen wir schon irgendwie, ich heiße Alexander und ich bin fünf Jahre alt und ich esse gerne Pizza. Da spricht man dann in ganzen Sätzen. Also die Grammatik werde ich natürlich nicht den kleinen Kindern im Kindergartenalter erklären, aber ich muss sie trotzdem vermitteln. Also Präposition ist ja auch eine Form von Grammatik oder Artikel sind eine Form von Grammatik und Satzbau ist eine Form von Grammatik. Und das Erhellende für Kinder in der Sprachförderung ist, dass sie ja irgendwas verstehen, eine Struktur verstehen. Das ist das Tolle, auch für uns, wenn wir eine Sprache lernen.
Und diese Struktur, die wir verstanden haben, die können wir dann im Alltag gut einsetzen, ausprobieren, anwenden und so weiter und so fort. Aber ich sage ja, also um das zu tun, muss ich halt ein relativ großes Vorwissen haben.
Und ich schließe daraus jetzt haarscharf, dass das in Teilen wahrscheinlich da ist, bei den pädagogischen Fachkräften und in anderen Teilen eher nicht.
Edgardis Garlin: Ja, also interessanterweise ist es viel da bei Menschen, die selber nicht mit Deutsch als Erstsprache in den Einrichtungen arbeiten, weil sie selber mal Deutsch gelernt haben und ein relativ hohes Bewusstsein für diese Aspekte haben. Und sie haben natürlich auch sehr viel Empathie für die Kinder, weil sie wissen, wie sich das anfühlt, wenn man so den ganzen Tag dann so in der Kita ist und ganz, ganz viel nicht versteht und wie ermüdend das auch ist und so weiter und so fort. Bei Muttersprachlern, das ist völlig unabhängig, in welcher Sprache das ist, ist das Sprachbewusstsein im Normalfall einfach nicht so hoch.
Und man macht sich viele Aspekte nicht so bewusst. Und da gibt es natürlich Tricks, wie man das machen kann. Ich würde gerne noch bei dem alltagsintegrierten noch einen Punkt zur Sprache bringen, weil das alltagsintegrierte Sprachfördern auch immer ganz viel voraussetzt, dass wir ein Sprachbad haben. Ein Sprachbad im Deutschen. Das Sprachbad ist für mich, wenn ich mich zurückerinnere an meine erste Grundschulklasse, wir waren 42 Kinder, die haben Deutsch gesprochen und dann kam Bilal aus der Türkei und das war das einzige Kind, das kein Deutsch gesprochen hat. Und Bilal hat in super, super Tempo hat der Deutsch gelernt und alle haben sich darum gekümmert, ihn unterstützt und so weiter.
Das ist einfach nicht mehr gegeben. Das ist in den Kitas, in den städtischen Kitas überwiegend nicht mehr gegeben. Das heißt, es gibt schon auch ein Sprachbad, aber es gibt nicht das deutsche Sprachbad.
Das heißt, die Kinder lernen jetzt nicht von den anderen Kindern das richtige Deutsch und deswegen dürfen wir uns darauf wirklich nicht mehr verlassen, dass das in den Kitas so passiert. Das ist ein wichtiger Punkt, da denkt man nicht dran. Da sagt man oft, wenn die Kinder in die Kita kommen, die lernen alle schnell Deutsch, aber dass da unter Umständen auch drei, vier, fünf, sechs brachen, daran denkt man nicht.
Was würden Sie denn sagen, was müssten die pädagogischen Fachkräfte, die Erzieherinnen anders machen, um die Kinder besser zu unterstützen?
Edgardis Garlin: Da gibt es auch verschiedene Aspekte. Zum einen, wie gesagt, müsste man natürlich, ist es wichtig, dass man sich so ein Sprachwissen aneignet. Das braucht auch ein bisschen Zeit, darüber muss man sich auch klar sein, dass es ein bisschen Zeit braucht, aber das ist auch nichts, was man so auf der anderen Seite, was man so nebenbei tut.
Bei vielen pädagogischen Fachkräften, die tatsächlich auch in der Sprachförderung eingesetzt werden und die interessanterweise dann auch nicht Deutsch als Erstsprache sprechen, haben wir zusätzlich die Situation, dass sich bisweilen auch Fehler einschleichen und damit sozusagen das Sprachvorbild auch nicht ganz so perfekt ist. Aber auch hier sehe ich eigentlich die Möglichkeit, dass man sich auch in dem Bereich verbessert. Also man muss wirklich an der eigenen Sprache kontinuierlich arbeiten, das ist das eine.
Das zweite ist, wir brauchen Interaktionszeit mit den Kindern. Also das Drama, es kommt ja zu allen Herausforderungen noch erschwerend dazu, dass wir in diesem Medienzeitalter leben, in dem sowohl Eltern als auch Kinder einen unheimlich hohen Medienkonsum haben, was dann dazu führt, dass es viel weniger Interaktionszeit gibt. Also wir lernen Sprache nur durch Interaktion.
Wir lernen Sprache nur damit, dass wir miteinander reden. Was anderes geht eigentlich nicht. Und man kann über Sprache was lernen, man kann Wörter lernen oder so, auch über Medien. Wir haben ja auch jetzt inzwischen eine App, wo man sowas machen kann. Aber um wirklich Sprache zu lernen und wie setze ich die richtig ein und so weiter, brauche ich Interaktionszeit. Und auch da wissen wir aus verschiedenen Studien, dass die Interaktionszeit zwischen PädagogInnen und Kindern im Durchschnitt, was habe ich gehört, also mit jedem Kind im Durchschnitt acht Minuten pro Tag beträgt. Und das ist ein Durchschnittswert, der zustande kommt aufgrund der Gruppengröße, aufgrund der Dinge, die alle zu erledigen sind und so weiter und so fort. Und dann ist aber noch nicht berücksichtigt, dass es sehr zurückhaltende Kinder gibt, die dann gar nicht auf ihre Kosten kommen. Also es braucht Interaktionszeit, und es braucht zwangsläufig eigentlich mehr Personal, aber wem sage ich das? Das brauche ich jetzt, glaube ich, nicht groß auszuweiten.
Und was ich noch finde, dass man sich auch nicht nur über das deutsche Gedanken macht, sondern auch über andere Sprachen. Also ich glaube, dass es wahnsinnig fruchtbar ist, wenn man die Erstsprachen der Kinder und der Familien mit einbezieht und dadurch sozusagen insgesamt eine Sprachatmosphäre schafft und dann auch mal so Sprachen miteinander vergleichen kann. Also wie heißt die Nase in der einen und in der anderen, der dritten Sprache und so weiter. Damit wird die Nase viel, viel präsenter, als sie vorher war. Oder sich auch mal irgendwie über andere Sprachen zu informieren. Wenn man merkt, dieses Kind benutzt nie einen Artikel, obwohl ich den doch immer reingebe, den Artikel.
Und dann stellt man fest, das Kind kommt vielleicht aus einer Sprache, wo der Artikel überhaupt keine Rolle spielt. Also klassisch ist es türkische. Und dass man letztendlich ja auch ohne Artikel sprechen kann im Deutschen und sich verständlich machen kann, ist ja auch klar.
Das habe ich auch schon in der Vorbereitung gelesen, dass die Wertschätzung der Muttersprache oder der Erstsprache sehr, sehr wichtig ist, um auch die Akzeptanz von der zweiten und dritten Sprache zu schaffen. Meinem Eindruck nach kommt es oft zu kurz. Und ich glaube, ich sage da jetzt auch nichts Falsches, wenn mein Eindruck ist, mein persönlicher, dass es auch eine Hierarchie der verschiedenen Sprachen gibt. Wenn ein Kind Englisch kann oder Japanisch, irgendeine dieser Prestigesprachen. Ob jemand Türkisch oder Georgisch oder Indonesisch kann, das wird überhaupt nicht richtig wahrgenommen. Und ich glaube, dass die Kinder sowas dann auch spüren.
Edgardis Garlin: Also das ist das eine, dass die Kinder und die Eltern das natürlich spüren. Das führt zum Beispiel auch dazu, dass Familien, die jetzt zum Beispiel mit einer Sprache kommen, die sie selber als unwichtig empfinden, weil es kleine Sprachgruppen sind oder weil es irgendwie hier sowieso niemand kennt oder wie auch immer, dass diese Eltern dann dazu tendieren, entweder Englisch mit den Kindern zu sprechen. Aber das Englisch ist dann auch kein gesundes Englisch, sage ich mal, indem sie einfach viele Konzepte, die man für die Sprache braucht, nicht vermitteln können.
Oder eben, und das wird ja bis heute immer noch propagiert von den Kitas aus oder auch von Kinderärzten oder so, bis heute, dass man sagt, sprechen Sie doch zu Hause Deutsch mit Ihrem Kind, damit es dann nicht so schwierig ist, wenn Sie dann im Kindergarten kommen, in die Schule kommen. Aber dass dieses Deutsch dann fehlerbeladen ist und dass sich diese Fehler fossilieren, also dass sie sich festigen und dann in der Kommunikation gar nicht wieder wegzubringen sind. Und wenn ich mir vorstelle, ich spreche nur Englisch mit meinen Kindern, wie viele Konzepte und Feinheiten ich nicht vermitteln könnte, in einem Englisch, das nicht schlecht ist.
Mein Englisch ist nicht schlecht. Und das braucht man für die Sprache. Und dann bleiben so viele Dinge, also Weltwissen, auf der Strecke.
Ich habe Flyer gesehen, die das BiVem anbietet. Das ist angesiedelt an dem ZAS. Leider kann ich die Akronyme nicht auflösen. Da stand drin, dass es überhaupt kein Problem ist, dass Kinder locker zwei oder drei Sprachen sprechen und lernen und verstehen können. Ich bin jetzt so ein bisschen skeptisch angesichts dieser vielleicht ein bisschen vereinfachten Aussage, angesichts dessen, was Sie jetzt erzählen, dass man diese Sprachbäder ja nicht in einer einheitlichen Sprache bekommt, sondern in vielen verschiedenen Sprachen an einem Tag und an einem Ort. Und dass man dann vielleicht doch nur häppchenweise was aufnehmen kann und dass sich dann die Sprachkonzepte auch vermischen und ein Kind das überhaupt nicht auseinanderhalten kann. Also wie im Türkischen, da gibt es keine Artikel und im Deutschen gibt es Artikel und im Englischen gibt es nur den neutralen Artikel. Wo ich dann denke, ist das wirklich so, wenn so viel auf ein Kind einstürmt in so vielen verschiedenen Sprachen, dass die das wirklich unproblematisch lernen können?
Edgardis Garlin: Es hängt total von der Interaktionsqualität ab. Total. Man sieht das schon in mehrsprachigen Familien, dass es sehr, sehr unterschiedlich ist, wie die Kinder dann sozusagen die zwei oder drei Sprachen, die in der Familie vertreten sind, lernen, annehmen, umsetzen, passiv oder aktiv haben und so weiter und so fort. Also ich stimme dem vollen zu, dass Kinder in der Lage sind, zwei oder drei oder sogar noch mehr Sprachen zu lernen in der Kindheit. Dem stimme ich voll zu.
Aber wenn ich jetzt quasi ein Kauderwelsch an Sprachen habe, dem ich ausgesetzt bin, völlig unkoordiniert, dann wird das zwangsläufig zu einer Pidgin-Sprache führen. Was ja also theoretisch auch okay wäre. Aber wie gesagt, in meiner Tätigkeit habe ich immer im Blick, dass diese Kinder ja in die Schule gehen müssen.
Und diese Schule akzeptiert diese Sprachen, diese Pidgin-Sprache dann nicht. Also es wäre ein anderes Thema sozusagen der monolinguale Habitus der Schule in der multilingualen Gesellschaft. Aber es ist so, wie sie es beschrieben haben. Es ist nicht easy going. Gar nicht easy going.
Wie können sich denn Erzieherinnen weiterbilden? Was empfehlen sie? Sie sagen, man braucht da Zeit für. Ich weiß gar nicht, inwieweit bei der Ausbildung der Erzieherin auch diese Frage des Zweitsprachenerwerbs eigentlich eine Rolle spielt. Sie schütteln den Kopf, sie scheint keine große Rolle zu spielen?
Edgardis Garlin: Ja, ich glaube, es ist nach wie vor unterschiedlich. Also meine Tochter hat gerade die Ausbildung zur Erzieherin absolviert und wir haben darüber gesprochen explizit. Und da war es definitiv so, dass es erstmal keine Rolle gespielt hat. Wobei das natürlich immer auch von den Auszubildenden abhängt, wie viel Vorwissen dort dann da ist.
Aber ich habe ja ein Sprachförderprogramm entwickelt oder eine Methode, sage ich eigentlich eher. Wir haben eine Methode entwickelt, die Kikus-Methode. Was wir sozusagen in unseren Fortbildungen machen, ist tatsächlich, dass wir für die Sprache sensibilisieren, auch für das leidliche Thema Grammatik, auch für das Thema Handlungsmuster, das im Großen und Ganzen überhaupt nicht ein Thema ist, wenn man über Sprachförderung spricht oder lernt. Also was wir wirklich denken, ist, dass heutzutage eine Sprachförderung in der Kleingruppe, eine gezielte Förderung in der Kleingruppe, die regelmäßig stattfindet, und das muss gar nicht so viel sein. Das kann, was wir machen, ist einmal in der Woche für eine Stunde.
Aber gut durchdacht, absolut spielerisch und bewusst machen, dass das ein wunderbarer Weg ist. Zum einen für die Kinder, die im Schutz dieser Kleingruppe von sechs bis acht Kindern sind. Zum anderen aber auch für die Person, für die Pädagogin, die dann sozusagen diesen Sprachkurs oder die Sprachförderung, die gezielte Förderung durchführt, weil sie dann wirklich nicht abgelenkt ist von tausend anderen Sachen im Alltag, sondern sich auf etwas vorbereiten kann und so peu à peu, Woche für Woche für Woche, ihr eigenes Sprachbewusstsein schulen kann und das dann umsetzt. Und wenn das dann in Fleisch und Blut übergegangen ist, wir sagen, das dauert ein bis zwei Jahre, wo man dann so 25 bis 30 Stunden mal gemacht hat und dann vielleicht noch ein zweites Jahr, je nachdem. Aber wenn das dann so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dann kann man nämlich auch wunderbar die Situation im Alltag erkennen und dann so ein bisschen so drehen, dass man auch im Alltag die Sprachförderung machen kann. Ich finde das wichtig und ich finde, wir dürfen, also ich weiß, dass es auch sehr, sehr viele Fortbildungen gibt, wo man ganz viele Informationen auch rausgibt, aber die muss man doch erst mal anwenden, die muss man doch üben.
Man muss doch den Raum haben zu üben und den haben wir nicht mehr. Also wir kriegen Input und wir haben keinen Raum zu üben und dann vergessen wir es wieder und dann geht alles so weiter wie bisher. Und deswegen denke ich, dass dieser Schutz dieses Kurses, wie auch immer man das auch nennen möchte, aber dieser regelmäßigen Sprachförderung in der Kleingruppe, der hilft sowohl den Kindern, erfahrungsgemäß sehr gut, als auch den Leuten, die es durchführen.
Aber das ist ja tatsächlich auch eine schöne Situation, wenn dann beide gleichzeitig lernen.
Edgardis Garlin: Ja, ist es auch. Und es macht auch beiden Spaß, weil man überlegt sich halt vorher wirklich, was will ich machen, mit welchem Spiel, zu welchem Thema und so weiter und welche Sprache wird da genau gefördert. Und dann probiert man das aus und setzt es um. Und manchmal funktioniert es super und manchmal funktioniert es nicht so gut, aber es macht allen Spaß, weil es auch so gut vorbereitet ist. Unser Haupthandwerkszeug ist der Zaubersack und das finden nicht nur Kinder toll, das finden auch Erwachsene toll.
Ja, das ist doch schön. Ich könnte jetzt natürlich Sie auch noch mal fragen, wie Sie die Sprachförderprogramme, die in dem Bereich der Elementarbildung da kursieren, wie Sie die einschätzen. Aber Sie sind ja nun selbst Entwicklerin für eine Methode.
Edgardis Garlin: Als ich angefangen habe vor 25 Jahren, gab es ein paar Sachen, aber ganz, ganz wenig. Und es gab auch noch gar kein Material. Und nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie 2000 erschossen Programme und Materialien und so weiter wie Pilze aus dem Boden. Und das war super, weil es inzwischen viele tolle Materialien gibt. Also ganz bunt querbeet irgendwie. Es gibt wirklich, wirklich, wirklich tolle Angebote.
Ich kenne tatsächlich nicht ein einziges weiteres Programm bis heute nicht, das systematisch die Erstsprachen der Kinder mit einbezieht. Und das ist ein wichtiger Faktor. Das hat nämlich nicht nur etwas mit Wertschätzung zu tun, sondern es ist auch so, dass wir immer, wenn wir eine weitere Sprache lernen, auf die vorhergehenden zurückgreifen.
Das ist eigentlich schade, wenn man es nicht systematisch tut, dass man sozusagen die Erstsprache versucht, mit einzubinden in das Ganze. Also ich komme aus dem Bereich der Linguistik und aus der Didaktik für Deutsch als Fremdsprache. Und es gibt halt, man merkt halt immer den Programmen an, aus welcher Ecke sie auch kommen.
Man merkt, wenn sie eher aus der pädagogischen Ecke kommen, dann gehen sie viel auf Interaktion, aber gucken nicht so viel irgendwie auf die Sprache. Dann gibt es so andere Programme, die kommen aus der Linguistik und sind dann wirklich super linguistisch und grammatisch fokussiert. Das hängt aber auch ganz oft damit zusammen, dass sie dann von Wissenschaftlern entwickelt wurden, die aber dann selber nicht in der Praxis gearbeitet haben. Und das ist ungesund, weil man muss die Dinge ausprobieren.
Und ich hole mir aus allen Programmen, alle, die mir über den Weg laufen, hole ich mir immer irgendwas raus. Aber ich denke, das ist jetzt auch noch mal sowas Besonderes bei Kikus, dass es wirklich zwar ein wissenschaftliches Fundament hat, aber wirklich in der Praxis konzipiert wurde, ausprobiert wurde und so weiter, sodass wir wissen, dass es einfach funktioniert.
Und natürlich die langjährige Erfahrung spielt da auch eine ganz entscheidende Rolle.
Ich war auch fasziniert, als ich gelesen habe, dass das schon auch in verschiedenen Ländern praktiziert wird und nicht nur in Deutschland. Das ist ja schon tatsächlich eine Karriere für so ein Programm. Ich möchte mich an der Stelle erst mal bedanken für dieses Gespräch, Frau Garlin, ich fand es ziemlich spannend. Wollten Sie noch irgendwas loswerden?
Edgardis Garlin: Es gibt eine Stelle, wo ich finde, dass auch sehr gute mehrsprachigkeitsdidaktische Aspekte beleuchtet werden und auch tolle Studien entstanden sind.Das ist nämlich an der Uni Hamburg unter Ingrid Gogolin. Da sind da ganz tolle Sachen entstanden und das würde ich gerne als Tipp noch mit auf den Weg geben. Dass man sich das auch mal anschaut. Die haben nämlich auch so eine Praxisseite mit dabei. Die machen tolle Sachen.
Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
Sehr informatives Interview zu einem Thema, das für unsere Gesellschaft immer dringender wird.
Wie schön, dass die KIKUS Methode die Kinder und Eltern in ihrer Mehrsprachigkeit so annimmt und auf dieser Grundlage fördert.
Hallo Frau Schumann,
vielen Dank für das aufschlussreiche Interview mit Dr. Edgardis Garlin. Es ist beeindruckend zu sehen, wie wichtig die Interaktionsqualität und die Wertschätzung der Erstsprache in der Sprachförderung sind. Besonders interessant fand ich den Aspekt, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die pädagogischen Fachkräfte von einer gezielten Förderung in Kleingruppen profitieren. Die Arbeit, die Frau Garlin und das KIKUS-Programm leisten, ist wirklich bemerkenswert und ein wichtiger Beitrag zur frühkindlichen Bildung.
Viele Grüße von Robert
Ein wirklich inspirierender Beitrag! Die Bedeutung der Interaktionsqualität bei der DaZ-Förderung in Kitas wird hier hervorragend hervorgehoben. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Dr. Edgardis Garlin und das KIKUS-Programm die Sprachentwicklung und Mehrsprachigkeit der Kinder fördern. Besonders wichtig finde ich den Ansatz, die Mutter- oder Erstsprache der Kinder ernst zu nehmen und in den Alltag zu integrieren. Vielen Dank für diesen wertvollen Einblick und die praxisnahen Tipps!
Grüße Michael