Interview mit Prof. Dr. Vera Busse von der Universität Münster
In dieser Episode unserer Podcast-Reihe „Bildungsforschung für die Bildungspraxis“ spricht Dr. Caroline Hartmann mit Prof. Dr. Vera Busse von der Universität Münster über das Grundschul-Interventionsprojekt „KommSchreib!“ zur Förderung von Schreibkompetenz, Schreibmotivation und sozialer Partizipation. Die Interventionsmaßnahmen wurden im Unterricht und ergänzend in Arbeitsgemeinschaften im Ganztag in den Jahrgängen 3 und 4 durchgeführt. Zentrale Bausteine sind dabei die evidenzbasierte Schreibförderung und die Stärkung kooperativen Lernens.
Zum Interview mit Vera Busse
(18 min)
Lesefassung
Frau Prof. Busse, stellen Sie sich bitte kurz vor.
Sehr gerne. Mein Name ist Vera Busse, ich bin Professorin für Bildung und Mehrsprachigkeit an der Universität Münster. Mich beschäftigt vor allem, wie Unterricht so gestaltet werden kann, dass alle Kinder die Chance haben, ihr Potenzial zu entfalten. Mehrsprachigkeit spielt im Schulsystem eine doppelte Rolle: Einerseits sollen Kinder Bildungssprache erwerben, andererseits auch Fremdsprachen lernen. Gleichzeitig wachsen viele Kinder bereits mehrsprachig auf.
Deshalb untersuche ich, unter welchen Bedingungen Kinder erfolgreich mehrere Sprachen lernen können und wie Lehrkräfte sie dabei bestmöglich unterstützen. Besonders spannend finde ich die Förderung des Schreibens, weil gerade das Schreiben für viele Kinder schwierig ist, aber auch ein enormes Potenzial bietet.
Projekt „Komm Schreib“: Ziele der Schreibförderung
Wie ist das Grundschul-Interventionsprojekt „KommSchreib!“ zur Förderung von Schreibkompetenz, Schreibmotivation und sozialer Partizipation entstanden und was sind hier die Ziele?
Schreiben ist eine komplexe Aufgabe, die viele Grundschulkinder überfordert. Mit „KommSchreib“, gefördert vom BMBF, wollten wir gezielt Dritt- und Viertklässler stärken. Der Name steht für kooperativ, kompetent, motiviert schreiben.
Das Projekt „KommSchreib!“
Wir verfolgen drei Ziele: Schreibkompetenz aufbauen, Motivation fördern und soziale Teilhabe ermöglichen.
Wir haben Lehrkräfte umfassend geschult und ihnen Methoden an die Hand gegeben, die im Unterricht eingesetzt wurden: etwa das Planen, Verfassen und Überarbeiten von Texten mit Unterstützung durch Modelltexte, Feedback und Peer-Learning.
Schreibförderung im Ganztag: Multimediales Kochbuch als Schreibanlass
Wie sah die Umsetzung im offenen Ganztag aus?
Im Ganztag haben wir die Schreibförderung weitergeführt, aber mit einem sehr authentischen Anlass. Die Kinder erstellten ein mehrsprachiges, multimediales Kochbuch am Tablet. Sie schrieben Rezepte, probierten sie praktisch aus und aßen gemeinsam. Auf diese Weise verbanden wir das Schreiben mit echten Erlebnissen – die Texte hatten einen Sinn, sie führten zu etwas Greifbarem.
Besonders motivierend war für die Kinder der Einsatz digitaler Medien. Das Arbeiten am Tablet machte ihnen Freude und sie konnten Texte multimedial gestalten. Das unterschied die AGs vom Regelunterricht und zeigte, wie Schreiben auch als soziale und kreative Praxis verstanden werden kann.
Ergebnisse: Schreibkompetenz und Motivation steigern
Welche Ergebnisse konnten Sie feststellen?
Die Auswertung war sehr spannend. Schon zu Beginn zeigten sich große Unterschiede: Einige Kinder konnten bereits längere, strukturierte Texte schreiben, andere hatten Mühe, überhaupt einen vollständigen Satz zu formulieren. Über den Projektverlauf wurde zudem deutlich, wie stark der Einfluss der Lehrkräfte ist. Dort, wo Lehrkräfte die erlernten Methoden konsequent anwendeten, verbesserten sich die Schreibfähigkeiten der Kinder deutlich mehr als in der Kontrollgruppe.
Besonders erfreulich war, dass auch Kinder, die sich sonst beim Schreiben schwer taten, Fortschritte machten. Im Ganztag zeigte sich zudem, dass Motivation eine entscheidende Rolle spielt: Selbst Kinder, die ungern schreiben, arbeiteten begeistert an den Kochbuch-Rezepten. Sie berichteten, dass das Schreiben am Tablet mehr Spaß mache als mit der Hand, und die authentische Aufgabe verstärkte dieses positive Erlebnis.
Herausforderungen: Schreibförderung im Schulalltag
Welche Schwierigkeiten haben Sie bei der Umsetzung erlebt?
Viele Grundschulen setzen auf Leseförderung und empfinden daher Projekte zur Schreibförderung als zusätzlichen Aufwand. Auch die wissenschaftlich notwendige Dokumentation wurde teilweise als Belastung empfunden, obwohl sie uns wertvolle Einblicke in die Wirksamkeit der Maßnahmen gegeben hat.
Hinzu kommt der Umgang mit digitalen Medien. Tablets haben großes Potenzial, können aber auch ablenken. Es braucht klare Strukturen und gut geschulte Lehrkräfte oder AG-Leitungen, um die Chancen voll auszuschöpfen und gleichzeitig Grenzen zu setzen.
Schreibförderung erfolgreich umsetzen: Drei Kernbotschaften
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Botschaften für die Praxis?
Erstens: Strategiegeleitete Schreibförderung wirkt deutlich besser als herkömmlicher Unterricht. Wenn Kinder lernen, Texte Schritt für Schritt zu planen und zu überarbeiten, profitieren sie nachhaltig.
Interessantes beim Deutschen Bildungsserver
Zweitens: Lehrkräfte, die in diesen Methoden geschult werden, erzielen die besten Ergebnisse. Viele berichteten uns, dass sie zunächst zögerten, etwa beim Modellieren von Schreibprozessen, dann aber schnell merkten, wie gut die Kinder darauf ansprechen.
Und drittens: Manche Kinder brauchen einfach mehr Zeit. Hier bietet der Ganztag eine große Chance. Dort können kreative Projekte wie das Kochbuch umgesetzt werden, die im Unterricht oft keinen Platz finden, aber sehr wirksam sind.
Wissenstransfer: Wie Lehrkräfte von Forschung profitieren
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Ergebnisse in der Praxis ankommen?
Natürlich veröffentlichen wir in Fachzeitschriften, aber uns ist wichtig, die Erkenntnisse auch für Lehrkräfte zugänglich zu machen. Deshalb schreiben wir zusätzlich praxisorientierte Beiträge, bieten Fortbildungen an und arbeiten an kurzen Filmen, die zentrale Inhalte anschaulich zusammenfassen.
Ich finde, wir sollten in der Bildungsdebatte nicht nur Defizite wie die Pisa-Ergebnisse betonen, sondern auch gerade positive Projekte sichtbarer machen. „KommSchreib!“ ist ein Beispiel dafür, wie wir Kinder gezielt fördern können – und solche Ansätze sollten stärker in den Fokus rücken.
Fazit: Schreibförderung in Grundschule und Ganztag lohnt sich
Was nehmen Sie persönlich aus dem Projekt mit?
Für mich zeigt sich ganz deutlich: Investitionen in Schreibförderung zahlen sich aus. Wenn Lehrkräfte geschult werden, wenn authentische Schreibanlässe geschaffen und digitale Medien sinnvoll genutzt werden, dann verbessert sich nicht nur die Schreibkompetenz, sondern auch die Motivation der Kinder.
Und noch wichtiger: Schreiben wird so zu einem Werkzeug der Teilhabe. Kinder erfahren, dass ihre Texte Bedeutung haben und etwas bewirken können – im Unterricht genauso wie im Ganztag.
(Transcribed by Voice AI. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit gekürzt und geglättet.)
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver


Hallo,
ein schönes Projekt, das ich in seiner Konzeption voll unterstützen kann.
Allerdings mit einer Einschränkung, die mich zum Schreiben dieses Kommentars bzw. dieser Kritik veranlasst, weil es letztlich auch meine Kinder betrifft:
Ich verstehe nicht, warum immer wieder trotz eigentlich besseren Wissens schon im Grundschulalter digitalen Medien eingesetzt werden. Hier mit dem Verweis auf höhere Motivation durch Schreiben am Tablet, obwohl z.B. Hattie bereits vor geraumer Zeit nachgewiesen hat., dass sich dieser Motivationsfaktor spätestens nach wenigen Monaten erledigt hat. Im besten Fall geht also dieser Motivationsfaktor relativ schnell verloren (und lässt sich dann für andere Lernbereiche auch kaum wiederholen), eher aber noch wirken die Tablets ablenkend und verringern eher den Lernerfolg als dass sie ihn fördern. Gleichzeitig aber erhöhen sie die i.d.R. leider sowieso schon vorhandenen zu hohen Bildschirmzeiten der Kinder außerhalb der Schule. Weitaus schwerwiegender sehe ich aber den – auch wenn es nur teilweise sein sollte- Verzicht auf das Schreiben mit der Hand. Zahlreiche neurowissenschaftliche Studien belegen die Bedeutung dieser essenziellen Kulturtechnik für die Gehirnentwicklung sowohl motorisch als auch kognitiv. Gefühlt geht das für mich in eine Richtung, dass man „den Kindern etwas Unzumutbares mit dem Schreiben per Hand antäte“ und man ihnen „diese Last unbedingt nehme müsste“. Da spielt für mich auch das Thema Anstrengungsbereitschaft eine große Rolle, die auf diesem Wege in meinen Augen den Kindern aktiv aberzogen wird.
Nur zur Klarstellung: Ich verteufel digitale Medien nicht und sie sind aus dem Alltag nicht wegzudenken und haben ihre Berechtigung natürlich auch in der Schule. Aber zumindest in der Grundschule (leider ist es unrealistisch, aber eher sogar bis einschließlich 6. Klasse) sollten diese keine Rolle spielen. (Stellvertretend zum Thema digtale Medien in der Schule seien hier nur die Forschungen von Prof. Christian Montag von der Uni Ulm genannt bzw. die von ihm angeführten, weltweiten Studienergebnisse dazu).
Entsprechend wäre es zumindest interessant gewesen, eine Kontrollgruppe zu haben, die nur mit der Hand geschrieben hätte, um zu sehen wie dann die Ergebnisse im Vergleich ausfielen. Aber selbst wenn die Schreib-Gruppe aufgrund geringere Motivation geringer ausfiele, bliebe die Frage, welche anderen Vorteile bwz. geringe Defizit in anderen Bereichen sie dann gegenüber der „tippenden“ Gruppe hätte.
Ich finde es bedenklich und schade dass diese Thematik von der Problematik von digitalen Medien in der Schule in der universitären Schulforschung viel zu wenig Berücksichtigung findet.