Interview mit Sanem Kleff über das schulische Präventionsnetzwerk gegen Ungleichwertigkeitsdenken und Demokratiebildung
In dieser Folge von „Bildung auf die Ohren“ spricht Caroline Hartmann mit Frau Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, dem größten schulischen Präventionsnetzwerk gegen Ungleichwertigkeitsdenken, über die Demokratiebildung an deutschen Schulen, über die Möglichkeiten und Chancen, aber auch über die derzeitigen vielschichtigen Herausforderungen.
Zum Interview mit Sanem Kleff
Lesefassung
Wie ist „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ entstanden, und was zeichnet dieses Netzwerk aus?
Ich selbst bin im Jahr 2000 zu dieser Arbeit gekommen. Damals erzählte man mir von einer Idee, die aus den Niederlanden und Belgien stammte – ein spannender Ansatz. Die Frage lautete: Wie können wir das nach Deutschland bringen? Passt das zu uns? Aus diesen Überlegungen entstand der erste Impuls – und seit einem Vierteljahrhundert prägt diese Arbeit nun mein Leben.
Dossiers mit Unterrichtsmaterialien und Projekten im Bereich Demokratiebildung beim Deutschen Bildungsserver
- Unterrichtsmaterialien zu Demokratie, Partizipation und Wertevermittlung
- Rassismus Prävention – Arbeitsblätter und Unterrichtsmaterialien
- Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antisemitismus
- Unterrichtsmaterialien, Arbeitsblätter und Projekte zur Prävention von Antiziganismus
- Unterrichtsmaterialien und Methoden zur Prävention von Rechtsextremismus in der Schule
Es gibt in Deutschland viele Initiativen und Netzwerke, die sich für Demokratie und Respekt im schulischen Umfeld einsetzen. Eine Besonderheit unseres Netzwerks ist jedoch, dass Schulen, die beitreten möchten, sich freiwillig selbst verpflichten: Sie schauen nicht weg, wenn an ihrer Schule Diskriminierung, Mobbing, Gewalt oder Rassismus auftreten. Das ist der Kern unserer Arbeit.
Nach ihrem Beitritt sind die Schulen nicht auf sich allein gestellt. Sie werden Teil eines bundesweiten Netzwerks mit fast 4.700 Schulen und erhalten Unterstützung durch regionale Ansprechpersonen. In jedem Bundesland gibt es eine Landeskoordinierungsstelle, und zusätzlich stehen 120 regionale Beratungs- und Koordinierungsstellen bereit.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Schulen entscheiden selbst, welche Maßnahmen sie ergreifen und wie sie arbeiten wollen. Dabei unterstützen wir sie durch Impulse, Anregungen und Beratung. Unser Ansatz ist kein vorgefertigtes Konzept, das von außen vorgegeben wird. Vielmehr müssen die Schulen selbst aktiv werden – das macht unser Netzwerk so besonders.
Das Potential der Schulen für Demokratiebildung wird zu wenig genutzt
Wie sieht die Demokratiebildung an deutschen Schulen aus? Welche positiven Entwicklungen gibt es und wo sehen Sie Defizite?
Ich bin nicht der Meinung, dass deutsche Schulen grundsätzlich ungeeignet oder unfähig wären, demokratische Werte zu vermitteln.
Ich bedaure jedoch, dass das enorme Potenzial von Schulen viel zu wenig genutzt wird. Schule könnte viel effektiver, flächendeckender und vielseitiger Demokratie als Haltung und Kompetenz fördern. Es gibt bereits viele gute Ansätze – aber es könnten noch viel mehr sein.
Schulen verlieren den Kontakt nach außen
Mit unserer Arbeit in den Courage-Schulen möchten wir dazu beitragen, Lehrkräfte zu ermutigen, neue Wege zu gehen, und Schülerinnen und Schüler daran zu erinnern, dass sie die Mehrheit in der Schule sind – sie können etwas bewirken, wenn sie aktiv werden.
Ein Problem ist jedoch, dass viele Schulen dazu neigen, sich nach innen zu kehren und den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Die vielen Herausforderungen und Belastungen im Schulalltag führen dazu, dass Schulen häufig ihre Rolle in der Gesellschaft aus dem Blick verlieren. Aber gerade dieser Austausch mit der Kommune, mit lokalen Initiativen und Akteurinnen ist wichtig.
Wir wollen Schulen motivieren, sich nach außen zu öffnen, ihre Stimme in der Gesellschaft hörbar zu machen woie aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen – sei es durch Stadtteilveranstaltungen, Kooperationen mit lokalen Organisationen oder Projekte mit externen Expertinnen und Experten.
Polarisierung muss im Unterricht thematisiert werden
Wie sollten Schulen auf die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung reagieren? Welche Maßnahmen sind sinnvoll – kurzfristig und langfristig?
Gesellschaftliche Unterschiede gab es schon immer. Doch in den letzten zehn Jahren, insbesondere durch die Corona-Pandemie, hat sich die Polarisierung noch einmal verstärkt. Viele Themen wurden plötzlich auf einfache Ja-Nein-Fragen reduziert, und die gesellschaftliche Ungleichheit hat weiter zugenommen.
Ein erster Schritt dagegen ist, diese Polarisierung anzusprechen, zu problematisieren und zu reflektieren. Schüler*innen, Lehrkräfte und Schulleitungen müssen verstehen, warum Polarisierung gefährlich ist und niemandem nützt – im Gegenteil, sie verhindert ein friedliches Miteinander.
Ich wünsche mir deshalb mehr Diskussionen über Ungleichheit, Diskriminierung und gesellschaftliche Spaltungen – sowohl in den Klassenzimmern als auch im Kollegium.
Demokratiebildung als Daueraufgabe
Konkrete Maßnahmen gibt es viele. Schulleitungen können zum Beispiel aktiv nach Wegen suchen, wie sie ihre Schule besser an die Bedürfnisse der Eltern und Schüler*innen anpassen. Dazu gehört etwa die Frage: Welche Sprachen werden in der Schulgemeinschaft gesprochen? Können alle Eltern an Elternabenden teilnehmen? Viele Schulleitungen setzen hier bereits viele gute und sinnvolle Maßnahmen um – und viele Lehrkräfte engagieren sich mit kreativen Ansätzen für ein besseres Miteinander.
Auf Ihre Frage nach kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen: Man kann hier sofort handeln. Konflikte lösen sich nicht von selbst – wenn sie ignoriert werden, schwelen sie weiter. Demokratiebildung ist eine Daueraufgabe, die nie aufhören darf.
Lehrkräftemangel als größtes Problem
Welche Unterstützung bräuchten Schulen für eine bessere Demokratiebildung?
Der größte Mangel an Schulen ist Personal. Es fehlen schlichtweg „Erwachsenen-Minuten pro Kind“ – und das mehr denn je. Der Personalmangel wird derzeit noch durch Quer- und Seiteneinsteiger*innen und externe Fachkräfte überdeckt, die unterstützend tätig sind. Dagegen ist nichts zu sagen, doch sie sollten zusätzlich eingestellt werden und nicht ausgebildete Pädagog*innen ersetzen.
Ein weiteres Problem: Die Fächer und Aktivitäten, die für das soziale Miteinander besonders wichtig sind – etwa Sport, Kunst, Musik, Exkursionen, Klassenfahrten oder einfach persönliche Gespräche – fallen als erstes weg, wenn der Lehrkräftemangel zu groß wird. Das ist fatal, denn genau diese Angebote sind essenziell für eine starke demokratische Kultur.
Zum Glück gibt es mittlerweile viele zivilgesellschaftliche Organisationen und auch Landeszentralen für politische Bildung, die wertvolle Unterstützung leisten können – durch Workshops, Seminare oder Austauschformate.
Wie vermitteln wir Kindern nachhaltig die Werte von Demokratie und Gleichberechtigung?
Eine Gesellschaft kann nur die Werte an ihre Kinder weitergeben, zu denen sie selbst mehrheitlich steht. Das bedeutet: Wir Erwachsenen müssen vorleben, was wir vermitteln wollen. Das Beste, was wir für junge Menschen tun können, ist, unsere eigene Haltung zu Demokratie und Menschenrechten zu stärken, uns aktiv gegen Ungleichwertigkeitsdenken, Antisemitismus, Homophobie und Klassismus einzusetzen und eine Gesellschaft zu gestalten, in der demokratische Werte gelebt werden – nicht nur in der Schule, sondern überall. Denn nur dann haben unsere Kinder eine Chance, diese Werte wirklich zu verinnerlichen.
(Transcribed by TurboScribe.ai. Go Unlimited to remove this message. Wir haben das Interview für eine bessere Lesbarkeit geglättet.)
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Caroline Hartmann für Deutscher Bildungsserver.