Bildung im digitalen Wandel: Die Rolle des pädagogischen Personals (2/5)
Aktuelle Befunde zur Rolle und zur Aus- und Fortbildung des pädagogischen Personals in der allgemeinbildenden Schule
Systematic Reviews (4)
Das Interview mit Dr. Bettina Waffner von der Universität Duisburg Essen beleuchtet Befunde aus einer aktuellen systematischen Literaturübersicht im BMBF-Metavorhaben „Digitalisierung im Bildungsbereich.“ Es zeigt sich, dass über die technische Ausstattung hinaus erprobte didaktische Konzepte und eine positive Grundhaltung des pädagogischen Personals gegenüber digitalen Medien maßgeblich sind, um die Digitalisierung in der Schule voranzutreiben.
In diesem Podcast dreht sich alles um die Rolle des pädagogischen Personals im Zuge der Digitalisierung. Das Thema Schule und Digitalisierung wurde gerade in der Corona-Pandemie besonders herausgestellt, da man schnell gemerkt hat, dass viele Schulen unzureichend ausgestattet sind und Lehrkräfte nicht fit genug sind, um digitalen Unterricht von heute auf morgen umzusetzen. Das Interview mit Dr. Bettina Waffner von der Universität Duisburg Essen beleuchtet Befunde aus einer aktuellen systematischen Literaturübersicht im BMBF-Metavorhaben „Digitalisierung im Bildungsbereich.“ Es zeigt sich, dass über die technische Ausstattung hinaus erprobte didaktische Konzepte und eine positive Grundhaltung des pädagogischen Personals gegenüber digitalen Medien maßgeblich sind, um die Digitalisierung in der Schule voranzutreiben. Die Analyse von 125 vorrangig internationalen Studien zeigt, dass gemeinsam entwickelte Konzepte zwischen Schulleitungen und Lehrkräften, das kollektive Erproben von Lehr- und Lehrszenarien und praxisnahe, kontinuierliche Fort- und Weiterbildungen der Schlüssel für eine gelungene Digitalisierung in diesem Bildungsbereich sein können.
Lesefassung des Podcasts
Carolin Anda: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Podcastfolge „Bildung auf die Ohren – Dem Podcast des Deutschen Bildungsservers“. Heute dreht sich alles um die Rolle des pädagogischen Personals im Zuge der Digitalisierung. Das Thema Schule und Digitalisierung wurde gerade in der Corona Pandemie besonders herausgestellt, da man schnell gemerkt hat, dass viele Schulen unzureichend ausgestattet sind und Lehrkräfte nicht fit genug sind, um digitalen Unterricht von heute auf morgen umzusetzen. Mein Name ist Carolin Anda und ich spreche im heutigen Interview mit Dr. Bettina Waffner von der Universität Duisburg Essen. Sie hat die Rolle des pädagogischen Personals im Zuge der Digitalisierung in einer aktuellen systematischen Literaturübersicht im BMBF Metavorhaben „Digitalisierung im Bildungsbereich“ näher beleuchtet.
Frau Waffner, welche Erkenntnisse haben Sie in der Übersicht gewonnen und gab es besonders überraschende Befunde?
Bettina Waffner: Ja, herzlichen Dank für die Möglichkeit hier über das Dossier bzw. das Review zu sprechen. Für mich war insbesondere die internationale Forschung sehr interessant, denn in Deutschland haben wir wenige empirische Befunde über die Frage wie, wofür und mit welchem Erfolg digitale Medien in der Unterrichtspraxis eingesetzt werden. Dabei wurde sehr deutlich, dass die Bereitstellung von Technik und Schulungen zur Bedienung der Technik keinesfalls ausreicht, um digitale Medien erfolgreich in die Unterrichtspraxis zu integrieren. Das hat mich nicht überrascht, denn wir wissen aus Berichten aus Schulen häufig, dass eine bestimmte Technik wie z.B. interaktive Whiteboards angeschafft werden, die aber nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden. Aus der Perspektive der Lehrkräfte konnten weitere Bedingungen identifiziert werden, die für eine erfolgreiche und nachhaltige Medienintegration wichtig sind.
Was mich aber durchaus überrascht hat, ist, dass auch im internationalen Kontext wenig digitalgestützte didaktische Lerninnovationen vorhanden sind, die erprobt und erforscht werden. Offenbar stehen wir hier noch am Anfang. Was allerdings durchaus festzustellen ist, ist, dass eine konstruktivistische pädagogische Grundhaltung, die lernendenzentriert auf der Förderung selbstgesteuerten Lernens und einem Unterricht basiert, der Problemlösungsorientierung und Kreativität in den Mittelpunkt stellt, einen signifikanten Einfluss auf das Ausprobieren digitalgestützter Lerninnovationen hat.
Carolin Anda: Wie war Ihr Vorgehen, um selbst einen guten Überblick über die relevante Literatur zu erhalten? Immerhin haben Sie ja eine hohe Anzahl an passender Literatur für den Bereich Schule in der Suche identifiziert.
Bettina Waffner: In der Tat hatten wir über 3000 Titel recherchiert, die sich in dem Themenfeld bewegen. Ich habe mich dann ausschließlich auf wissenschaftliche Zeitschriftenartikel fokussiert, in denen ja die aktuelle wissenschaftliche Debatte sehr gut abgebildet ist. Außerdem habe ich Titel ausgeschlossen, die den wissenschaftlichen Gütekriterien nicht entsprachen oder thematisch an den Forschungsfragen vorbeigingen. Insbesondere im deutschen Kontext gibt es sehr viele Erfahrungsberichte, die eben keine wissenschaftliche Forschung sind. Das Review umfasst nun letztlich 125 Titel, die in die Forschungssynthese einflossen.
Carolin Anda: Das ist immer noch eine ganze Menge. Haben Sie auch Faktoren gefunden, damit Lehrerinnen und Lehrer gute digitale Lehre anbieten können? Geben die analysierten Studien darüber Aufschluss?
Bettina Waffner: Ich denke, dass sich zwei entscheidende Aspekte nennen lassen. Insbesondere die internationale Forschung zeigt, dass die Möglichkeit, kontinuierlich Erfahrungen mit dem Einsatz neuer Technik und Programmen und das Ausprobieren entscheidend wichtig sind. Dann braucht es Zeit und verschiedene Netzwerke, sich über diese Erfahrungen auszutauschen. Ein anderer Punkt ist die Unterstützung sowohl in Form eines technischen und administrativen Supports als auch in Form von Hospitation und einer gemeinsamen Reflexion der Unterrichtspraxis.
Was Lehrkräfte ausmacht, die ihr Fach gut vermitteln können, ist eine kompetente Verknüpfung von Fachwissen und pädagogischem Wissen. Nun kommt hier eine weitere Komponente hinzu – nämlich das technologische Wissen. Auch das bedarf einer Verknüpfung mit dem Fachwissen und dem pädagogischen Wissen, damit digitalgestützte didaktische Unterrichtsformate entstehen können.
Carolin Anda: Und auf welchen Themen lag bei den Befunden der Fokus, wenn es um das pädagogische Personal ging?
Bettina Waffner: Interessant ist, dass die Einstellung und Haltung von Lehrkräften für eine gelingende Medienintegration von zentraler Bedeutung ist. Insofern sind Lehrerfort- und Weiterbildungen wichtig, die langfristig und begleitend angelegt sind, denn nur dann können sich Einstellungen und Haltungen sukzessive verändern. In den Studien zeigt sich, dass eine positive Einstellung zu digitalen Medien in der Bildung das Ausprobieren und sich auf fremdes Terrain zu begeben, fördert. Wenn ich der Ansicht bin, dass Kinder vor der Arbeit mit digitalen Medien geschützt werden müssen, werde ich mich darauf kaum einlassen können. Im Austausch und in Fortbildungen kann ich aber die Vielfalt der Arbeit am Bildschirm kennenlernen, ausprobieren und dadurch ein differenziertes Bild entwickeln, was die Herausforderungen und auch Gefahren sind, denen Kinder und Jugendliche im Netz begegnen.
Ein weiterer Aspekt, den ich eingangs schon erwähnt habe, ist die pädagogische Grundhaltung. Dass eine positive pädagogische Grundhaltung förderlich ist, um digitale Medien in die Unterrichtspraxis einzusetzen.
Aber es gibt auch noch einen dritten Befund, der sich direkt auf die Lehrperson bezieht. Je ausgeprägter das Selbstwirksamkeitsempfinden und das Selbstbewusstsein im Umgang mit digitalen Medien ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass digitale Medien auch in die Unterrichtspraxis eingesetzt werden. Hier gibt es also im Grunde einen Teufelskreis, denn je häufiger ich digitale Medien nutze, desto ausgeprägter ist auch mein souveräner Umgang damit. Je seltener ich sie nutze, desto größer ist meine Unsicherheit.
Carolin Anda: Und haben Sie Beispiele, z.B. für die Unterrichtspraxis aus anderen Ländern gefunden, von denen wir in unserem Bildungssystem lernen könnten?
Bettina Waffner: Es ist definitiv nicht so, dass in anderen Ländern alles perfekt läuft, aber mir scheint es ein wichtiger Aspekt zu sein, dass der Handlungsspielraum in einer Schule, der auch in Deutschland trotz ministerialer Vorgaben vorhanden ist, sinnvoll ausgenutzt wird. Das gelingt insbesondere dann gut, wenn Kollegium und Schulleitung eine gemeinsame „policy“ entwickelt haben, die eine klare Vision zur Gestaltung zeitgemäßer Schule aufzeigt, und dann sind digitale Medien selbstverständlich integriert.
Hier kann man zum Beispiel von dem neuseeländischen Schulsystem lernen, dass vor einigen Jahren in einer großen Bildungsreform die Autonomie der Schulen erheblich gestärkt haben. Das fördert die Dynamik, die in Veränderungsprozessen liegt und auch die Eigenverantwortung einzelner Schulleitungen und Lehrkräften.
Carolin Anda: Ja, das sind ja in der Tat interessante Beispiele und vielleicht abschließend: Wie kann das pädagogische Personal und die pädagogische Praxis von ihrem Review profitieren?
Bettina Waffner: Ich denke, dass insbesondere zwei Ergebnisse aus dieser Forschungssynthese besonders wichtig für die Bildungspraxis, aber auch für die Bildungspolitik und die Bildungsadministration sind. Es konnten Gelingensbedingungen für Medienintegration in die Unterrichtspraxis aus diesen über 100 Forschungsprojekten identifiziert und in einer Synthese dargestellt werden, die wichtige Impulse dafür geben, was benötigt wird. Da zeigt sich im übrigen insbesondere in der neuesten Forschung der vergangenen zwei Jahre, dass eine geeignete technische Infrastruktur, die flexibel und übergangslos analoge und digitale Materialien und Formate nutzen lässt, besonders dann wichtig ist, wenn Lehrkräfte gerade erst beginnen, sich mit der neuen Technik vertraut zu machen. Eine gute Infrastruktur, also anwenderfreundliche, miteinander kompatible Geräte und ein leistungsstarkes WLAN-Netz, steigern die Motivation und den Spaß, sich auch mit der Technik vertraut zu machen. Tatsächlich hat auch eine 1:1 Ausstattung der Schüler*innen einen signifikant positiven Einfluss auf die Nutzungshäufigkeit und die Kompetenzen von Lehrkräften. Aber neben der technischen Ausstattung gibt es noch zehn weitere Gelingensbedingungen, die wichtig sind.
Ein zweiter Aspekt ist die Konzeption und Integration von Lehrkräftefortbildung in den beruflichen Alltag. Traditionelle Fortbildungen, die in Präsenz einmalig stattfinden, sind wenig hilfreich in Veränderungsprozessen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass erstens fachliche und pädagogisch-didaktische Ideen in konkrete digitalgestützte Anwendungen für den Unterricht übersetzt werden, dass zweitens Lehrkräfte neue Konzepte nicht nur beschreiben, sondern in der Praxis anwenden, dass drittens kompetente Akteure in den Prozess eingebunden werden, die Unterrichtspraxis evaluieren und Feedback geben und viertens Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden sowie Raum zu kollaborativer Arbeit geschaffen werden. Das kann durchaus auch digitalgestützt und unter Einbezug sozialer Netzwerke geschehen. Das „Twitterlehrerzimmer“ ist in Deutschland ein Beispiel dafür.
Ich freue mich sehr, dass ich bereits einige Anfragen aus der Landesministerien habe, gemeinsam auf dieser Basis über neue Konzepte für Fortbildungen z nachzudenken.
Carolin Anda: Ja, wunderbar, vielen Dank für den interessanten und umfangreichen Einblick in das Dossier und Ihre zukünftige Arbeit in diesem Bereich. Da freue ich mich schon auf den zweiten Band der Reihe „Bildung im digitalen Wandel“, indem Sie sich Fragen der Organisationsentwicklung im Zuge der Digitalisierung widmen werden. Dann einen schönen Tag und bis bald
Bettina Waffner: Ja, herzlichen Dank!
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Carolin Anda für Deutscher Bildungsserver
Ein echt guter Beitrag!
Danke!