Wohlergehen von Kindern in sozialräumlichen Kontexten: Forschung zu Lernorten, digitaler Teilhabe und Stadtplanung

Interview mit Susann Fegter und Angela Million von der TU Berlin

Was brauchen Kinder, um sich wohlzufühlen – und wie beeinflusst das ihr Lernen? In dieser Podcast-Folge sprechen Prof. Dr. Susann Fegter und Prof. Dr. Angela Million, beide TU Berlin, mit Christine Schumann über ihr Forschungsprojekt zum Wohlergehen von Kindern in außerschulischen Lernorten. Im Fokus stehen digitale Teilhabe, Raumgestaltung und stabile Beziehungen – zentrale Faktoren für kindliches Wohlbefinden und erfolgreiche Bildungsprozesse.

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(31min)


Lesefassung

Interview-Zusammenfassung: „Wohlergehen in sozialräumlichen Kontexten“

Guten Tag und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren, dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. In der neuen Podcast-Folge unserer Reihe „Bildungsforschung für die Bildungspraxis“ geht es um Kinder und Jugendliche und darum, wie wohl oder unwohl sie sich in außerschulischen Lernorten fühlen. Und weil es um reale und nicht um digitale Räume geht, haben für dieses Verbundprojekt zwei Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Instituten der Technischen Universität Berlin zusammengearbeitet.

Professor Dr. Susann Fegter vom Institut für Erziehungswissenschaft und Professor Dr. Angela Million vom Institut für Stadt- und Regionalplanung. Gemeinsam mit der Universität Vechta haben sie aus der Sicht von Kindern rekonstruiert, wie, wo und mit wem die Kinder und Jugendlichen in ihrem Umfeld gute Erfahrungen gemacht haben. Es geht um Partizipation, das Gefühl von Schutz und Sicherheit und auch von Wertschätzung gegenüber der eigenen Person und wo die Kinder Verbesserungsbedarf sehen.

Das Forschungsprojekt, über das wir heute sprechen werden, heißt „Wohlergehen in sozialräumlichen Kontexten. Intersektionale Perspektiven auf die Erfahrungen von Kindern an nicht-schulischen Lernorten“ und stellt konsequent den Blickwinkel der Kinder ins Zentrum der Forschung. Eine für die Bildungswissenschaften doch eher ungewöhnliche Perspektive. Frau Fegter, Frau Million, ich freue mich sehr, dass Sie hier sind.

Frau Fegter, Frau Million – worum geht es in Ihrem gemeinsamen Forschungsprojekt?

Susann Fegter: Unser Projekt „Wohlergehen in sozialräumlichen Kontexten“ untersucht, wie Kinder und Jugendliche außerschulische Lernorte erleben – aus ihrer eigenen Perspektive. Es geht nicht um Wellness, sondern um zentrale Aspekte wie Partizipation, Schutz, Sicherheit und Wertschätzung. Diese Faktoren beeinflussen, wie offen Kinder sich auf Lernprozesse einlassen – besonders in herausfordernden Lebenslagen.

Angela Million: Wir wollten bewusst Räume außerhalb der Schule betrachten – etwa Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder das Stadtviertel. Dort machen Kinder wichtige Erfahrungen, die in der Bildungsforschung bisher wenig berücksichtigt wurden.
Interviewer: Wie haben Sie die Perspektiven der Kinder erfasst?

Angela Million: Wir haben über drei Jahre hinweg Kinder in zwei offenen Freizeiteinrichtungen begleitet – in zwei verschiedenen Städten. Dabei haben wir sie nicht nur in den Einrichtungen beobachtet, sondern auch im umliegenden Stadtviertel. Spaziergänge, Interviews und digitale Karten halfen uns, ihre Wohlfühlräume zu erfassen – auch solche, die digital verortet sind.

Susann Fegter: Uns war wichtig, Kinder als Expertinnen ihrer Lebenswelt ernst zu nehmen. Die Kategorien, die wir verwendet haben – Partizipation, Schutz, Sicherheit und Wertschätzung – stammen direkt aus kindlichen Perspektiven und wurden auf den außerschulischen Raum übertragen.

Das Spiel als Forschungsinstrument und Beteiligungstool

Sie haben ein Spiel entwickelt. Wie kam es dazu?

Angela Million: Das Spiel entstand aus den Beobachtungen heraus – es war kein zweistufiger Prozess, sondern ein ineinander verschränkter. Wir haben festgestellt, dass das Spiel viel mehr leisten kann als nur ein wissenschaftliches Instrument zu sein. Es eignet sich hervorragend für Beteiligungsprozesse und kann unabhängig von uns in verschiedenen Institutionen eingesetzt werden.

Susann Fegter: Es hilft, mit Kindern ins Gespräch zu kommen und ihre Perspektiven ernsthaft zu reflektieren. Auch Erwachsene, die glauben, kindorientiert zu denken, profitieren davon, ihre Annahmen regelmäßig zu überprüfen.

Angela Million: Das Spiel ist frei verfügbar, leicht auszudrucken und kann direkt genutzt werden. Bei einer Veranstaltung in Berlin haben wir Erwachsene gefragt, was sie glauben, was Kindern wichtig ist – und da wurde deutlich, wie wertvoll es ist, die Kinder selbst zu Wort kommen zu lassen.

Zentrale Erkenntnisse aus der Forschung

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit?

Susann Fegter: Die Qualität von Beziehungen ist entscheidend. Kinder fühlen sich in Einrichtungen wohl, weil sie dort über Jahre hinweg stabile Beziehungen zu den Pädagoginnen und Pädagogen aufbauen. Diese Kontinuität ist essenziell für ihr Wohlbefinden und ihre Entwicklung.

Ein weiteres zentrales Thema ist die digitale Lebenswelt der Kinder. Digitale Medien sind fest in ihren Alltag integriert – sie spielen, kommunizieren und pflegen Freundschaften darüber. Es ist wichtig, diese digitalen Räume als Teil ihrer Wohlfühlwelt anzuerkennen.

Digitale Teilhabe und soziale Ungleichheit

Welche Rolle spielt digitale Infrastruktur?

Susann Fegter: Kinder wünschen sich freies WLAN – nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern weil es soziale Ungleichheiten sichtbar macht. Nicht alle haben mobile Daten, was ihre Teilhabe einschränkt. Manche verlassen Einrichtungen, um an öffentlichen Orten Spiele herunterzuladen. Das kann zu Stigmatisierung führen.
Angela Million: Pädagoginnen und Pädagogen stehen hier vor einem Dilemma. Sie möchten unterstützen, stoßen aber auf rechtliche Hürden wie Datenschutz und Jugendschutz. Dabei ist digitale Teilhabe essenziell – für Bildung, soziale Integration und den Aufbau digitaler Kompetenzen. Wir haben Hinweise gegeben, wo sich Fachkräfte fortbilden und rechtliche Rahmenbedingungen klären können.

Stadtplanung und Gestaltung von Räumen

Was bedeutet das für die Stadtplanung?

Angela Million: Kinder bewegen sich aktiv durch die Stadt auf der Suche nach digitaler Infrastruktur. Die Verteilung öffentlicher WLAN-Zugänge berücksichtigt ihre Bedürfnisse kaum. Stadtplanung sollte ein „digitales Alltagswohlfühlkonzept“ entwickeln, das Kinder mitdenkt – auch über die Grenzen von Einrichtungen hinaus.

Wie erleben Kinder ihre Umgebung?

Angela Million: Sehr differenziert. Sie benennen gezielt kleine Orte in Einrichtungen, die sie als Wohlfühlorte erleben – oft wegen durchdachter Gestaltung. Auch im Außenraum sind es einzelne Elemente wie ein Baum, ein Busch oder eine Straßenkreuzung mit WLAN, die Bedeutung haben. Das zeigt, wie wichtig die Mikroebene in der Gestaltung kindgerechter Städte ist.

Transnationale Raumbezüge

Welche Rolle spielt kulturelle Vielfalt?

Angela Million: Viele Kinder mit Migrationshintergrund erleben mehrere Heimaten. Orte wie Moscheen, Kirchen oder Marktplätze mit Bazar-ähnlicher Atmosphäre tragen zu ihrem Wohlbefinden bei. Diese transnationalen Raumbezüge könnten auch gestalterisch stärker berücksichtigt werden.

Forschung und Praxis im Dialog

Wie verlief die Zusammenarbeit mit der Praxis?

Susann Fegter: Sehr positiv. Die Einrichtungen und Netzwerke waren offen und interessiert. Der Austausch war dialogisch und respektvoll. Wir als Wissenschaftlerinnen haben das Privileg, handlungsentlastet zu arbeiten, während Pädagoginnen und Pädagogen täglich Entscheidungen treffen müssen. Diese gegenseitige Offenheit war sehr bereichernd.
Angela Million: Die Zusammenarbeit mit der Praxis war essenziell. Wir versuchen, unsere Ergebnisse über verschiedene Formate wie Broschüren, Videos, Podcasts und Veranstaltungen zugänglich zu machen. Eine Herausforderung bleibt, politische Entscheidungsträger zu erreichen – nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch in der Stadtentwicklung und Finanzplanung. Denn das Wohlbefinden von Kindern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Fegter und Frau Million.

(Transkribiert und stark zusammengefasst mit dem AI Companion.)


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver



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