Forschungsdatenzentren für die Bildung stellen sich vor (1): Das Forschungsdatenzentrum am Institut für Qualitätsentwicklung
Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) ist eine wissenschaftliche Einrichtung der Länder und als An-Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin angesiedelt. Das Forschungsdatenzentrum am IQB archiviert die Datensätze nationaler und internationaler Bildungsstudien, die schulische Kompetenzen messen und untersuchen, und stellt sie für Sekundäranalysen zur Verfügung.
INTERVIEW mit Dr. Malte Jansen, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsdatenzentrums (FDZ) am IQB. Wir sprechen mit ihm über die Aufgaben und Datenbestände des FDZ am IQB, über ihre Nutzung und die Frage, wie man den wissenschaftlichen Nachwuchs für Sekundäranalysen gewinnen kann.
Herr Jansen, was genau sind die Aufgaben des FDZ am IQB?
Unsere Kernaufgabe ist es, Daten aus großen Schulleistungsstudien für Re- und Sekundäranalysen bereitzustellen. Dazu gehören das Einwerben von Datensätzen, die Datenaufbereitung und das Bearbeiten von Datennutzungsanträgen. Gegründet wurde das FDZ ursprünglich mit dem Ziel, Daten von repräsentativen Studien des nationalen Bildungsmonitorings zur Verfügung zu stellen – also Studien wie PISA, IGLU, TIMMS oder die IQB-Bildungstrends.
Verteilte Aufgaben im Verbund Forschungsdaten Bildung: Kompetenzdaten am IQB
Mittlerweile haben wir unser Spektrum um weitere Studien erweitert, wobei unser Kriterium ist, dass die Studien Kompetenzdaten enthalten – also nicht nur Surveys oder Fragebogendaten, sondern auch Leistungstests von Schülerinnen und Schülern. Seit Anfang dieses Jahres haben wir noch eine zweite Kernaufgabe: die Nachwuchsförderung. Wir wollen beim wissenschaftlichen Nachwuchs das Interesse dafür wecken, mit bereits bestehenden Datenbeständen zu arbeiten, indem wir entsprechende Informations- und Weiterbildungsangebote bereitstellen.
Und wie motivieren Sie die NachwuchswissenschaftlerInnen dazu?
Wir bieten schon länger im Frühjahr und Herbst viertägige Akademien für Methoden und Statistik an und haben dazu auch immer schon bestehende Datenbestände genutzt. Dazu kamen immer mal wieder Workshops zu einzelnen Studien wie z.B. StEG oder IGLU. Und das bauen wir jetzt in unseren FDZ-Akademien aus und planen künftig auch zusätzliche Module zu Sekundärdatenanalysen anzubieten – etwa zum Datenmanagement, für die universitäre Lehre oder für Graduiertenschulen. Auch möchten wir zukünftig einen einfacheren Datenzugang für Lehrzwecke durch speziell aufbereitete Datensätze mit höherem Anonymisierungsgrad (sogenannte Campus-Files) anbieten. Unser Ziel ist es, Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern und auch Studierenden zu zeigen, wie man mit den Beständen großer Bildungsstudien umgehen kann und wie sie auch in ihren Qualifikationsarbeiten Sekundärdaten nutzen können. Dazu gehört natürlich auch eine gründliche Beratung.
Wie ist denn das Interesse an den IQB-Forschungsdaten?
Ich finde, dass es ziemlich gut angenommen wird. Und obwohl wir ja eher ein kleines Forschungsdatenzentrum sind, haben wir relativ gut zu tun: Im Schnitt bearbeiten wir ca. 40 Nutzungsanträge im Jahr, die zum Teil auch mehrere Teilprojekte umfassen können. Letztes Jahr hatten wir einen Rekord von 57 Anträgen! Das hängt aber auch mit den Zyklen der großen Studien zusammen: Immer wenn eine neue Studie herauskommt bzw. ein neuer Datensatz veröffentlicht wird, haben wir einen regelrechten Ansturm zu verzeichnen. Wenn im Frühjahr 2018 die neuen Daten aus PISA, TIMSS und IQB-Bildungstrends kommen, werden die Anfragen nach dem saisonalen Einbruch im Frühjahr 2017 wieder ansteigen. Insgesamt sind die Zahlen in den letzten Jahren in allen unseren Nutzungsgruppen tendenziell gestiegen – bei Studierenden, Doktoranden, Postdoktoranden und Professor(inn)en.
Gibt es außer der Bildungsforschung auch andere Disziplinen, die sich für die Datenbestände interessieren?
Unsere Anträge verteilen sich interessanterweise zu ähnlich großen Anteilen auf Bildungsforschung / Erziehungswissenschaft, Psychologie, Ökonomie, Soziologie und – zu einem etwas geringeren Anteil – auf Politikwissenschaft. Die Psychologen interessieren sich zum Beispiel dafür, wie ein gewisser motivationaler Aspekt mit der Leistung zusammenhängt oder mit dem Erwerb der Lesekompetenz oder ob es Geschlechtsunterschiede bei gewissen motivationalen Faktoren gibt. Für Ökonomen oder Soziologen sind Veränderungen auf Schulsystemebene wichtig: Haben Schulstrukturreformen im PISA-Trend dazu geführt, dass bestimmte Kompetenzentwicklungen positiv oder negativ waren?
Die Daten scheinen recht vielfältig zu sein!
Ja, man kann mit ihnen eigentlich fast alles machen (lacht). Bei den großen Kompetenzstudien sind die Datenerhebungen schon so breit angelegt, dass Sekundäranalysen ohne weiteres möglich bzw. sogar explizit gewünscht sind. So gibt es zum Beispiel zusätzlich zu den Kompetenztests auch immer Schülerfragebogen, die viel mehr als nur die basalen soziodemographischen Informationen abfragen: Sie enthalten, je nach Studie, etwa die am häufigsten genutzten motivationalen Konstrukte wie Interesse, Selbstkonzept oder Selbstwirksamkeit, Schülerangaben zum Unterricht oder zur familiären Situation und vieles mehr. Oft sind auch noch Lehrer- oder Schulleiterfragebogen dabei. Man kann mit den Datenbeständen wirklich ganz viel machen!
Und werden alle Datenbestände gleich viel genutzt?
Es gibt tatsächlich wenige Studien, die sehr viel genutzt werden und viele andere wenig. Die Bildungsmonitoring-Studien, die repräsentative Stichproben und ein breites Feld an Variablen haben – also IQB-Bildungstrends, IGLU, TIMMS und PISA – sind natürlich unsere Kassenschlager. Insbesondere die PISA-Daten sind bei unseren Anträgen sehr beliebt. Manchmal denke ich, dass eine Fragestellung ebenso gut oder noch besser mit den Daten der IQB-Ländervergleichsstudie oder anderen Studien bearbeitet werden könnte. Aber PISA ist einfach am bekanntesten! Auch die Ökonomen greifen gerne darauf zu. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich auch die Studien aus großen Drittmittelprojekten, zum Beispiel die StEG-Studie vom DIPF oder die BIKS-Studie aus Bamberg. Beides sind große Längsschnittstudien mit etlichen Erhebungswellen und großen Stichproben, über die vieles erfasst wurde. Dagegen werden kleinere, spezifischer angelegte Studien, in denen etwa die Wirksamkeit bestimmter Interventionen überprüft wurde, selten genutzt, weil solche Daten einfach nur für bestimmte Fragestellungen interessant sind. Aber wir beraten Antragsteller gerne, welche Daten aus welchen Studien für ihre Fragestellung am besten geeignet sind.
Welche interessanten Entwicklungen im Hinblick auf Forschungsdaten beobachten Sie aktuell?
Zurzeit ist sehr viel in Bewegung in der Bildungsforschung, national wie international. In Deutschland erarbeitet die Gesellschaft für empirische Bildungsforschung (GEBF) gerade in einer – übrigens vom IQB koordinierten – AG ein Papier zum Umgang mit Forschungsdaten und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat entsprechende Leitlinien dazu verfasst. Die Bereitschaft und das Klima darüber nachzudenken hat sich geändert. Auch in großen, bereits laufenden Studien wird bereits mitgedacht, wie die Daten gemanagt und nachnutzbar gemacht werden können, und es scheint immer mehr zur Selbstverständlichkeit zu werden, dass solche Datenschätze der Scientific Community zur Verfügung gestellt werden – natürlich mit angemessenen Vereinbarungen, um die Interessen der Datengeber, etwa für Qualifikationsarbeiten, zu wahren.
Es gehört zur guten wissenschaftlichen Praxis, dass Bestände zur Nachprüfbarkeit von Forschungsergebnissen aufbewahrt werden.
Ich denke, dass es in den nächsten Jahren normal werden wird, Forschungsdaten zur Nachnutzung aufzubereiten und sekundäranalytisch zu nutzen – beim BMBF steht es bereits in den Förderrichtlinien drin und auch die DFG hat Leitlinien dazu. Vielleicht wird es auch dazu führen, dass weniger neue Daten erhoben werden… Kolleginnen und Kollegen erzählen mir, dass die Schulen in Berlin, aber auch anderswo, ganz schön ächzen unter den vielen Studien. So gesehen wäre es ziemlich sinnvoll erst mal bestehende Datenbestände zu analysieren, anstatt standardmäßig über neue Erhebungen nachzudenken. Auch wenn die Geldgeber ein Projekt bislang noch eher förderten, wenn man selbst Daten erhebt und nicht vorhandene Datenbestände nachnutzt, scheint jetzt ein Umdenken stattzufinden. In der neuen BMBF-Förderbekanntmachung zur Digitalisierung muss nun z.B. explizit begründet werden, warum neue Daten erhoben werden müssen und nicht auf vorhandene Datensätze zurückgegriffen werden kann. Eine Entwicklung, die wir sehr begrüßen und die sicher auch im Sinne der Schulen ist.
Vielen Dank für das Gespräch, lieber Herr Jansen!
Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
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