Bildungsberatung (2)
INTERVIEW mit Martin Scholz, der an der Leibniz-Universität Hannover die Studienberatung leitet und gleichzeitig Vorsitzender der Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen (GIBeT) ist. Wir sprachen mit ihm über den Beratungsbedarf bei Studierenden und Studienwilligen und über die hohen Anforderungen an die Arbeit von Studienberaterinnen und -beratern. Die Spannbreite der Anfragen und Probleme, mit denen sie umgehen müssen, ist groß: Sie reichen von ungesicherter Studienfinanzierung und nicht bestandenen Prüfungen über Lern- und Arbeitsstörungen, Fachwechsel oder Studienabbruch bis hin zu psychosozialen Anliegen.
Herr Scholz, wie sieht die Arbeit der GIBeT genau aus?
Wir haben Mitglieder aus allen Bereichen der Hochschulberatung und aus allen Bundesländern – auch Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz sind dabei. Und obwohl wir keine berufsständische Vertretung sind, kann man sagen, dass die GIBeT die Studienberatung an Hochschulen in Deutschland repräsentiert. In unseren Arbeitskreisen und Fachtagungen diskutieren wir aktuelle Entwicklungen und verfassen zu einzelnen Themen auch Positionspapiere. Die Vernetzung und der gegenseitige Austausch ermöglichen den Mitgliedern, qualitätssichernde Fort- und Weiterbildung sowie solide Argumentationsgrundlagen für Gespräche mit Hochschulleitungen oder anderen Partnern zu erarbeiten.
„Es muss ja nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden!“
Wenngleich die Beratung der Studierenden grundsätzlich von allen staatlichen Hochschulen als eigene Aufgabe wahrgenommen wird, liegt die Art und Weise sowie auch der Umfang – Stichwort „Hochschulautonomie“ – im Ermessen der Hochschulen selbst. Deshalb ist es wichtig, dass Studienberater in den entsprechenden Gremien ihre Expertise einbringen, wenn es zum Beispiel um den Auf- und Ausbau einer Studierendenberatung, die Einrichtung eines Call Center/Service Center oder auch um besondere Angebote wie die Studieneingangsphase geht.
Die „Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen“ (GIBeT)
Der Fachverband für Studienberatung ist ein Netzwerk für alle, die an deutschsprachigen Hochschulen in der Beratung tätig sind – egal ob in der Studien- bzw. Studierendenberatung oder in der psychotherapeutischen und psychosozialen Beratung. Die GIBeT besteht aus mehr als 400 Mitgliedern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. In derzeit insgesamt elf Arbeitskreisen wird regelmäßig thematisch gearbeitet und mindestens zwei Mal im Jahr werden Arbeitskreis- und Fachtagungen organisiert.
Welche der insgesamt elf Arbeitskreise sind aus Ihrer Sicht besonders zentral?
Für uns sind natürlich alle wichtig! (lacht) Aber zwei will ich schon hervorheben: die AG Kleine ZSBs und der AK Psychologische und Psychotherapeutische Beratung an Hochschulen. An kleinen Hochschulen decken meist nur sehr wenige Personen das gesamte Spektrum der zentralen Studienberatung ab. Um hier die Aufgaben ressourcen- und zeitökonomisch unter einen Hut zu bringen, ohne dass Professionalität und Servicequalität leiden, ist der kontinuierliche Erfahrungsaustausch in der AG wirklich hilfreich. Und beim Arbeitskreis zur psychosozialen Beratung – meines Wissens einer der ersten AKs – profitieren Kolleginnen und Kollegen vom Austausch zur psychologischen Beratung und von der Möglichkeit zur Fallsupervision, wenn einzelne Fälle vorgestellt und diskutiert werden. Beide Arbeitskreise stehen im Grunde für das Kerngeschäft der Studienberatung.
Jetzt zur Studienberatung selbst: Wer kommt – und auf welchem Weg?
Ein sehr großer Anteil der Anfragen und der Arbeit entfällt auf Beratungen in Entscheidungssituationen, zum Beispiel zur Studienwahl oder zum Fachwechsel. Die Hochschulen bieten inzwischen so viele unterschiedliche Studiengänge an, dass die Beratungen der Arbeitsagentur eher allgemein gehalten sind. Deshalb bieten wir für Studieninteressierte neben individuellen Beratungen auch eigene Studieninformations- oder Schnuppertage an und sind auf Bildungsmessen mit Informationsständen oder Vorträgen präsent. Neben den Schülern gibt es natürlich auch andere Gruppen – Stichworte sind hier „Studium ohne Abitur“ oder „berufsbegleitendes Studium“, aber die sind kleiner und auch deutlich heterogener. Der andere große Teil sind natürlich Studentinnen und Studenten in der Studieneingangsphase und den weiteren Semestern.
„Bei der Studienberatung geht es oft um die Frage hinter der Frage!“
Sehr viele Anfragen oder Erstkontakte erhalten wir über offene Sprechzeiten, aber auch über Telefon und E-Mail, wobei sich die Zahl der E-Mails in den letzten Jahren vervielfacht hat! Und die Erstkontakte sind durchaus Herausforderungen, denn die Berater- und Beraterinnen brauchen nicht nur eine gute Kenntnis der Studiengänge, ihrer Organisation und Regelungen, sondern auch psychologisches Geschick, um das eigentliche Anliegen hinter einer formellen Anfrage zu erkennen und die entsprechende Auskunft zu geben oder Beratung anzubieten. Das ist schon eine hochspezialisierte Arbeit.
Was passiert nach der ersten Kontaktaufnahme?
Bildungsberatung: Wege durch das deutsche Bildungssystem
Im Dossier des Deutschen Bildungsservers gibt es eine ganze Seite zum Thema Bildungsberatung in der Hochschulbildung. Mit folgenden Informationen:
- Einrichtungen der Studienberatung
- Studienwahl – vor dem Studium
- Studienberatung – vor und während des Studiums, für spezifische Zielgruppen und Lebenslagen
- Beratung und Informationen für Graduierte – für Karriereplanung, wissenschaftliche Laufbahn und Mobilität
Der Erstkontakt per Mail oder Telefon ist in der Regel sehr kurz. Wenn es sich um eine ganz klar umrissene Frage handelt, verweisen wir auf unsere Informationsquellen – Broschüren, Webseiten oder Veranstaltungen. Bei komplexeren Problemen vereinbaren wir ein 45- bis 60minütiges Beratungsgespräch, manchmal auch mit Folgeterminen, zum Beispiel wenn der Klient oder die Klientin noch etwas klären oder Informationen erst mal verarbeiten muss. Mehr als drei/vier Wiederholungstermine sind sehr selten.
„Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe – nicht mehr und nicht weniger.“
Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen die Studierenden in die Lage versetzen, sich selbst einen Überblick zu verschaffen, damit sie passgenaue Informationen eigenständig besorgen können.
Und mit welchen Anliegen kommen die Ratsuchenden?
Klassisch ist das Thema der Studienwahl: Welches Studienfach an welcher Hochschule. Aber es gibt auch ganz andere Themen: Man möchte beispielsweise an der Uni studieren, an der auch die Freunde immatrikuliert sind, aber das Studienfach wird dort nicht angeboten. Man kommt aus einem nicht-akademischen Elternhaus oder Umfeld und braucht Unterstützung, um die hochschulinternen Abläufe und Regelungen zu durchschauen. Man weiß nicht, wo man das Curriculum für sein Studium findet. Man ist durch die Prüfung gefallen und sucht nach Unterstützung. Die Anliegen und Themen sind vielfältig – wie auch die Methoden: Manchmal ist es nur Informationsvergabe, manchmal sind es Beratungsgespräche, manchmal arbeiten wir mit Visualisierungen und manchmal mit Aufstellungen; die ganze Bandbreite.
Die Spannbreite der Probleme reicht von ungesicherter Studienfinanzierung und nicht bestandenen Prüfungen bis hin zu psychosozialen Anliegen.
Der Studienverlauf in der Regelstudienzeit ist zeitlich sehr verdichtet, und damit nimmt auch der Druck auf die Studierenden zu. Wenn man an einem Tag Vorlesungen und Seminare zu mehreren Fächern besuchen muss, bleibt kaum Zeit für Pausen oder eine tiefere Auseinandersetzung mit einem Thema. Da können schwierige Situationen entstehen, in denen Studierende auch eine psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen: Wenn man durch eine entscheidende Prüfung gefallen ist oder sich von seiner Freundin/seinem Freund getrennt hat, schaukeln sich die alltäglichen herausfordernden Situationen leicht zu krisenhaften Lebens- oder Studienverläufen auf.
Woran erkennt man eigentlich, ob eine Beratung erfolgreich war?
Bei Beratung gibt es leider keine Erfolgsmessung – anders als bei der Arbeitsvermittlung, bei der die Anzahl der vermittelten Menschen in Arbeit ein ganz klarer Indikator ist.
„Messen lässt sich Beratungserfolg nicht!“
Auch ein Gespräch, das dazu führt, das Studium abzubrechen, weil dem Klienten die ausschließlich theoretische Beschäftigung mit einem Thema nicht liegt, kann mit gewissem zeitlichen Abstand ein Erfolg sein. Unmittelbar nach der Beratung wird das wohl eher nicht so empfunden. Und weil wir unsere Klienten ja meist auch nicht wiedersehen, werden wir das natürlich auch nie erfahren. Aber an Gestik und Mimik lässt sich schon einiges ablesen.
Hat die Beratung in den letzten Jahren eigentlich zugenommen?
Auf jeden Fall! Der Beratungsbedarf ist enorm gestiegen. Aber man darf nicht vergessen, dass auch die Zahl der Studierenden stark angestiegen ist, und auch die Anzahl der Studiengänge explodiert ist. Zudem sind Beratung und Coaching im beruflichen Umfeld mittlerweile so selbstverständlich geworden, dass es weniger Berührungsängste gibt.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Scholz!
Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
Weitere Beiträge in der Reihe „Bildungsberatung“
- Wie steht es um die Qualität der Bildungsberatung? DAS WORT HAT…..Karen Schober, Vorsitzende des Nationalen Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V. (nfb) und Mitautorin der Broschüre „Professionell beraten: Qualitätsstandards für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“.Mehr Infos in Bildungsberatung (1)
Zentrale Studienberatung – Kompetenzzentren für Studium und Hochschule. Beitrag von Martin Scholz in www.berufsreport.com; Februar 2017