„Beim Einsatz von digitalen Lernangeboten darf man nicht in den Kategorien „Entweder-Oder“ denken!“

Das digitale Lernsystem azubi:web unterstützt die duale  Ausbildung in Berufen der Gastronomie

Was bewegt die berufliche Bildung? (6)

FRAGEN AN Michael Hoffmann, Gründer von generation:l, dem Unternehmen das die digitale Lernplattform zur Unterstützung der Ausbildung in Berufen der Gastronomie mitsamt Applikationen entwickelt und betreibt: Das azubi:web. Es kam vor drei Jahren auf den Markt, aktuell arbeiten 450 Unternehmen und insgesamt 8.000 Azubis damit – und täglich kommen neue dazu. Das digitale Lernsystem bietet angehenden Gastronomie- und Hotelfachkräften viele verschiedene Lernmöglichkeiten und –angebote. Dabei folgt das Lernspiel dem Rahmenlehrplan des jeweiligen Ausbildungsberufs und bereitet auf die Zwischen- und Abschlussprüfungen vor. Man durchläuft spielerisch Ausbildungsabteilungen und –bereiche und beantwortet Quizfragen – dank der App unabhängig von Ort- und Zeit. Zu jedem Thema werden gezielt vertiefende Informationen und Wiederholungen bereitgestellt. Die interaktive Lernplattform wird zurzeit auf die Berufe Verkäufer/-in und Kaufleute im Einzelhandel – ausgeweitet.

Michael Hoffmann, Geschäftsführer von von generation:l und Begründer des azubi:web

Herr Hoffmann, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine digitale Lernplattform zur Unterstützung von dualen Ausbildungsberufen in der Gastronomie zu entwickeln?

Vor ein paar Jahren haben wir die Ausbildung für Hotelkaufleute in Moskau eingeführt. Als wir uns auf dem Markt nach aktuellen Lehrmaterialien umgesehen haben, stießen wir auf den Ausbildungsleitfaden des Feldhaus-Verlags. Bei der Übersetzung ins Englische fiel mir auf, dass die Inhalte identisch mit denen waren, die ich am zweiten Tag meiner Ausbildung von der Handelskammer bekommen habe – das ist aber schon 30 Jahre her! Wenn ich heute als um die 20-jähriger zwei Aktenordner mit Ausbildungsmaterialien in die Hand gedrückt bekäme, würde ich die Ausbildung wahrscheinlich gar nicht erst antreten! (lacht).

Das azubi:web ist eine interaktive Lernplattform für die Ausbildung in sechs gastronomischen Berufen.

Eine kleine Feldstudie unter Schülerinnen und Schüler, die kurz vor der Ausbildung stehen, zeigte uns dann, was diese Generation in der Freizeit bewegt: Quizduelle und Quiz-Apps – übrigens noch immer beliebt. Dann haben wir uns die Lerntrends der Harvard-University angeschaut, die Erkenntnisse aus beiden Welten zusammengewürfelt und das azubi:web entwickelt, das erste Lernspiel für Auszubildende.

Wie sah das „Zusammenwürfeln“ aus?

Wir hatten zwölf Programmierer für die Entwicklung von Website, Back-Office und den zusätzlichen Apps, auch ein Gamification-Experte war von Anfang dabei. Dazu haben wir uns Fachleute für das E-Learning geholt. Bei der Entwicklung selbst haben wir uns am agilen Projektmanagement orientiert.

„Es muss immer ein bisschen Geschwindigkeit drin sein, weil die junge Generation immer wieder was Neues erwartet.“

 Wir haben also kein Pflichtenheft erarbeitet, sondern Funktionen entwickelt, getestet und geschaut, ob und wie es ankommt – und nach den Rückmeldungen optimiert. Bis heute ist der Prozess nicht abgeschlossen, das System wird immer weiter entwickelt.

An wen richtet sich die Lernplattform – an Ausbildungsbetriebe, Berufsschulen oder an die Azubis direkt?

Im Juni 2018 erhält das azubi:web das Comenius EduMedia Siegel 2018.

Unser Kunde ist nicht der Auszubildende, sondern der Ausbildungsbetrieb. Er kauft eine Lizenz, um seinen Lehrlingen eine Lernplattform zur Verfügung zu stellen. Der Azubi lernt spielerisch, indem er ein Quiz spielt, ohne den dahinterliegenden Lernalgorithmus wahrzunehmen; der stellt am Ende sicher, dass er oder sie alles für eine erfolgreiche Abschlussprüfung weiß. Das azubi:web hat noch eine zweite Ebene für den Ausbildungsbetrieb, man kann das Berichtsheft damit führen und so viel Zeit sparen. Und, viel wichtiger, das System erlaubt dem Ausbildungsbetrieb auch eine Stärke- und Schwächen-Analyse seiner Azubis zu erstellen – für den Einzelnen, eine Gruppe oder für alle – um ganz gezielt Lernmaterial für den innerbetrieblichen Unterricht auszudrucken. Bei unseren Einführungen machen wir den Azubis gegenüber auch die Funktionen für das Unternehmen immer ganz transparent.

Findet man im azubi:web alle prüfungsrelevanten Lerninhalte?

Wir decken die Inhalte von sechs kompletten Ausbildungsberufen ab: Hotelfach- und Hotelkaufleute, Koch/Köchin, Fachkraft im Gastgewerbe, Fachkraft für Systemgastronomie und Restaurantfachkraft. Dazu bieten wir noch ganz aktuelles Wissen, dass in den Rahmenlehrplänen so schnell gar nicht berücksichtigt werden kann. Beispiel Küche: Der Begriff Superfood ist weder im aktuellen Lehrplan noch in der AkA (Anmerkung der Redaktion: Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluss- und Zwischenprüfungen) berücksichtigt. Wenn einer aber nach einer dreijährigen Ausbildung darüber nichts weiß, ist das schlecht. Um solche Trends schnell aufgreifen und in unsere Datenbanken einspeichern zu können, haben wir von Anfang an mit Fachverbänden zusammengearbeitet.

„Wir decken das ab, was nicht in der Verantwortung der Betriebe liegt und aufgrund der Kompetenzorientierung an Berufsschulen zurzeit eher zu kurz kommt: Das Fachwissen.“

Im Grunde schließen wir eine Lücke zwischen den Kompetenzen, wie sie in Berufsschulen vermitteln werden und dem Wissen, das aus der praktischen Arbeit im Betrieb resultiert. Die Betriebe freuen sich zwar über die Problemlösekompetenz ihrer Lehrlinge, haben dann aber doch wenig Verständnis dafür, wenn sie etwa bei einer Prüfungsaufgabe kein regionales und saisonales Menü erstellen können – einfach weil sie nicht wissen, was wann wo wächst.

Die Ausbildungsbetriebe nehmen das Angebot gut an. Wie sieht die Kooperation mit den Berufsschulen aus?

Hermann Schmidt-Sonderpreis 2017 zum Thema „Berufliche Aus- und Weiterbildung für die digitalisierte Arbeitswelt“.

Das ist unterschiedlich. Es gibt sehr fortschrittliche Berufsschulen, die auf uns zukommen und nach Möglichkeiten suchen das azubi:web in den Unterrichtsalltag zu integrieren. Andere befürchten, dass so ein digitales Lernangebot die Berufsschule abschaffen könnte. Man darf einfach nicht in den Kategorien „Entweder-Oder“ denken! Sowohl Erfahrung als auch Forschung zeigen, dass reines E-Learning nicht das Non plus Ultra ist; besser ist immer der Blended Learning-Ansatz mit seiner persönlichen Komponente. Es ist diese Mischform, die die jungen Leute heutzutage auch erwarten. Zurzeit sind wir dabei, eine Kooperation mit der größten gastronomischen Berufsschule Deutschlands aufzubauen, um vor allem Lehrkräfte dabei zu unterstützen, eigene Inhalte einzufügen. Außerdem sollen sie die Möglichkeit erhalten, basierend auf dem Stärken- und Schwächenprofil der Schülerinnen und Schüler gezielt die nächste Stunde aufzubauen.

Wissen Sie wo und wann die Azubis eigentlich im azubi:web aktiv sind?

Das ist völlig unterschiedlich. Manche üben jeden Tag zehn Minuten auf dem Weg zur Arbeit, andere legen es angesichts ihrer zehnstündigen Arbeitstage aufs Wochenende und machen dann eine ganze Stunde. Wieder andere liefern sich Frageduelle übers ganze Wochenende mit der eigenen Mutter, die sich das fünftägige Demo-Programm heruntergeladen hat. Manchmal sehen wir auch, dass sich am Wochenende um drei Uhr morgens bis zu dreißig Leute einloggen. Wahrscheinlich duellieren die sich aus Spaß, keine Ahnung, ob das vielleicht azubi:web-Partys sind.

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Herr Hoffmann!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


Weitere Beiträge in der Reihe „Was bewegt die Berufliche Bildung?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert