Digitale Bildung und Inklusion – passt das zusammen?

Gwendolyn Schulte, beim Deutschen Bildungsserver für das englischsprachige Informationsangebot – den eduserver – verantwortlich, spricht in ihrem Podcast darüber, was Digitale Bildung und Inklusion miteinander zu tun haben. Genauer gesagt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen auch von digitalen Bildungsangeboten profitieren können.

Linkempfehlungen zum Beitrag


Lesefassung des Podcasts

Die Digitalisierung in der Bildung war schon vor dem Frühjahr 2020 ein wichtiges Thema – und mindestens genauso aktuell und wichtig wie die Frage, wie Inklusion und Bildung besser miteinander verschränkt werden können. Also wie Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen besser am sozialen Leben, also auch an grundständiger Bildung und Weiterbildung teilhaben können. Könnten sich zwischen beiden Themen Synergien ergeben? Wo? Dieses Thema hat mich in diesem Jahr mich besonders beschäftigt.

Allen ist klar, dass die digitale Bildung ein Schlüssel für den schulischen Erfolg und die beruflichen Perspektiven jedes Einzelnen ist. Für Menschen mit Behinderung bieten diese digitalen Möglichkeiten große Chancen! Allerdings müssen dazu gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, Voraussetzungen rechtlicher, technischer und persönlicher Art, die ich gleich beschreiben möchte – soziale Ungleichheiten und wirtschaftliche Implikationen will ich hier ausklammern.

Fangen wir mit einer persönlichen Perspektive an: Ich bin stark sehbehindert, berufstätig und an Bildung und Weiterbildung interessiert. Technisch nutze ich eine Software zur Bildschirmvergrößerung und Sprachausgabe. Diese Software ist teuer und sehr speicherintensiv. Um sie gut nutzen zu können, benötige ich Schulungen und einen modernen PC. Und: Webseiten und Dokumente müssen so aufbereitet werden, dass die Software sie „auslesen“ kann. Hierzu gibt es für den öffentlich-rechtlichen Bereich Rechtsvorschriften, die unter dem Motto „Barrierefreiheit“ die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung liefern sollen. Wichtig ist aber auch, dass wir alle, ob behindert oder nicht, ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass „anders sein“ zum Leben gehört und „Inklusion“ Verschiedenheit bedeutet – bei gleichen Rechten für alle. 

Wie sieht es also konkret mit der gleichberechtigten Teilhabe an digitaler Bildung aus? Wie unterschiedlich gehen zum Beispiel Schulen in Deutschland mit dem Thema „Digitale Bildung“ um – beziehungsweise: Wie gut sind sie auf die digitale Welt vorbereitet sind? Dasselbe kann man für die Inklusion fragen. Gute Einblicke liefert da etwa eine Webseite der Bundeszentrale für Politische Bildung. Und in der Projektedatenbank beim Innovationsportal des Deutschen Bildungsservers sind einige Beispiele guter Praxis dazu aufgenommen.

Medial scheint das Thema „Inklusion“ in der Fülle der Corona-Nachrichten allerdings ein Nischendasein zu fristen, mir jedenfalls ist bisher nur ein Beitrag im Deutschlandfunk untergekommen, der auf eine entsprechende Studie verweist.

Und auch in der beruflichen Bildung scheint es Synergien zwischen Digitaler Bildung und Inklusion zu geben. Betrachtet man aktuelle Projekte, sieht man, dass beispielsweise Videos eingesetzt werden, um mithilfe von Virtual Reality Auszubildende mit Lerneinschränkungen zu KFZ-Mechatronikern zu schulen – oder es werden Tandems gebildet zur Blended-Learning-Arbeit mit Lernsystemen.

Auch im Arbeitsleben ist die Digitalisierung vorangeschritten. Manches Home Office läuft mithilfe sogenannter „Virtueller Maschinen“ scheinbar reibungslos, nur leider nicht mit Sprachausgabe. Häufig finden Video- oder Telefonkonferenzen statt, die Menschen mit Hörbehinderung / Sehbehinderung aber auch nur eingeschränkt nutzen können. Technisch wären da einige Verbesserungen denkbar. Aber durch Bewusstseinsbildung lässt sich einiges verbessern – womit wir wieder bei meiner persönlichen Perspektive sind. Wenn die  Kolleg*innen Bildschirme teilen, sehe ich zum Beispiel nur einen sehr kleinen Ausschnitt, gleichzeitig „hakt“ die Software und ich muss noch versuchen mir Notizen zu machen. Um selbst mitdiskutieren zu können, wäre es hilfreich, die Kolleg*innen würden mündlich vortragen, was auf dem Bildschirm für die Allgemeinheit zu sehen ist.

Ein anderes Beispiel: In meiner Freizeit läuft mein Volkshochschulkurs momentan bequem virtuell per Videokonferenz. Schade nur: Die Texte zur Vorbereitung werden als eingescannte Fotos verschickt – wie soll ich die nun auslesen? Anstelle auf Rechtsansprüche zu verweisen, wäre es vermutlich hilfreicher, die Dozentin direkt auf technische Machbarkeiten anzusprechen.

Wir alle erleben seit Monaten eine „neue Normalität“. Vielleicht ist diese Zeit ja für uns eine Chance, voneinander zu lernen? Beim Deutschen Bildungsserver haben wir zum Beispiel im Frühsommer ein Projekt durchgeführt, mit dem wir die Barrierefreiheit für einige Nutzergruppen verbessern wollen. Also mühte ich mich ab an einem Text in Leichter Sprache, der dann mit einer darauf spezialisierten Agentur abgestimmt wurde – der wiederum von der entsprechenden Zielgruppe überprüft wurde. Und weil für manche Hörbehinderte Gebärdenvideos hilfreich sind, wurde für die Produktion wieder eine entsprechende Agentur beauftragt und die entsprechende Nutzergruppe einbezogen. Das war eine wirklich gute Sache! Wichtig ist immer, so denke ich, diejenigen Menschen „mitzunehmen“, für die wir unser Angebot machen. Als Redakteurin beim Deutschen Bildungsserver arbeite ich gerne an einem Service, der allen an Bildung interessierten Menschen kostenlos zur Verfügung steht, allen: unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht.

Wir stehen mit dieser Aufgabe noch relativ am Anfang, und wir können nur besser werden. In Großbritannien erinnerten kürzlich die Behindertenverbände an den 25. Jahrestag eines Gesetzes gegen die Diskriminierung Behinderter. Da ist die Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise spät dran – die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist gerade zehn Jahre her, sie wurde erst 2009 verbindlich. Und die Vorschrift, die für die Barrierefreiheit von Webangeboten in Hessen gilt, trat am 23. September 2020 in Kraft. Machen wir uns also nichts vor, rechtlich gibt es jetzt zwar ein „Gerüst“. Technisch ist aber noch vieles machbar. Und was das Persönliche angeht? Nun ja, das betrifft uns alle, und wir arbeiten daran!


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Dr. Gwendolyn Schulte für Deutscher Bildungsserver.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert