Studien zur Lesekompetenz sind kein Grund zur Freude
Podcast zum Jahreswechsel 2022/2023 (3/6)
Carolin Anda verantwortet beim Deutschen Bildungsserver „Lesen in Deutschland“, unser Portal zur Leseförderung. Sie nimmt die 2022 zahlreichen und leider wenig erfreulichen Studien zur Lesekompetenz in den Blick, berichtet aber auch von einigen ganz persönlichen Glanzlichtern der Leseförderung.
Lesefassung
Hallo, mein Name ist Carolin Anda und ich schaue für das Portal „Lesen in Deutschland“ zurück auf das Jahr 2022. Das Thema Lesen stand nicht nur durch die endlich wieder stattgefundene Frankfurter Buchmesse im Mittelpunkt, auch in zahlreichen Studien stand die Lesekompetenz im Fokus. Die Ergebnisse sind leider weniger Grund zur Freude, sodass ich Ihnen im Anschluss gerne noch schöne Glanzpunkte aus der Leseförderung mitteile.
Viele Studien zeigten leider deutlich, dass die Lesefähigkeit von Grundschulkindern und das Vorleseverhalten in Familien unter der Corona Pandemie gelitten haben. Die Schulschließungen und der Distanzunterricht aus 2021 haben die Lesekompetenz der Schüler*innen verringert, schlussfolgern z.B. die Autor*innen des 9. Nationale Bildungsberichts und die der IFS Studie zur Lesekompetenz von Viertklässler*innen.
Die Vergleichsstudie IQB-Bildungstrend, die zum dritten Mal, nach 2011 und 2016, durchgeführt wurde, testete die Fähigkeiten von Viertklässler*innen in Mathematik und Deutsch. „Der Kompetenzrückgang in Deutschland insgesamt entspricht einer Lernzeit von ca. einem Drittel Schuljahr im Lesen, einem halben Schuljahr im Zuhören und einem Viertel Schuljahr im Bereich Orthographie und in Mathematik“, so die Leiterin der Studie. Auffallend sei, dass Kinder mit Zuwanderungshintergründen oder aus bildungsferneren Familien größere Schwierigkeiten bei den Testungen aufwiesen.
Auch der Vorlesemonitor der Stiftung Lesen zeigt: In 39 % der Familien mit Kindern zwischen einem und acht Jahren erhalten Kinder nur wenige oder gar keine Impulse durch Vorlesen. Auch hier wird deutlich, dass Eltern mit geringerer Bildung weniger vorlesen.
Der Leseerfolgt wird verstärkt, wenn Kinder bereits vor dem zweiten Lebensjahr mit Büchern und Vorlesen vertraut gemacht werden und auch Schulkindern noch vorgelesen wird, auch wenn diese zum Teil schon selbst lesen können. Ein abrupter Abbruch des Vorlesens führ bei Grundschüler*innen zu Frustration und Lesehemmung. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das gemeinsame Vorlesen mit unserem Schulkind großen Spaß macht und es einem selbst zeigt, wie mühsam das anfängliche entziffern der Wörter ist. Zusammen können auch die langen Wörter gemeistert und nach einer Zeit sogar die Erwachsenen vorgelesen bekommen.
Alle Autor*innen fordern eine nachdrückliche Qualitätsentwicklung des Bildungssystems. Bereits in der Kita müsse eine nachhaltige Sprachförderung und ein Spracherwerb der Bildungssprache betrieben werden. Dafür müssten langfristig und systematisch aufeinander abgestimmte Maßnahmen für den Lese- und Schriftspracherwerb über den Bildungsverlauf hinweg umgesetzt werden. Der 15 jährige Erfolg der Hamburger Sprachförderung könnte da ein gutes Beispiel sein, da es zeigt, dass frühe und intensive Maßnahmen für Kinder ab 4 ½ Jahren bis in die Schule hinein wirken.
Zu meinen Glanzpunkten für 2022 gehört die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine. Buchgeschenke in Deutsch und Ukrainisch erwarteten viele Familien in örtlichen Bibliotheken und von Institutionen, wie dem Goethe Institut und von Vereinen, wie z.B. den Bücherpiraten Lübeck. Mehrsprachigkeit und Vielfalt gehören eben einfach zu unserer Gesellschaft dazu und so erinnere ich mich auch gerne an mein Gespräch mit Frau Koné von der Fachstelle Kinderwelten in Berlin zurück, indem sie deutlich macht, wie wichtig es ist, dass Kinder- und Jugendbücher vielfältige Familiensituationen abbilden und wertschätzen, um so eine vorurteilsbewusste und inklusive Bildung und Erziehung zu unterstützen. Motivierend sind somit auch die Tipps zur barrierefreien Leseförderung aus dem Angebot „barrierefrei kommunizieren“ und das Gewinner Hörfunk-Feature „Bibliotheken und Bildungschancen“ des Publizistenpreis der deutschen Bibliotheken. Gerade letzteres schließt gut an die Studienergebnisse zu Beginn an und zeigt, dass auch Bibliotheken wichtige Orte sind, um gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen und auf literarische Wünsche und Bedürfnisse der Stadtviertel einzugehen. Mir hat 2022 gezeigt, dass die Leselust auf kreative und ungewöhnliche Weisen geweckt werden kann: Beim Fußball, wie in Köln im Projekt kicken&lesen oder auch mithilfe flauschiger Vierbeiner, wie im Tierheim Berlin. Dort lesen leseschwache Kinder regelmäßig Katzen vor.
Für 2023 wünsche ich uns allen weniger Konflikte, Offenheit füreinander und jeden Tag minimal 5 Minuten, um Miteinander und Füreinander zu Lesen und Zuzuhören, egal ob im gedruckten Buch, digital oder in Audioversionen.
Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Carolin Anda für Deutscher Bildungsserver
What insights were gained about reading skills and literacy promotion in the annual review?