„Überbetriebliche Bildungsstätten, Berufsschulen und Betriebe müssen enger zusammenarbeiten.“

Was bewegt die berufliche Bildung? (4)

INTERVIEW mit Dr. Sabine Liedtke, die bei der Handwerkskammer (HWK) Berlin das vom BMBF und BIBB geförderte Projekt DiQua – Digitale Qualifizierungsoffensive in überbetrieblichen Berufsbildungsstätten koordiniert. DiQua ist eines der acht Pilotprojekte im Sonderprogramm ÜBS-Digitalisierung, das in Kompetenzzentren gefördert wird. Das DiQua-Projektteam analysiert dazu typische Arbeitsprozesse in erfolgreichen Tischlereien und Maler- und Lackierbetrieben und definiert digitale Kompetenzen für die überbetriebliche Aus- und Weiterbildung der beiden Gewerke. Die Analysen in den Betrieben können aber nur Anhaltspunkte für Empfehlungen dafür liefern, wie die Ausbildung gestaltet werden muss, sagt Sabine Liedtke, denn „letztlich bilden überbetriebliche Bildungsstätten nicht für die Belange eines Betriebs, sondern für das ganze Berufsbild aus.“

Dr. Sabine Liedtke, Koordinatorin des Projekts DiQua bei der HWK Berlin

Frau Liedtke, welche Arbeitsprozesse können im Handwerk digitalisiert werden?

Prädestiniert für die Digitalisierung im Handwerk ist die Vernetzung zwischen Büro und Baustelle: Wenn der Geselle mit seinem Smartphone oder Tablet auf der Baustelle direkt die Kundenakte einsehen kann und nicht erst ins Büro fahren oder den Meister anrufen muss, bedeutet das schon eine große Arbeitserleichterung. Im Grunde sind es die ganzen Prozesse um die Fertigung herum, die sich sehr gut digitalisieren lassen. Die handwerkliche Arbeit selbst eher nicht, denn eine Deckenleiste muss eben immer noch von Hand lackiert werden! Natürlich gibt es auch bei den Malern und Lackierern einige, die schon mit digitalen Farblasergeräten arbeiten oder auch mit digitalen Farbmischungen, über die eine automatische Verbrauchsüberwachung möglich wird. Und in Zukunft ist auch der Einsatz von Drohnen bei Fassadenanstrichen an schwer zugänglichen Stellen vorstellbar. Aber noch sind es nicht viele Betriebe, die so arbeiten. Bei den Malern und Lackierern haben wir es tendenziell mit eher kleineren Betrieben zu tun, die sich ihre Nischen noch suchen können.

Ist das Digitalisierungspotenzial bei den Tischlern größer?

Die Projektstruktur im Überblick

Ja, es gibt deutliche Unterschiede in den Berufsbildern. Bei den Tischlerbetrieben hat man eine viel größere Bandbreite, es gibt Betriebe, die schon sehr weit sind und beispielsweise eine eigene CNC-Maschine haben und kleinere, die sich eher zurückhalten. Wobei wir hier in Berlin die Erfahrung gemacht haben, dass Netzwerke entstehen: Kleinere Werkstätten lassen zum Beispiel Teile eines Auftrags bei einer größeren Tischlerei mit CNC-Maschine fertigen. Das ist spannend zu beobachten!

Wie sehen digitale Arbeitsprozesse in einem Handwerksbetrieb konkret aus?

Im Grunde verändert die Digitalisierung alle Arbeitsprozesse. Standardisierte Software-Anwendungen für die Arbeiten im Büro gibt es ja schon lange, aber die neuen Anwendungen und Möglichkeiten greifen jetzt unmittelbar in den Produktionsprozess ein, indem Daten aus der Baustelle dort direkt eingespeist werden. Facharbeiter können mit ihren mobilen Endgeräten auf der Baustelle dem Kunden zeigen, wie es mal aussehen wird, sie können Aufmaß- und Verbrauchsdaten gleich so erfassen, dass sie in die Kalkulation einfließen, und sie können direkt Bestellungen auslösen – alles Tätigkeiten, die vorher nur im Büro stattfanden. Manche Tischlereibetriebe haben auch die Arbeitszeiterfassung und -übermittlung bereits digitalisiert.

„Der Blick und das Verständnis für das Ganze gewinnt mit der Digitalisierung eine ganz neue Dimension.“

Facharbeiter, die bisher nur für das Handwerk zuständig waren, brauchen heute ein Verständnis für den gesamten Ablauf und ein neues Verständnis von Verantwortung: Man muss den kaufmännischen Aspekt verstehen, die Arbeitsplanung bekommt einen noch größeren Stellenwert als bisher.

Welche Kompetenzen kann man daraus für die Ausbildung ableiten?

Neben dem Verantwortungsbewusstsein, das ja eine eher schwer zu greifende Soft Skill ist, bestimmen natürlich fachliche Kompetenzen die Ausbildung: Wenn man neue digitale Geräte und Maschinen verwendet, muss man sich natürlich im Vorfeld das entsprechende Wissen aneignen und den Umgang mit der Software lernen – zum Beispiel wie man digitale Daten verarbeitet. Wenn es sich um Kundendaten handelt, kommen Wissensfelder wie Datenschutz dazu. Und natürlich die Bereitschaft ständig weiter zu lernen; man muss sich permanent informieren, auf dem neuesten Stand bleiben – ohne dass es von außen an einen herangetragen wird. Damit junge Leute diese Motivation entwickeln können, müssen wir einen Rahmen schaffen, der es ihnen ermöglicht, wach und neugierig zu bleiben.

Wie schafft man so einen motivationsfördernden Rahmen in der Ausbildung?

In der Berufsausbildung haben sich schon in den 80er/90er Jahren die handlungsorientierten Lernkonzepte durchgesetzt und in den Berufsschulen wurden Lernfelder eingeführt, um das noch besser umsetzen zu können. Man betreibt seitdem vermehrt Projektarbeit oder erteilt Lernaufträge zur selbstständigen Bearbeitung. Azubis werden so zur Eigenständigkeit angeleitet: Was brauche ich, um den Lernauftrag zu erfüllen? Was muss ich genau tun, welche Schritte? Habe ich meine Planung mit dem/der Ausbilder/in besprochen? Kann ich es so ausführen? Wenn Projekt oder Lernauftrag abgeschlossen sind, kommt die Auswertung: Habe ich alles richtig gemacht? Was muss ich besser machen? Im Grunde orientieren sich bis heute viele Lehr-/Lernmethoden an dem handlungsorientierten Konzept. Und für die Vermittlung von digitalen Kompetenzen bzw. Medienkompetenz bietet es immer noch eine ziemlich gute Grundlage!

Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung im Handwerk

Die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) ergänzt die betriebliche Ausbildung im dualen System, vertieft die berufliche Grund- und Fachbildung in produktionsunabhängigen Werkstätten systematisch, passt die Berufsausbildung an technologische, wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen an und sichert ein einheitlich hohes Ausbildungsniveau unabhängig von der Ausbildungsfähigkeit oder Spezialisierung des einzelnen Handwerksbetriebs.

Die ÜLU ist für ausbildende Betriebe nicht nur verpflichtend – sie wird für die Prüfungsteilnahme vorausgesetzt –, sondern auch kostenpflichtig. Prozentual gesehen macht sie mit bis zu vier Prozent aber den geringsten Teil einer Ausbildung aus; bei den Malern und Lackierern sind das beispielsweise fünf einwöchige Lehrgänge in drei Jahren. Im Vergleich: Siebzig bis achtzig Prozent der Ausbildungszeit entfällt auf den Betrieb, zwanzig bis dreißig Prozent auf die Berufsschule.

Inwieweit muss auch das Ausbildungspersonal in den Berufsbildungsstätten für die Digitalisierung weiter qualifiziert werden?

Die Ausbilder sind fachlich sehr gut qualifiziert, auch im Umgang mit den Geräten und Maschinen. Aber was den pädagogischen Bereich, das Lehren und Lernen mit digitalen Medien angeht, kann man schon noch steuern. Wir arbeiten in der Weiterbildung schon länger mit Moodle, einer offenen Lernplattform, und versuchen jetzt, die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) daran anzubinden, so dass Jugendliche darauf zugreifen können – auch außerhalb des Lehrgangs.

Welche Erfahrungen haben Sie im Projekt DiQua bisher gemacht?

Dass an die ÜLU sehr viele Erwartungen und Anforderungen gestellt werden. Betriebe, Schule, Ausbilder, Azubis – alle haben unterschiedliche Interessen. Bei den Tischlern gibt es beispielsweise die Berufsgenossenschaft, die allein für drei komplette Module steht, weil es da eben um Arbeitssicherheit geht. Wenn wir also an der ÜLU etwas ändern wollen, übrigens auch in methodisch-didaktischer Hinsicht, müssen wir mit allen verhandeln. Die Betriebe setzen sehr stark auf das Handwerkliche, das sie selbst nicht anbieten können und wollen sehen, was der Azubi in der Woche gelernt hat – schließlich zahlen sie dafür. Auch die Lehrlinge wollen mit dem Gefühl rausgehen, dass sie was in der Hand haben.

„Die überbetriebliche Ausbildung ist per se schon ein hochverdichteter, komplexer Ausbildungsgang; sie nun auch im Hinblick auf die Digitalisierung zu modernisieren, ist eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe.“

Damit Azubis an die Anforderungen der Digitalisierung andocken können, ist es zwar wichtig, die Digitalisierung in diesem kleinen Segment aufzufangen, aber im Grunde sind wir doch das kleinste Rädchen in der gesamten Ausbildung.

Und was kann man tun, um die Zusammenarbeit zu verbessern?

In Berlin haben wir zum Beispiel erst jetzt eine CNC-Maschine angeschafft, weil der Bundesverband der Innungen lange der Auffassung war, dass dies in der Ausbildung nicht notwendig sei – der aufbauende Lehrgang zur CNC-Fachkraft sei bereits etabliert. Wir finden aber, dass er in die Ausbildung gehört und wollen nun die Betriebe dafür gewinnen, ihre Azubis zusätzlich für diesen Lehrgang anzumelden. Viele Tischlereibetriebe finden das toll und nehmen ihn gerne an. Gerade bei Betrieben, denen es gelingt, den Staffelstab von der älteren an die jüngere Generation weiter zu reichen, stößt man auf große Offenheit und Bereitschaft. Die Jungen bauen Homepages oder Blogs neu auf, nutzen soziale Medien – da entstehen ganz interessante Dinge. Für ihre Initiative und die Bereitschaft aktiv mitzugestalten sind wir sehr dankbar! Letztes Jahr haben wir zwei Expertenkreise mit Vertretern aus Betrieben und Berufsschulen initiiert – ein erster Schritt, um ins Gespräch zu kommen. Zudem informieren wir unsere Partner regelmäßig über das, was wir gerade tun und welche Schritte wir als nächstes planen, und natürlich holen wir uns auch Rückmeldungen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass die großen Lernorte Betrieb und Berufsschule besser mit uns, den überbetrieblichen Bildungsstätten, kooperieren, dass sie mehr Offenheit zeigen und sich besser abstimmen. Wir tun das ja alles, damit junge Menschen eine Zukunft in ihrer beruflichen Entwicklung haben. Ich wünsche mir, dass das in Zukunft besser gelingt!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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