Open Access in der Bildungsforschung (3)
FRAGEN AN Dr. Simon Rettelbach, Leiter der Frankfurter Forschungsbibliothek, in der das institutionelle Repositorium DIPFdocs verwaltet und gepflegt wird. Wir fragten ihn nach der Akzeptanz von Open Access-Publikationen unter den DIPF-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sprachen darüber, wie viel an Auseinandersetzung mit urheberrechtlichen Fragen man von ihnen erwarten kann, und wo der ganz praktische Nutzen eines institutseigenen Repositoriums liegt.
Herr Rettelbach, das DIPF hat mit pedocs bereits ein Open Access-Repositorium. Warum gibt es mit DIPFdocs noch ein weiteres?
pedocs ist ein fachliches Repositorium, das nur Titel aus der Bildungsforschung und Erziehungswissenschaft sowie verwandter Bereiche wie etwa der Entwicklungspsychologie enthält. Weil wir am DIPF aber ein größeres wissenschaftliches Spektrum haben, zum Beispiel unsere informationswissenschaftliche Forschung oder die IT-Forschung bei TBA, dem Zentrum für technologiebasiertes Testen, haben wir das institutionelle Repositorium DIPFdocs aufgebaut. Im Grunde ist es die natürliche Ergänzung unserer Publikationsliste bzw. Publikationsdatenbank, in der wir nun wo immer möglich die bibliographischen Nachweise um den Zugriff auf die digitalen Volltexte ergänzen.
Das DIPF verpflichtet sich ja ausdrücklich zu Open Access. Wie ist denn die Akzeptanz bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern?
Die Idee, freien Zugang zu Publikationen zu gewährleisten, die aus öffentlich finanzierter Forschung entstehen, findet bei uns im Institut sehr große Unterstützung. Allerdings ist die praktische Umsetzung mit allerlei Tücken behaftet: Zum einen gibt es sehr unterschiedliche und wenig transparente Verlagsregelungen, zum anderen wurde im Januar 2014 zwar ein neues Zweitverwertungsrecht im Urheberrechtsgesetz verankert, dieses ist aber sehr restriktiv und lässt eine ganze Reihe von Fragen der konkreten Umsetzung offen.
Open Access findet prinzipiell große Zustimmung, aber die Gesetzeslage ist noch kompliziert.
Grundsätzlich garantiert die neue Regelung jedem Wissenschaftler für die Publikation eines Zeitschriftenbeitrags ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht. Allerdings darf dieses erst nach einer Embargofrist von 12 Monaten nach der Erstveröffentlichung wahrgenommen werden, und die Publikation darf nicht im Verlagslayout erfolgen. Das ist vor allem deshalb nachteilig, weil die Originalpaginierung nicht enthalten ist, die für die Zitation benötigt wird. Aber man kann auch diese, meist als „Postprint“ bezeichnete Version über die Url oder den DOI (Digital Object Identifier) zitieren und auf die dortige Paginierung verweisen.
Das Zweitverwertungsrecht macht es den Wissenschaftlern also nicht unbedingt leichter?
Es gibt schon sehr viele Restriktionen. Deshalb tun wir uns auch schwer, den neuen Paragrafen flächendeckend anzuwenden. Bei ausländischen Verlagen, wie z.B. „Sage“ mit seinem Sitz in den USA, ist neben dem Urheberrecht auch das Vertragsrecht zu berücksichtigen – und da gilt für die Autorenverträge immer das Recht des Sitzlands des Verlags. Eine weitere Restriktion ist, dass das Zweitveröffentlichungsrecht nur für Forschung gilt, die mindestens zur Hälfte aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Ergebnisse aus stiftungsfinanzierten Projekten – bei uns kämen dafür die Mercatorstiftung, die Bertelsmannstiftung oder die Robert-Bosch-Stiftung in Frage – fallen nicht darunter.
Und solche Details müssen die DIPF-Forscher kennen, bevor sie sich an die OA-Veröffentlichung wagen?
Gottseidank nicht! Anfangs sind wir noch davon ausgegangen, dass Open Access-Publikationen Selbstläufer sind und sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst darum kümmern würden. Aber das war eine Fehleinschätzung – die Komplexität der Regelungen ist dafür einfach zu hoch. Mittlerweile haben wir als Bibliothek deswegen einen Rundum-Service aufgebaut und sind dazu übergegangen, die Wissenschaftler aktiv „abzuholen“.
„Die Wissenschaftler müssen sich selbst um kaum etwas kümmern.“
Der Weg ist so: Der oder die Wissenschaftler/in trägt die Publikation in unser Publikationssystem ein und lädt seinen Text in der Postprint-Version auf unsere Plattform. Unsere Open Access-Beauftragte prüft dann, inwiefern eine Zweitveröffentlichung möglich ist – ob das Zweitveröffentlichungsrecht greift, oder ob der Verlag sie nach einer bestimmten Frist zulässt, oder ob wir Lizenzverträge haben, die Open Access-Veröffentlichungen beinhalten. Dann schreiben wir den oder die Wissenschaftler/in an und bitten um die Genehmigung für die Zweitveröffentlichung in unserem Open Access Repositorium. Um den Rest bis zur Freischaltung des Beitrags nach 12 Monaten kümmert sich dann die Bibliothek.
Das DIPF geht also den Grünen Weg des Open Access?
Als Institut der Leibniz-Gemeinschaft sind wir ganz klar aufgefordert, freien Zugang zu Ergebnissen öffentlich finanzierter Forschung zu gewährleisten, und das machen wir in erster Linie über den so genannten Grünen Weg. Vom Goldenen Weg spricht man, wenn bereits die Erstveröffentlichung im Open Access erfolgt. Konkret sieht das so aus, dass der oder die Autorin dem Verlag einmalig eine Gebühr bezahlt, die so genannte Article processing charge, damit der Beitrag sofort Open Access veröffentlicht wird. Natürlich steht das DIPF auch diesem Weg offen gegenüber, allerdings wird er in unseren Forschungsdisziplinen noch nicht von vielen Verlagen angeboten. Im STM-Bereich (Anm. der Redaktion: STM ist ein Sammelbegriff für Science, Technology, Medicine) sind die großen internationalen Verlage da progressiver, Erziehungswissenschaftler publizieren aber häufig bei kleineren, eher national ausgerichteten Verlagen.
Gibt es neben dem freien Zugang noch einen weiteren Mehrwert von Open Access?
Ja! Studien haben zum Beispiel nachgewiesen, dass im Open Access veröffentlichte Literatur deutlich besser rezipiert und zitiert wird als Publikationen, die nur per Abonnement zugänglich sind (Anm. der Redaktion: Das Open Citation Project verzeichnet solche Studien). Ein weiterer Aspekt ist der „Impact in die Gesellschaft“, den sich die Leibniz-Gemeinschaft auf die Fahne geschrieben hat. Wenn wir als DIPF die Ergebnisse unserer Forschung über Publikationen im Internet frei verfügbar machen, es also Eltern, Lehrern, Schulleitern und Pädagogen ermöglichen, sie einfach über eine Google-Recherche zu finden, ist das natürlich ein wichtiger Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse in die Gesellschaft. Und das ist es, was wir über unsere wissenschaftliche Infrastruktur leisten!
Vielen Dank für das Gespräch, lieber Herr Rettelbach!
Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
Lesen Sie auch
- Open Access in der Bildungsforschung (1): „Es steckt noch viel Potenzial für Open Access in der Bildungsforschung“. Interview mit Dr. Christoph Schindler, Leiter des Arbeitsbereichs Literatur- und Informationssysteme im Informationszentrum Bildung des DIPF.
- Open Access in der Bildungsforschung (2): „Bald werden nur noch die Texte rezipiert,die direkt auf dem Bildschirm landen“. Fragen an Dr. Ute Paulokat, die den Dokumentenserver pedocs von Anfang an mit aufgebaut hat und ihn seit sechs Jahren koordiniert.