„Wir müssen schnell mit den Entscheidungsträgern ins Gespräch kommen“

In Vereinen starten Beratungsprozesse zur Demokratiebildung selten mit den Personen, mit denen sie enden.

Demokratie und Bildung (6)

FRAGEN AN Claudia Ratering vom Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC), das gegen diskriminierendes Verhalten in der Gesellschaft ankämpft. Mit speziellen Bildungsformaten will es Menschen dafür sensibilisieren, sich selbst als aktive Akteure in der Gesellschaft zu begreifen und für Demokratie und gegen Diskriminierung vorzugehen. Anfangs mit dem Fokus auf den Schulbereich gegründet, strahlt die Arbeit des Netzwerks zunehmend auf andere Akteure wie Vereine, Wohlfahrtsverbände und Sportvereine ab. Wir haben Frau Ratering vor allem zur Demokratisierungsarbeit des NDC in Vereinen und Verbänden befragt.

Frau Ratering, wie groß ist das Netzwerk für Demokratie und Courage?

Das NDC ist in 12 Bundesländern vertreten: in Baden-Württemberg, Berlin/Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und in Thüringen. Unsere Struktur ist nicht homogen, da sich die Teile des Netzwerks in unterschiedlichen Trägerschaften befinden; darunter sind Träger mit viel Personal – wie in Thüringen, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern; andere, ehrenamtlich gegründete, verfügen nur über eine oder eine halbe Personalstelle. Das Ziel, Demokratieförderung zu betreiben ist jedoch allen gemeinsam und insgesamt haben wir ein sehr großes Themenspektrum und die Kolleginnen und Kollegen können sehr flexibel auf die jeweiligen Bedarfe reagieren.

Wer fragt Ihre Beratungen nach?

Die Anfragen verteilen sich zu etwa drei gleich großen Teilen auf den NDC-internen Bereich zur eigenen Qualitätssicherung, dann auf Vereine und Verbände wie beispielsweise Landesverbände der AWO, des Sportbunds, der Johanniter oder der Naturfreunde – da geht es um Sensibilisierung für diskriminierendes Verhalten, die Reflexion der eigenen Führung oder auch Teamentwicklung und Teamkommunikation. Der dritte Teil steht für die Arbeit an Schulen; da haben wir ursprünglich mit Bildungsangeboten im Rahmen von Projekttagen begonnen, gehen aber seit einigen Jahren stärker in die Begleitung von Prozessen – zum Beispiel durch Beratungen oder Trainings zu gezielten Inhalten. Es reicht einfach nicht, einen neonazistischen oder rassistischen Vorfall innerhalb eines Projekttags aufzuarbeiten, da muss die ganze Schule mit all ihren Akteuren für das Thema sensibilisiert werden. Außerdem haben wir auch einige Anfragen nach Präventionskonzepten, insbesondere sind wir derzeit in Sachsen sehr aktiv in der Schulberatung.

Was ist das besondere an ihrer Beratungsarbeit?

Wir beim NDC hinterfragen regelmäßig unsere Struktur, unsere Arbeit und unsere gemeinsame Kommunikation. Ständige Reflexion und Bereitschaft, sich in die eigenen Karten schauen zu lassen, sich für den eigenen Dissens Raum und Zeit zu nehmen, das ist für uns eine Form, sich demokratisch zu verhalten. Der interne Beratungsbereich liegt uns dabei sehr am Herzen, um mit dem systemischen Beratungsansatz unseren Kolleginnen und Kollegen in den Landesnetzstellen Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten: Sie sollen sich gegenseitig dabei unterstützen können, wie sie beispielsweise mit ihrem eigenen Zeitmanagement umgehen, wie sie ihre Teamenden betreuen oder mit Konflikten zwischen dem Hauptamt und Ehrenamt umgehen. Wir versuchen sensible Themen, wie den eigenen Umgang mit Rassismus oder mit Diskriminierung, kontinuierlich zu reflektieren und zu besprechen, da haben wir natürlich auch unsere blinden Flecken.

„Eine Beratung startet eigentlich nie mit den Personen, mit denen sie endet. Im Beratungsprozess muss also schnell deutlich werden, wer die Entscheidungsträger*innen sind.“

Vereinen und Verbänden bieten wir Tagesformate an, in denen wir sowohl beratend als auch moderierend tätig sind. Der zentrale Punkt für uns ist es, mit den richtigen relevanten Akteur*innen ins Gespräch zu kommen.

Wer sind die relevanten Akteure in der Demokratiearbeit der Vereine?

Bei größeren Verbänden oder Vereinen machen oftmals nicht die Menschen das Erstgespräch, die die Legitimation haben, das Thema auch zu verantworten. Erst in der Auftragsklärung wird dann deutlich, dass es zum Beispiel nicht darum geht die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Demokratisierung zu verbessern, sondern generell die Kommunikations- und Informationspolitik im Verein selber transparenter zu machen. Wenn wir es schaffen, die Menschen in eine vertrauensvolle Beziehungsatmosphäre zu bringen, sind sie auch bereit, mehr von der „Seele“ und dem kollektiven Gedächtnis des Vereins zu erzählen. Dann erst sind wir zum Kern vorgedrungen und können schauen, mit wem wir ins Gespräch kommen müssen – und ob der Verein wirklich bereit ist, in die Veränderungen zu gehen oder nur Kosmetik betreiben will.

„Die Basis ist sehr motiviert, demokratiebildende Themen in die Führung reinzubringen.“

Meine Erfahrung zeigt, dass an der Basis bereits sehr viel Demokratiearbeit geleistet wird. Die Leute fragen sich, wie sie innerhalb der gesetzten Struktur gestalten und zusammenarbeiten können, wie sie miteinander umgehen, und ob sie als Mitarbeitende gehört werden; es geht also auch um Fragen, wie man sich im Ehrenamt aufstellen will, wie man miteinander redet, wie man Demokratie lebt – und wie man damit umgeht, dass nur einzelne Menschen Macht im Verein oder Verband haben. Es ist wichtig, sich Demokratie als Lebensform anzueignen und nicht nur als politischen Begriff im Profil oder Konzept zu theoretisieren!

Wo liegen bei Vereinen oder Verbänden demokratische Defizite?

Wenn zum Beispiel diskriminierende Einstellungsmuster deutlich werden oder sexistische Sprache zunimmt. Wir werden auch angefragt, wenn ein Demokratisierungskonzept etabliert werden soll, wenn Strukturen also verändert werden sollen. Wobei zunächst einmal erarbeitet werden muss, was Demokratie für die Abteilung eigentlich heißt. Das betrifft dann auch Themen wie Projektsteuerung und Kommunikationspolitik auf allen Ebenen.

„Wir wollen die Leute empowern, sich die eigene „Unternehmenskultur“ anzuschauen.“

Wir helfen auch dabei eine Beratungsstruktur in einem Verband mitsamt seinen Ortsverbänden aufzubauen – zum Beispiel wie eine Stärkenberaterin zum Thema Demokratisierung ausgebildet werden und effizient im Verein wirken kann; dieses Format führen wir beispielweise gerade bei den Naturfreunden durch.

Hat sich Ihnen eine Beratungssituation besonders eingeprägt?

Da fällt mir ein längerfristiger Beratungsprozess innerhalb des Projekt Open Saxony ein. Ich habe dort ein Team unterstützt, das Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen dazu bringen sollte, sich dem Thema Diversity zu öffnen und in der Unternehmenskultur für Vielfalt und Antidiskriminierung zu sensibilisieren. Es war ein längerfristiger Beratungsprozess, bei dem das Team seine Prozesssteuerung regelmäßig reflektieren konnte und sich Handlungsstrategien zu ihren erlebten Widerständen in der Wirtschaftswelt erarbeitete. Nach zwei Jahren Beratung und Begleitung hat es das Team geschafft, sich so viel Geltung zu verschaffen, dass tatsächlich einzelne Unternehmen bereit dazu waren, sich mit dem Thema Antidiskriminierung auseinanderzusetzen; das Projekt hat schließlich große Anerkennung in Sachsen erfahren. Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke, wie niedergeschlagen und demotiviert die Kolleginnen oftmals waren – ihre Haltung und ihr klares Ziel zugleich aber immer im Auge behielten. Das war ein wirklich emotionaler und herausfordernder Prozess.

Gibt es auch Situationen, in denen Sie von einem demokratischen Entwicklungsprozess eher abraten würden?

Man muss sich immer fragen, wie bereit man wirklich ist, in einen längerfristigen Beratungsprozess zu gehen. Um eine eigene Handlungsstrategie zu erarbeiten und wirksam umzusetzen, muss man Verantwortung übernehmen. Dafür braucht es Kraft, Zeit und Energie. Wenn das nicht vorhanden ist, weil Menschen irgendwie in einem „zu viel“ stecken, wird es schwierig – auch wenn die Veränderungsbereitschaft da ist und der Zeitpunkt richtig wäre. In solchen Fällen schlagen wir oft vor, die Beratung terminiert zu verschieben.

Noch ein Wort zum Abschluss?

Ich möchte Menschen und die Institutionen, in denen sie arbeiten, dazu ermutigen, sich mehr in Begleitungsprozesse zu begeben. Es gibt in schwierigen oder unübersichtlichen Situationen nichts Besseres als sich und seine Einrichtung selbst strukturieren und auch reflektieren zu lassen – man schöpft Kraft und Klarheit für das wesentliche und eigene Leitziel. Vereine, Verbände und Schulen, die sich in einen Begleitungsprozess begeben, sind die eigentlich starken Institutionen, weil sie sich Unterstützung holen, dadurch schneller Lösungen finden und wieder zu sich selbst kommen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Ratering!


Claudia Ratering ist Lehrcoach und Systemische Therapeutin, arbeitet beim Netzwerk Demokratie und Courage (NDC). Sie ist für die Koordination der Aus- und Weiterbildung der Berater*innen  sowie die Qualitätssicherung der Beratungsarbeit beim NDC zuständig.


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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