„E-Commerce-Kaufleute lernen schon in der Ausbildung, dass sich ihr Arbeitsumfeld ständig verändern wird.“

Was bewegt die berufliche Bildung? (5)

Zum 1. August beginnt erstmals die Ausbildung zum „Kaufmann/Kauffrau E-Commerce“. An der Entwicklung des für Branchen wie Groß- und Einzelhandel, Tourismus, Banken und Versicherungen so wichtigen Berufsbilds waren viele Verbände beteiligt: Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland, der Hauptverband des deutschen Einzelhandels, der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen und der Deutsche Reiseverband. In einem zweijährigen Prozess haben sie gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) das Tätigkeitsprofil, die Rahmenbedingungen und die Lerninhalte des ersten für die digitale Wirtschaft geschaffenen Beruf entwickelt.
FRAGEN AN Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh), warum der neue Beruf so unentbehrlich ist, worin genau der Unterschied zu den herkömmlichen Kaufmannsberufen liegt und welche neuen Qualifikationen und Kompetenzen vermittelt werden.

Martin Groß-Albenhausen, Stv. Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland

Herr Groß-Albenhausen, warum war es notwendig einen neuen Beruf zu schaffen?

Das Thema E-Commerce bringt ein grundlegend neues Verständnis von Handel mit sich, das bestehende Strukturen nicht stützen können. Im Gegensatz zum Groß- und Einzelhandel, die mit physisch anwesenden Kunden zu tun haben, geht es im E-Commerce nämlich ausschließlich darum, auf digitalen Wegen zu verkaufen. Man muss verstehen, wie sich ein Kunde durch den Shop bewegt, welche Fragen er im Kopf hat und ihn dann digital leiten.

Die Grundlage dafür bilden Fotos, Videos, Texte; dazu kommen Produktdaten und Logistikdaten und Kennzahlen aus dem Marketing. E-Commerce ist ein sehr datengetriebenes Geschäft.

„Man muss mit Daten umgehen können und Kunden mit unterschiedlichen Endgeräten durch den Kaufprozess leiten.“

Was lernen E-Commerce-Kaufleute, was andere Kaufleute nicht können?

Im ersten Ausbildungsjahr beschäftigt man sich mit Produktdaten und lernt Tools zur Analyse des Kundenverhaltens kennen. Im zweiten Jahr stehen Service und Prozesse im Mittelpunkt: Wie handhabt man Kundenfragen oder die Kommunikation auf verschiedenen Kanälen wie Chats, Whatsapp, E-Mail oder Telefon. Man lernt viel über das Verhalten von Kunden, übrigens auch dadurch, dass sie bestimmte Dinge nicht tun, zum Beispiel das Produkt eben nicht in den Warenkorb legen. Für den E-Commerce-Kaufmann kann das bedeuten, dass er diesem technisch identifizierbaren Kunden das Produkt künftig nicht mehr anzeigt. Das Verständnis für solche Prozesse muss erlernt werden, genauso wie der absolut rechtskonforme Umgang mit Cookies, die dieses Wissen überhaupt erst erzeugen. Das dritte Lehrjahr ist der Steuerung der Prozesse gewidmet: Wie setzt man verschiedene Kennzahlen aus dem Marketing zueinander in Bezug? Was bedeutet zum Beispiel eine höhere Öffnungsquote von Newslettern auf Smartphones als auf stationären Computern dafür, wie viele Angebote tatsächlich verkauft werden? Oder wie verändert eine höhere Anzahl von Kunden, die über Preisvergleichsseiten kommen, die Wiederkäufer-Quote in meinem Onlineshop? Wie wird aus vielen kleinen Einzelentscheidungen eine große Entscheidung? Es geht um kaufmännische Steuerung und Kontrolle und auch ums große Ganze: Wie wirken sich neue technische und wirtschaftliche Entwicklungen speziell auf mein Geschäft, aber auch auf den gesamten Handel aus?

„In diesem Beruf beschäftigt man sich nicht mit dem was ist, sondern dem was sein wird.“

Die Branche steht unter einem wahnsinnigen technologischen Druck, ständig neue Geschäftsmodelle zu denken. E-Commerce-Kaufleute lernen deshalb bereits in der Ausbildung, dass sich ihre Arbeitsweisen und ihre Arbeitsprozesse ständig weiterentwickeln und verändern.

Welche Kompetenzen müssen also vermittelt werden?

Grafik aus der behv-Präsentation „Kaufleute im E-Commerce – Ausbildung und Qualifizierung für die Digitalisierung“

Der Deutsche Qualifikationsrahmen unterscheidet ja fachliche, personale und soziale Kompetenzen. Fachlich gesehen sind richtiger Einsatz und zielführender Umgang mit unterschiedlichen Softwaretechnologien wie Website-Programmen, Produktinformationssystemen, Shop-Systemen oder CAM-Systemen grundlegende Kompetenzen. Aber E-Commerce-Kaufleute sind keine Nerds, die allein vor ihrem Bildschirm sitzen! Personale und soziale Kompetenzen sind wichtig für die Zusammenarbeit mit der Marketingabteilung oder mit dem Fotografen, denen die E-Commerce-Kauffrau erklären muss, was wie gemacht werden soll. Außerdem braucht es analytisches Verständnis: Man muss Kennzahlen wahrnehmen, analysieren und steuern können. Beispiel: Ein Produkt hat sehr hohe Retouren. Woran liegt es? Liegt der Grund im Produkt an sich? Verspricht die Werbung Falsches oder ist nicht passgenau? Ist der Transportdienstleister unzuverlässig? Um dem auf die Spur zu kommen, muss man alle Kennzahlen kennen, sie wahrnehmen und zu deuten wissen. Eine große Rolle spielt auch das projektorientierte, das agile Arbeiten. Denn im E-Commerce wird Arbeit anders organisiert als im Handel sonst üblich. Und last but not least sind gute Englischkenntnisse wichtig!

Wie verändert sich die Ausbildung in den Betrieben selbst?

Groß- und Einzelhandelbetriebe, die schon lange ausbilden, sind froh, dass sie für ihr E-Commerce jetzt Azubis bekommen, die dem Tätigkeitsprofil wirklich entsprechen. Bei den bislang ausgebildeten Marketing- und Kommunikationsleuten oder Groß- und Außenhändlern war die Schnittmenge wegen der vielen digitalen Prozesse doch zu gering. Aber es gibt auch viele E-Commerce-Unternehmen, die mit Bachelor-Absolventen arbeiten und deshalb noch nie ausgebildet haben.

„Manche Betriebe müssen ihre Arbeitsorganisation und –prozesse grundsätzlich neu überdenken.“

Diese Betriebe tun sich etwas schwerer, müssen grundsätzlich überlegen, wie sie ihren Betrieb organisieren: Welche Ausbildungsstationen benötigen wir? Zu wem geht er oder sie? Wo sollen sie sitzen – solche Sachen. Und: Sie brauchen einen Ausbilderschein! Das sind schon Hindernisse, zumal vielen der Umgang mit so jungen Menschen unter 20 noch nicht vertraut ist. Umfragen in unserem Verband zeigen aber, dass 90% der Unternehmen ausbilden wollen.

Wie ist das Zusammenspiel mit den Berufsschulen?

Da muss sich noch einiges zurecht ruckeln! Manche Ausbildungsverträge kamen nicht zustande, weil Betriebe nicht wussten, in welche Berufsschulen sie ihre Azubis schicken sollten. Da neue Klassen erst ab einer Mindestschülerzahl eingerichtet werden, und das nicht in allen Regionen möglich ist, wird oft das Modell der zentralen Blockbeschulung gewählt: In Hessen zum Beispiel, aber auch in anderen Ländern, absolvieren Azubis in einer Landesfachklasse mehrwöchige Kurse an einer Berufsschule, z.T. mit angegliedertem Internat. Für die Betriebe ist das positiv, weil dann wirklich nur für den E-Commerce relevante Inhalte bearbeitet werden. Im anderen Modell, der gemeinsamen Beschulung, werden zwei oder drei Azubis in eine Klasse mit Groß- und Einzelhandelskaufleuten gesteckt und die spezifischen Inhalte über binnendifferenzierten Unterricht abgedeckt. Aber die Lerninhalte passen inhaltlich und in der zeitlichen Abfolge nicht wirklich gut zusammen.

Und wie werden die Lehrerinnen und Lehrer auf die neuen Inhalte vorbereitet?

Für die neuen Lernsituationen im E-Commerce entwickeln viele Berufsschulen gerade Workshops zur Lehrerfortbildung. Dies führt in unseren Augen aber zu einem eher heterogenen Fachwissen. Deshalb haben wir uns gemeinsam mit den anderen Verbänden entschlossen, eigene Lehrerfortbildungen anzubieten. So entwickeln Lehrerinnen und Lehrer ein gemeinsames Verständnis für den E-Commerce, wie er gedacht wird und gemacht ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Groß-Albenhausen!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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