„Mit unseren Fortbildungen zu Medienbildung und Informatik wollen wir möglichst viele unserer über 20.000 Lehrkräfte erreichen“

Landesbildungsserver, Schulcloud  und ein Unterstützungssystem – drei Säulen der Digitalisierung des Thüringer Bildungswesens

Wie das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) seine Lehrkräfte auf das Unterrichtsfach „Medienbildung und Informatik“ vorbereitet, das im Rahmen eines Pilotprojekts seit dem Schuljahr 2021/2022 erprobt wird.

Fotocollage: Melanie Hey und Mirko König vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (THILLM)

GESPRÄCH mit Melanie Hey und Mirko König vom ThILLM über das 2021/2022 eingeführte Unterrichtsfach „Medienbildung und Informatik“, die Rolle des Thüringer Schulportals und was das alles mit der Digitalstrategie Thüringer Schule zu tun hat. Wir haben über die Rahmenbedingungen der Medienbildung in Thüringen gesprochen, gefragt welche Erfahrungen sie bislang mit dem Unterrichtsfach gemacht haben und wie die Lehrerfortbildung für das neue Fach strukturiert und umgesetzt wird.

Frau Hey, Herr König, was genau lernen die Schülerinnen und Schüler im Fach „Medienbildung und Informatik“?

Mirko König: In den Klassenstufen 5 und 6 wird behandelt, welche Informatiksysteme es gibt und wie man sie kompetent nutzt. Ich sage bewusst Informatiksysteme, weil es nicht nur um Computer mit den klassischen Systemen der Text- und Bildbearbeitung im landläufigen Sinn geht, sondern auch um Mobiltelefone und die Kommunikation in einer vernetzten Welt: Wie kommuniziere ich richtig, wie nutze ich einen Chat? Wie E-Mail? Was ist ein angemessener Umgangston? Wie funktioniert das mit der Anrede? In Informatik-Projekten werden dann auch Algorithmen behandelt – in niedrigen Klassenstufen mit grafisch basierten Systemen wie beispielweise Scratch.

Was sind das für Schulen, an denen seit 2021/2022 „Medienbildung und Informatik“ unterrichtet wird?

Mirko König: Insgesamt nehmen am Thüringer Pilotprojekt über 30 Schulen teil – über sämtliche Regionen Thüringens hinweg verstreut. Ein Drittel davon Gesamtschulen, zwei Drittel machen die Gymnasien aus. Die Schulen beginnen mit dem Unterrichtsfach in Klassenstufe 5 und führen das Fach überwiegend in der 6. Klasse weiter. Der erste Zyklus ist schon durch, zum Teil beginnen schon wieder neue Durchläufe ab Klasse 5, in einigen Schulen wird es auch schon in Klasse 7 unterrichtet.

Und welche Erfahrungen haben die Pilotschulen mit dem neuen Fach gemacht?

Mirko König: Leider können wir dazu inhaltlich noch nichts sagen, denn die Evaluation der Erprobungsphase läuft derzeit noch, Ergebnisse werden wir voraussichtlich Ende 2023 haben. Für uns sind diese Erfahrungen und die konkreten Erkenntnisse mit dem Lehrplan des neuen Fachs wichtig; zum einen fließen sie in die Überarbeitung unserer Lehrplan-Leitgedanken ein, zum anderen in die Erarbeitung unseres neuen Rahmenplans zu Medienkompetenz in einer Kultur der Digitalität. Was wir allerdings schon feststellen können: Wir haben zu wenige Lehrkräfte für das Fach – pro Pilotschule sind es knapp zwei Lehrer, das könnten noch mehr werden.

„Für die Schülerinnen und Schüler ist`Medienbildung und Informatik´ ein ganz normales Unterrichtsfach.“

Anders sieht es bei der technischen Ausstattung aus – übrigens hauptsächlich stationäre PCs, zunehmend auch schülereigene, mobile Geräte –, da haben wir bereits Rückmeldungen erhalten: Sie wird von drei Viertel der Lehrkräfte der über 30 Schulen mit gut bis sehr gut bewertet, ein Viertel beurteilt sie als mittelmäßig bis schlecht. Dabei sind es vor allem die Netzwerkstrukturen, die schlechter abschneiden: Von der Hälfte der Schulen werden sie mit gut bis sehr gut bewertet, von der anderen Hälfte deutlich schlechter.

Wie kam es eigentlich dazu, dass „Medienbildung und Informatik“ ein eigenes Unterrichtsfach wurde?

Mirko König: An den Thüringer Schulen haben wir schon länger Erfahrung im Unterrichten von Medienkunde – seit dem Schuljahr 2002/2003 in den Klassenstufen 5 bis 7 für alle allgemeinbildenden weiterführenden und berufsbildenden Schulen und seit 2009/2010 auch noch bis Klasse 10 an den allgemeinbildenden Schulen. Die Medienkunde war hier ausschließlich integriert in die verschiedenen Fächer. Mit der Digitalstrategie des Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport im Jahr 2018 gab es dann eine grundlegende Weichenstellung; sie beschreibt drei wichtige Säulen im Bildungsbereich: Den Ausbau des Thüringer Schulportals zum Landesbildungsserver, die Bereitstellung eines Lernmanagementsystems für jeden Schüler und jede Schülerin und die Einführung des Fachs „Medienbildung und Informatik“. „Medienbildung und Informatik“ soll dabei als eigenständiges Fach die integrative Medienkompetenzförderung ergänzen.

Melanie Hey: Ich hoffe sehr, dass das Fach „Medienbildung und Informatik“ bald flächendeckend in ganz Thüringen eingeführt wird; es ist ja unser Anspruch, dass digitale Medien selbstverständlich im Unterricht eingesetzt werden und Medienkompetenz ganz konkret in der Praxis erworben wird. Es ist so wichtig, dass Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern werden, die aktiv an der digitalen Gesellschaft teilhaben können, und dass sie natürlich auf Berufe vorbereitet werden, die digitale Kompetenz erfordern. Ich zähle darauf, dass unsere Lehrkräfte ihren Beitrag dazu leisten und sie auch dabei unterstützen!

Wie werden die Fortbildungen zu Medienbildung und Informatik von den Lehrkräften angenommen?

Melanie Hey: Mit den Schulschließungen während der Corona-Zeit und den daraus folgenden Erfordernissen und Konzepten für ein digital unterstütztes häusliches Lernen ist das Interesse vor allem an technischen Grundlagen stark gestiegen. Aber wir haben festgestellt, dass wir die Kolleginnen und Kollegen nicht ausschließlich mit Technikschulungen unterstützen können, sondern immer auch mit dem Ziel, den eigenen Unterricht mit der neuen Technik weiterzuentwickeln oder umzugestalten: Wie kann ich im Unterricht besser individualisieren? Wie kann der Einsatz digitaler Medien zu einem lernförderlichen Unterricht beitragen? Wir versuchen also mit einer möglichst großen Angebotsvielfalt – Tagesveranstaltung, ganz kurze Fortbildung, Sprechstunde, Online, Hybrid, vor Ort Veranstaltung – die große Bandbreite an Kollegien abzuholen und mitzunehmen.

„Wir versuchen mit einer möglichst großen Angebotsvielfalt die große Bandbreite an Kollegien abzuholen und mitzunehmen.“

Und bei einer so heterogenen Zielgruppe wie den insgesamt 20.000 Lehrkräften in Thüringen ist das auch zentral – wir wollen schließlich die vielen Kolleginnen und Kollegen mit all ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Vorstellungen erreichen! Deshalb haben wir 2019 auch erst einmal ein an DigCompEDU (Anm. d. Red.: DigCompEDU ist der Europäische Rahmenplan für digitale Kompetenz von Lehrenden) angelehntes Kompetenzmodell entwickelt; es zeigt auf, welche Kompetenzen Lehrkräfte besitzen sollten, um auch die Schülerinnen und Schüler entsprechend fit zu machen. Unsere Fortbildungen schneiden wir deshalb auf die verschiedenen Kompetenzbereiche zu; die Angebote reichen dabei von ganz klassischen Bedien- und Anwendungskompetenzen und rechtlichen Einordnungen bis hin zum Einsatz von Medien im Unterricht oder den Beitrag, den sie für die Schulentwicklung haben können.

Mirko König: Unser Angebot an Fortbildungen ist wirklich sehr breit gefächert, weil auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein recht großes Spektrum abbilden. Einen Unterschied, zum Beispiel zwischen den Generationen, bezogen auf das Interesse an Medienbildung und Informatik, stellen wir gar nicht fest. Im Gegenteil, junge wie ältere Lehrerinnen und Lehrer begeistern sich gleichermaßen für das Thema!

„Über eine Weiterbildung für Informatik können Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen eine sogenannte Unterrichtserlaubnis erwerben.“

Für die Informatik bieten wir thematische Fortbildungen zum Beispiel zu Verschlüsselung oder Programmierung an – als mehrteilige Kurse mit drei Veranstaltungen in Folge oder auch als Tagesveranstaltungen. Zudem läuft in Thüringen eine Qualifizierungskampagne für Lehrerinnen und Lehrer: In einer zusätzlichen Stufe zwischen grundständigem Studium und normaler Fortbildung können 20 bis 30 interessierte Lehrkräfte ein Jahr lang in insgesamt 250 Stunden ein eigenes inhaltlich tiefes Programm zur Informatik absolvieren, in dem Inhalte zur Medienbildung integriert sind. Mit einem kompletten Studium ist das zwar nicht zu vergleichen, aber für den Unterricht der Klassenstufen 5 bis 10 ist man damit gut gerüstet – und hat obendrein eine gute Basis für ein weiterführendes Studium.

Welches in Thüringen bewährte Instrument können Sie Kollegen aus anderen Bundesländern empfehlen?

Melanie Hey: Unser Unterstützungssystem USYS! Es besteht aus über 300 Fachberatern und Beratern für Schulentwicklung, die unseren Thüringer Lehrkräften mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ein besonderes Merkmal dieses Unterstützungssystem ist das sogenannte „Bedarfserfassungsmodul“, über das Schulen ihren individuellen Fortbildungsbedarf für ihr Kollegium und ihre Situation melden können; ein Fachberater oder eine Fachberaterin gestaltet dann eine auf die Bedürfnisse der Schule zugeschnittene interne Fortbildung, begleitet die eventuell daraus resultierenden Schulentwicklungsprozesse und ermöglicht auch über neue Unterrichtskonzepte nachzudenken und sie gemeinsam zu entwickeln. Dieses Bedarfserfassungsmodul ist bundesweit tatsächlich einzigartig und wird im Bereich der Medienbildung gerade häufig angefordert. Zum Beispiel auch zur Unterstützung des Sofortausstattungsprogramms mit mobilen Endgeräten aus dem Digitalpakt. Direkt nach Auflage dieses Programmes kamen die ersten Anfragen: Wir haben einen Klassensatz Tablets bekommen, was können wir damit machen? Können sie mal einen Fachberater schicken?

Über das Unterstützungssystem USYS können Schulen individuellen Bedarf an Beratung und Fortbildung beim ThILLM beantragen.

Die Rückmeldungen der Fachberaterinnen und Fachberater sind sehr positiv – nicht nur die für den Bereich der Medienbildung zuständigen, sondern auch die der Kolleginnen und Kollegen, die zu Schulentwicklung oder anderen Themen beraten. Sie können nämlich direkt unter den individuellen Bedingungen vor Ort arbeiten und zeigen, wie man trotz technischer Einschränkungen mit kleinen Änderungen neues gestalten kann. Das funktioniert ja meist besser als vorgefertigte Lernsettings mit tollen Voraussetzungen zu erleben und bei der Rückkehr in die eigene Schule dann ganz andere Bedingungen vorzufinden.

Am 9. September hatte das THILLM zu einem Barcamp an di Uni Erfurt eingeladen.

Melanie Hey: Ja, zum  Barcamp „FokusDigital“ waren alle in der Medienbildung aktiven Kolleginnen und Kollegen eingeladen, ihre Angebote, Ideen und Innovationen in einer großen Runde zu teilen. Die über 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, waren sowohl aus der Schule als auch aus dem außerschulischen Bildungsbereich. In vielen unterschiedlichen Themenangeboten wurden Erfahrungen geteilt, am konkreten Material probiert, Zukunftsvisionen entwickelt und auch Herausforderungen diskutiert. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg und wird definitiv 2024 wiederholt!

Vielen Dank für das Gespräch Frau Hey, Herr König!

Jörg Becker (in einem Nachtrag zum Interview): Mir ist es noch sehr wichtig, auf unseren „ganzheitlichen Ansatz“ hinzuweisen: Für uns ist Medienbildung nicht nur ein Schulfach, auf das wir unsere Lehrkräfte vorbereiten. Wir wollen die Medienkompetenz auf allen Ebenen fördern, gerade auch die unserer Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb steht über unsere Thüringer Schulcloud seit 2020 für jeden Schüler, jede Schülerin und jede Lehrkraft ein Lernmanagementsystem bereit, mit dem jede und jeder arbeiten kann. Die Schulcloud steht auch der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung zur Verfügung, so können Referendare und Studierende im Praxissemester gleich den praktischen Umgang mit digitalem Lehren und Lernen üben. Und die drei Säulen der Digitalisierung des Thüringer Bildungswesens konnten wir am 21. und 22. September auf der Statuskonferenz Digitalpakt in Berlin vorstellen.

Mirko König ist beim THILLM für die Fachentwicklung und Lehrplanarbeit des Unterrichtsfachs „Medienbildung und Informatik“ verantwortlich.

Melanie Hey arbeitet beim THILLM im Referat Medienbildung, Digitalität, e-learning und hat das Barcamp „FokusDigital“ mitorganisiert, das am 9. September 2023 in Erfurt stattfand.

Jörg Becker ist Arbeitsbereichsleiter beim THILLM und fand es bei der Abstimmung des Interviews sehr wichtig, auf die Bedeutung der Thüringer Schulcloud für die Medienkompetenzförderung im Thüringer Schulwesen hinzuweisen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hey und Herr König!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver.

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