„Virtual Reality im Unterricht ist ein echter Gamechanger.“

Medienpädagogik muss für diese neue Technik frühzeitig sensibilisieren

GESPRÄCH mit Silke Grafe und Marc Latoschik über die gemeinsame Arbeit an einer virtuellen Lernumgebung für Studierende und Lehrende der Schulpädagogik an der Universität Würzburg. Die beiden erforschen im Projekt ViLeArn, wie aktuelle Techniken der virtuellen und der erweiterten Realität eingesetzt werden können, um medienpädagogische Kompetenzen von Lehramtsstudierenden und ihren Dozentinnen und Dozenten zu fördern. Dazu haben sie ein didaktisches Konzept entwickelt, das gemeinschaftliches und interaktives Lernen in Szenarien der virtuellen Realität ermöglicht. Das Konzept wurde mit den Studierenden im Wintersemester 2019/2020 in Seminaren zum Thema „Lehren und Lernen mit und über digitale Medien“ erprobt. Für die Lehrenden wird derzeit an einem Fortbildungskonzept gearbeitet, das sie dazu befähigen soll, die medienpädagogischen Kompetenzen Studierender zu fördern. Wir sprechen über die verschiedenen Forschungsansätze in Pädagogik und Informatik, über die Erfahrungen mit dem Einsatz der virtuellen Lernumgebung und warum die Auseinandersetzung mit Virtual Reality (VR) im Bildungsbereich so wichtig ist.

Frau Grafe, wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Einsatz der virtuellen Lernumgebung im Rahmen des Lehramtstudiums?

Silke Grafe: Wir haben ViLeArn in Vertiefungsseminaren der Schulpädagogik zum Thema Lehren und Lernen mit und über digitale Medien eingesetzt und waren damit sehr zufrieden. Die Studierenden sollten eigenständig ein Konzept zum Einsatz von virtueller Realität in der Schule im Unterricht entwickeln. Eine recht komplexe Gestaltungsaufgabe also, der aus pädagogischer Perspektive ein handlungsorientierter Ansatz zugrunde liegt. Die medienpädagogischen Grundlagen dazu haben sie – gemäß der Idee des Flipped Classrooms – zu Hause erarbeitet. Im Seminar wurde die Aufgabenstellung gemeinsam mit der Dozentin in einer Plenumssituation diskutiert und erste Lösungsvorschläge dazu entwickelt; das alles lief bereits in der ViLeArn-Umgebung. In der zweiten Phase haben die Studierenden in Kleingruppen – wiederum in der ViLeArn-Umgebung – auf der Basis ihrer erarbeiteten Grundlagen selbst entsprechende Konzepte entwickelt und die Ergebnisse anschließend wieder im Plenum diskutiert. Wir haben die Lernumgebung also dazu benutzt, Studierende anzuregen und darüber nachzudenken, wie virtuelle Realität im Unterricht umgesetzt werden kann.

„Wir haben mit einem didaktischen Doppeldecker gearbeitet.“

Marc Latoschik: Uns Informatiker interessiert beim Einsatz einer virtuellen Lernumgebung mehr die sozialpsychologische Sicht. Wir fragen uns: Wie wirkt eine virtuelle Umgebung unabhängig von didaktisch-pädagogischen Einsatzszenarien? Wie wirkt sie auf Benutzer, wenn sie in eine solche virtuelle Realität eintreten? Sind sie ängstlich oder offen? Sind sie aktiver oder passiver? Fühlen sie sich bedroht, wenn der virtuelle Körper bestimmte Eigenschaften hat? Oder fühlt es sich unnatürlich an, wenn der eigene Körper fehlt? Die virtuelle Lernumgebung selbst ist so flexibel gestaltet, dass ein echter Raum in beliebigen geometrischen Konfigurationen nachgebildet werden kann – also vom klassischen Frontalunterricht über Szenarien in der Umgebung bis hin zu Kleingruppen-Arbeitsplätzen. Man kann aus sechs, sieben verschiedenen Szenarien wählen.

„Es sind ganz grundlegende Dinge, die für eine virtuelle soziale Interaktion wichtig sind.“

Auch die Teilnehmenden können in der Virtuellen Realität in unterschiedlicher Verkörperung erscheinen; das kann von fotorealistischen bis zu comicartigen Avataren unterschiedlichster Ausprägung reichen. Und natürlich hat das Aussehen auch Auswirkungen auf die anderen Akteure und ihre Interaktionen – zumindest ist es unsere Hypothese, dass die Gestaltung der Avatare nicht unabhängig von den didaktischen Zielen zu sehen ist. Wenn ich mich beispielweise mit meiner Figur unwohl fühle, dann kann das eine Auswirkung auf mein Verhalten oder die Wahrnehmung meiner Figur und infolgedessen auch auf den Lehr-Lern-Prozess haben. Es ist also wichtig, die grundlegenden psychologischen Faktoren in der Interaktion zu identifizieren und zu berücksichtigen, um gute Rahmenbedingungen für ein optimales didaktisches Szenario zu entwickeln. Frau Grafe könnte das beste didaktische Prinzip der Welt für die virtuelle Lernumgebung entwickeln; wenn die Leute sie aber schon aufgrund ihrer Avatare gruselig finden, ist die ganze Sache schon fast zum Scheitern verurteilt.

Wie sind die Avatare in ViLeArn gestaltet? Können die Nutzerinnen und Nutzer ihr virtuelles Erscheinungsbild frei wählen?

Marc Latoschik: Es war eine unserer ersten Fragestellungen herauszufinden, ob und wie sich das Zusammenspiel in einer Gruppe mit unterschiedlichen Avataren ändert. Und es hat sich gezeigt, dass die Anzahl der Interaktionen innerhalb einer heterogenen, also zum Teil aus comicartigen, zum Teil aus fotorealistischen Darstellungen bestehenden Gruppen von Avataren, steigen. Das war für uns erst mal unerwartet, hat aber dazu geführt, dass wir das System so gebaut haben, dass man sich auch unterschiedliche Avatare auswählen kann. In unserer Studie haben wir diesen zusätzlichen Freiheitsgrad aber nicht frei zur Verfügung gestellt, denn damit hätten wir – empirisch betrachtet – angefangen Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Im Projekt ViLeArn – „Virtuelles Situiertes Lernen und Lehren mit Avataren und Agenten im Sozialen Cyberspace“ werden virtuelle Lernumgebungen auf Basis von Präsenz und sozialer Interaktion mit dem Ziel entwickelt und erforscht, Kompetenzen zu fördern und den Lernerfolg unter besonderer Berücksichtigung von Verfügbarkeit, Teilhabe und Inklusion zu steigern. Das Projekt verbindet dabei mediendidaktische Prinzipien der Präsenzlehre und des Lernens als interaktiver und gemeinschaftlicher Prozess unter Nutzung digitaler Medien mit aktuellen Techniken der virtuellen und erweiterten Realität. Lehrende und Lernende interagieren live in hybriden Avatar-Agenten-Lehr-Lernszenarien. Innerhalb der virtuellen Lernumgebungen werden heute verfügbare digitale Medien (Bild, Ton, Video, Web) nahtlos eingebettet. Das Projekt wird im Rahmen der BMBF-Richtlinie zur Förderung von Forschung zur digitalen Hochschulbildung von Oktober 2018 bis März 2022 gefördert.

Frau Grafe, zurück zum Seminar. Wie waren denn die Reaktionen und Einschätzungen der Studierenden auf die Arbeit in und mit ViLeArn?

Silke Grafe: Die Gruppeninterviews im Anschluss zeigten, dass sich die Studierenden zwar Sorgen wegen ihrer medientechnischen Kompetenz machten, gleichzeitig aber doch sehr gute inhaltliche Ideen für einen zukünftigen unterrichtlichen Einsatz von ViLeArn hatten – vor allem für Situationen, die für eine Schule in der Realität zu teuer, zu aufwendig oder zu gefährlich umzusetzen sind. Ein Student hat zum Beispiel vorgeschlagen, mit ViLeArn eine Umgebung zu bauen, in der man in die virtuelle Realität der Massentierhaltung eintauchen und hautnah erleben kann, wie die Hühnchen in einem solchen Stall leben müssen. Eine ziemlich schlüssige Idee, wie ich finde! Denn genau solche mediendidaktischen Kompetenzen anzubahnen, war ein wichtiges Ziel von uns.

„Die Immersion bietet Schülerinnen und Schülern eine ganz andere Erfahrungsebene als beispielsweise das Bild einer Massentierhaltung.“

In den Gruppeninterviews berichteten die Studierenden auch, dass die Erfahrung des Unterrichts in der virtuellen Lernumgebung vergleichbar mit ihren bisherigen Erfahrungen in Präsenz-Seminarräumen war. Auch von einem stärkeren Gemeinschaftsgefühl durch diese Gruppensituation im virtuellen Raum wurde berichtet und – das fand ich sehr interessant – von einem geringeren Ablenkungspotenzial; in unserem virtuellen Raum gibt es keine Fenster, um den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Und man kann sich auch nicht parallel mit dem Smartphone beschäftigen, weil man ja eine VR-Brille aufhat.

Und was haben die Dozierenden zurückgemeldet?

Silke Grafe: Wir haben die Entwicklung von ViLeArn-Szenarien für den Einsatz in der Lehrerbildung auch Dozentinnen und Dozenten der Schulpädagogik als Fortbildung angeboten. In den anschließenden Gruppeninterviews wurde deutlich, dass die Vorerfahrungen in der Nutzung virtueller Realität sehr unterschiedlich sind. Um zu erklären, wie man die Brille aufsetzt oder wie man mit dem Controller umgeht, braucht man Zeit. Eine längere einführende Phase in die Handhabung der Technik mit ausreichend Zeit für die Auseinandersetzung ist absolut notwendig.

„Technikeinführung sowie binnendifferenzierte Fortbildungsmaßnahmen und Begleitmaterialien sind sehr wichtig.“

Aber die Teilnehmenden haben nicht nur den erhöhten Aufwand sich mit der neuen Technologie zu beschäftigen gesehen, sondern auch das Unterstützungspotential für Lehr-Lern-Situationen – die vielfältigen Visualisierungsmöglichkeiten und das Eintauchen in neue Welten. Auch die Ortsunabhängigkeit und die Möglichkeit weitere digitale Medien einbinden zu können wurden wertgeschätzt. Und dass eine virtuelle Lernumgebung eine motivierende Wirkung auf die Lehrenden haben kann! Für uns war es auf jeden Fall wichtig, dass das Nachdenken über virtuelle Realität und ihren Einsatz in Lehre und Unterricht selbst in der virtuellen Realität stattfindet; weil man unmittelbar im eigenen Lernprozess die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technik erfährt. Die Dozierenden haben das in der Fortbildung auch sehr kritisch reflektiert; sie konnten sich unterschiedliche Einsatzszenarien vorstellen – zum Beispiel eine Diskussion didaktischer Modelle in Seminargruppen oder auch die Visualisierung verschiedener Anwendungsbeispiele in ViLeArn.

Herr Latoschik: Wie geht man in einer virtuellen Lernumgebung eigentlich mit non-verbalen Kommunikationssignalen um? An welche Grenzen sind sie gestoßen?

Marc Latoschik Wenn man VR ernsthaft in Seminaren der Schulpädagogik einsetzen möchte, muss man kostengünstige „Consumer Technology“ einsetzen, also das, was man in jedem Elektronikmarkt einkaufen kann. Im Vergleich zu teuren Geräten, die auch Mimik und Augenbewegungen erkennen und abbilden können, steht hier allerdings nur die Position und Ausrichtung des Kopfes sowie die Position und Ausrichtung der beiden Hände zur Verfügung. Wir haben uns also angeschaut, wie soziale Interaktion ohne zusätzliche nonverbale Signale funktioniert. Dabei haben wir festgestellt, dass Menschen sehr gut darin sind, das verfügbare Potenzial ihres Kommunikationsgeräts so zu nutzen, dass ihre Signale dennoch übertragen werden: Um Distanz zwischen zwei Personen zu signalisieren, wird das Gesicht eher abgewendet, Armwedeln erzeugt Aufmerksamkeit. Das sind zwar eher grobe Signale, aber sie kommen an. Wir haben uns also mit sozialen Signalen beschäftigt, die in Augmented Reality-Situationen funktionieren.

„In VR-Szenarien kann man mit sozialen Signalen arbeiten, ohne sie eins zu eins replizieren zu müssen.“

Drei Beispiele: Um die intrapersonelle Distanz von Avataren anzuzeigen, haben wir ihre Farbe verändert. Wenn man also einer anderen Person nahe kommt, werden die Avatare einfach gleich eingefärbt. Das funktioniert, weil Menschen mit körperlicher Nähe Zusammengehörigkeit assoziieren. Ein zweiter wichtiger Faktor in der sozialen Kommunikation ist der Blickkontakt. Wir haben ja nur die Richtung der Köpfe, was nicht genau dem Blickkontakt entspricht. Also werden virtuelle Bubbles eingeblendet, um zu zeigen, dass zwischen den Köpfen etwas ausgetauscht wird! Und wenn Leute die gleiche Stelle auf der Tafel anschauen, werden diese Inhalte mit einem kleinen Heiligenschein hervorgehoben. Da weiß man sofort: Ich bin nicht der Einzige, der sich das gerade anguckt. Man kann sich umschauen und sehen, wer sich noch für diesen Inhalt interessiert. Die Teilnehmenden identifizieren diese Möglichkeiten sehr schnell, nehmen sie sofort in ihr Repertoire auf und ändern ihr Verhalten entsprechend.

Was ist aus Ihrer Sicht das Spannende am Einsatz von Virtual Reality im Bildungsbereich?

Marc Latoschik: Wir haben bisher nur an der Oberfläche gekratzt. Wir sind gerade erst dabei, eine reale Lehr-Lernumgebung weitestgehend in Virtual Reality zu replizieren – damit ist erstmal nur der Goldstandard kopiert worden. Und erst wenn wir mit der virtuellen Lernumgebung gezeigt haben, dass wir mit dem Goldstandard zumindest gleichziehen können, kommen die Freiheitsgrade der Virtual Reality zusätzlich zum Tragen. Dass VR vor allem anderen ein Erlebnismedium ist, wird von Leuten, die das Thema von außen betrachten, nicht wirklich wahrgenommen.

„Virtual Reality ist ein Erlebnismedium, das sich besonders gut für Therapie, Training und Ausbildung eignet.“

Es ist nämlich ein maßgeblicher Unterschied, ob ich in einem Unterrichtsszenario das Thema Massentierhaltung bespreche und als mediale Begleitung eine Video-Dokumentation oder Reportage zeige, oder ob ich selbst aktiv in diesen Hühnerstall versetzt werde. Als passiver Betrachter kann ich das Geschehen emotional von mir fernhalten. In der virtuellen Realität wird das sehr schwerfallen, da fallen ethische Fragen letztendlich sehr plastisch in den Fokus. Das ist ein unmittelbares Erleben, das grundlegende emotionale Zustände berührt. Wenn ich beispielsweise auf einem virtuellen Wolkenkratzer bin, kann ich mir hundertmal sagen: „Das ist jetzt nicht real, ich kann nicht runterfallen.“ Aber alle physiologischen Messungen zeigen, dass man wirkliche Höhenangst spürt. Das heißt, es gibt keine virtuelle und keine reale Höhenangst – ich habe das gleiche Schwitzen, ich habe die gleiche erhöhte Herzfrequenz. Deshalb sollten manche Settings in VR-Umgebungen auch nicht gemacht werden. In einer Therapie kann man Spinnenphobikern eine virtuelle Spinne zeigen und sie, indem die Distanzen immer weiter verringert werden, sukzessive desensibilisieren. Aber man kann auch genau das Gegenteil erzeugen und eine solche Phobie provozieren. Die Assoziation zwischen kognitivem Wissen und physiologischem Erleben ist so stark, dass ich das Ergebnis nicht so schnell vergesse. Jedenfalls nicht so schnell wie einen Film, den ich mir angesehen habe. Das ist der entscheidende Unterschied beim Einsatz von Virtual Reality!

Künstliche Intelligenz und Bildung

Das Dossier des Deutschen Bildungsservers bietet unter anderem Links zur KI-Strategie der Bundesregierung, zu mit dem Thema beschäftigten Forschungseinrichtungen, zu Informationssammlungen zum Bereich Arbeit und Qualifizierung sowie zu Materialien zur Behandlung des Themas im Schulunterricht. Hier die Inhalte:

Welche Forschungsfragen treiben Sie im Projekt noch um?

Marc Latoschik: Wir haben einen Bereich noch gar nicht angesprochen – dass wir nämlich nicht nur mit virtuellen Avataren arbeiten, sondern auch mit Agenten. Wir wollen erforschen, was passiert, wenn wir in avatargesteuerten Lehr-Lern-Szenarien virtuelle Agenten einschleusen, also Entitäten, die genauso aussehen wie die anderen Teilnehmenden, aber durch eine KI gesteuert sind und nicht durch einen Menschen. Die wollen wir benutzen, um sie im positiven Sinne zu beeinflussen. „Role-Models“ also, die immer sehr aufmerksam sind, an den Lippen der Dozierenden hängen und immer Blickkontakt haben. Werden sie als Streberinnen oder Streber wahrgenommen? Oder vielleicht doch als „Peacemaker“, die in einem unruhigen Lern-Lehr-Kontext Ruhe in die Klasse bringt? Solche Fragen zu stellen, ist uns sehr wichtig. Das berührt auch forschungsethische Fragen. Identifiziere ich Avatare auch wirklich als das Gegenüber eines echten Menschen, oder erkenne ich es nicht, dass sich jemand nur für eine reale Person ausgibt?

Silke Grafe: Mit diesen Möglichkeiten von Virtual Reality und KI wird die medienpädagogische Perspektive immens wichtig. Deswegen ist es uns auch so ein großes Anliegen, nicht nur die medienpädagogischen Kompetenzen der Dozierenden zu schulen, sondern auch die der Studierenden, denn sie sollen schließlich als Lehrende die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler fördern. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Anliegen. Denn je weiter sich diese Technologie ausbreitet, desto mehr werden sie Lernende auch in ihrer Freizeit nutzen. Und dann kommen genau die Problemlagen zum Tragen, die wir bereits aus dem Umgang mit Computerspielen kennen.

„Medienkompetenz als sachgerechter, selbstbestimmter, kreativer und sozial verantwortlicher Umgang mit neuen Technologien.“

Marc Latoschik: Dem kann ich nur beipflichten! Wir müssen die nächste Generation für diese neue Technik frühzeitig sensibilisieren und so immunisieren, dass sie durch die damit einhergehenden Risiken nicht so schnell an der Nase herumgeführt werden. Denn das passiert gerade, und es ist mit der Einführung der Smartphones passiert – das ging so schnell, man hatte als Wissenschaftler gar keine Chance die Konsequenzen zu erforschen. Dass uns das bei der nächsten Technologie nicht wieder passiert, ist mein Wunsch!

Können Sie sich vorstellen, dass ViLeArn in den „Regelbetrieb“ übernommen wird?

Silke Grafe: Aus der Perspektive der Bildungsforschung ist der systemische Blick besonders wichtig. Also: Haben wir eine technische Infrastruktur zur Verfügung? Haben wir passende Beispiele und Inhalte? Wissen wir, welche Kompetenzen wir fördern wollen? Muss die Organisationsentwicklung in unserer Schule oder Universität vorangebracht werden? Auch die Expertise der Dozierenden muss man in den Blick nehmen. Es sind verschiedene Räder, an denen man schrauben muss, um solche virtuellen Lernumgebungen im Regelbetrieb flächendeckend zum Einsatz zu bringen.

Marc Latoschik: Man kann es in den Regelbetrieb übernehmen, aber vielleicht noch nicht jetzt. Wir müssen erst alle möglichen Facetten und Risiken so durchdrungen haben, dass wir die virtuelle Lernumgebung ethisch und pädagogisch guten Gewissens empfehlen können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen. Aber die Herstellung von guten Lehrmaterialien ist ein Aufwand, das trifft die digitalen genauso wie die klassischen Medien. Deshalb braucht es erst mal ein technisches Rahmenwerk, in das Inhalte eingepflegt werden können, danach kommen die Inhalterzeugenden ins Spiel, die neue Ideen entwickeln und umsetzen; dann spricht eigentlich auch nichts gegen einen Regelbetrieb. Nicht ohne Grund ist die von uns eingesetzte Technologie „consumer ready“, auch wenn es natürlich immer Personengruppen mit höherer oder niedrigerer Affinität zur Technologie gibt. Frau Grafe hat zurecht gesagt, dass man bei den Dozierenden anfangen muss. Wenn die schon keinen Mut und kein Interesse haben, Medien zu benutzen, dann wird die nächste Generation von Lehrenden sie auch nicht einsetzen. Wenn aber viele Leute die ViLeArn einsetzen und Inhalte produzieren, kommt das auch ins Rollen und ist für einen Regelbetrieb durchaus geeignet.

Vielen Dank für das Gespräch Frau Grafe, Herr Latoschik!


Prof. Dr. Silke Grafe hat an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Schulpädagogik inne. Schwerpunkte ihrer Forschung sind unter anderem Unterrichts- und Schulentwicklungsforschung, Medienpädagogik, Kompetenzmodellierung und -messung sowie Hochschuldidaktik.


Prof. Dr. Marc Latoschik vom Lehrstuhl Human-Computer Interaction (HCI) der Universität Würzburg forscht zu immersiven und interaktiven Systemen, Game-Engineering, Medieninformatik und Digital Media Processing.


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


 

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