„Wir Verlage haben noch nie so einen guten Job gemacht wie hier und heute!“

Open Access ist die Publikationskultur des 21. Jahrhunderts

Open Access in der Bildungsforschung (5): Die Situation der Verlage

INTERVIEW MIT Dr. Karin Werner, Verlags- und Programmleitung des transcript-Verlags in Bielefeld, dessen Programmschwerpunkte in den Kultur-, Medien- und Sozialwissenschaften liegen. Auch in der Pädagogik hat der ursprünglich aus der Soziologie kommende transcript-Verlag bis dato 168 Titel veröffentlicht, 23 davon auch als Open-Access-Publikationen. In den letzten Jahren hat er sein Geschäftsmodell konsequent entlang der Prinzipien frei zugänglicher Literatur ausgerichtet und stellt sich damit nicht nur engagiert den Herausforderungen, die Open Access für das Verlagsgeschäft bedeutet, sondern sieht sich als Gestalter einer neuen Publikationskultur im 21. Jahrhundert. Seit August 2019 ist der transcript-Verlag Kooperationspartner von pedocs, dem Open Access-Repositorium für Erziehungswissenschaft. Wir sprechen mit der Verlagsleiterin Karin Werner über die Chancen von Open-Access-Publishing, den komplett neuen Aufgaben, die Verlage wahrnehmen müssen, und wie sie sie bewältigen können.

Dr. Karin Werner, Verlagsleiterin transcript-verlag, Bielefeld

Frau Werner, der transcript-Verlag ist der jüngste Partner von pedocs. Was hat den Ausschlag für die Kooperation gegeben?

Wir haben seit vielen Jahren eine hohe Affinität zu Open Access, und in unserer gesamten Open Access-Strategie ist die Kooperation mit pedocs ein wichtiger Baustein. Der Hauptgrund für die Zusammenarbeit liegt an zwei Dingen, die uns sehr wichtig sind: pedocs genießt ein hohes Renommée in der Erziehungswissenschaft und die Inhalte haben eine hohe Sichtbarkeit! Deshalb haben wir uns zum Start auch für die zeitgleiche Veröffentlichung von 23 Publikationen aus unserem Pädagogik-Programm als Print- und Open Access-Ausgabe entschieden, bei pedocs wird es übrigens das Kooperationsmodell Open Access genannt. Für die Veröffentlichungen von einzelnen Aufsätzen oder Kapiteln aus Monographien greifen wir auf das Modell mit Embargofrist zurück, Selective Access. Auch das Modell Supplement Open Access ist für uns perspektivisch interessant, weil wir darüber zusätzliche Materialien und Beiträge veröffentlichen können, die beispielsweise aus Platzgründen keinen Eingang in eine Publikation gefunden haben.

Sie sagen, dass Ihr Verlag eine hohe Open Access-Affinität hat: Wo waren oder sind Sie sonst noch aktiv?

Wir haben zum Beispiel mit dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ein Pilotprojekt als Open-Access-Partner gemacht (von 2015 bis einschließlich 2017), wir sind Open-Access-Publikationspartner des österreichischen FWF Wissenschaftsfonds, und wir sind am BMBF-geförderten Projekt OGeSoMo der Universitätsallianz Ruhr als Verlagspartner beteiligt. Zudem haben wir schon seit Jahren Open-Access-Reihen und -Zeitschriften im Programm und veröffentlichen im Jahr zwölf Prozent unseres Verlagsprogramms im Open Access, das sind ca. 50 Titel. Wir würden den Anteil gerne noch steigern, denn wir haben jährlich knapp 200 Anfragen – aber leider fehlt das Geld dafür.

Sie arbeiten auch eng mit Knowledge Unlatched zusammen.

Wir kennen Knowledge Unlatched mittlerweile seit fünf Jahren. Ursprünglich ist das ein Projekt aus Großbritannien, das sich seit einigen Jahren auch in Deutschland etabliert hat. Vereinfacht gesagt, wird der kostenfreie Zugang zu wissenschaftlicher Fachliteratur dadurch finanziert, dass fachspezifische zusammengebundene Literaturpakete, so genannte KU Select Collections, von mehreren Bibliotheken, darunter in 2018 auch 50 aus Deutschland, gemeinsam finanziert werden. Was genau in diese fachspezifischen Selektionen Eingang findet, entscheidet ein Auswahlgremium aus Bibliothekaren. Ein geniales Konzept, das sich aber nur auf englischsprachige Publikationen bezieht. Und da wir circa 20 Prozent unseres Verlagsprogramms in Englisch publizieren, haben wir uns da eingeklinkt. Knowledge Unlatched ist wirklich ein hoch innovatives und attraktives Modell, in dem die Prinzipien des Crowdfunding für den wissenschaftlichen Buchmarkt auf einem hohen Qualitätsniveau aktiviert wurden. Mittlerweile haben sie weltweit Kontakte mit fast 300 Bibliotheken – für Publikationen eine Reichweite, die einfach Gold wert ist!

Wie hoch sind die Gebühren, die Sie für eine Open Access-Veröffentlichung in ihrem Verlag verlangen? Für eine Dissertation? Einen Sammelband?

Das sind im Moment pauschal 6.000 Euro, genau 95 Prozent unserer Betriebskosten, die für Open Access-Publikationen anfallen. Ungefähr 1.000 Euro pro Neuerscheinung sind die Kosten für Open-Access-Publikationen im Moment höher als für Print-Publikationen; mit der steigenden Anzahl der Open-Access-Titel wird sich das mittelfristig nivellieren. Es sind vor allem die Personalkosten, die zu Buche schlagen – wir haben zwei neue Stellen geschaffen, unsere komplette IT-Infrastruktur geändert, eine eigene Peer-Review-Plattform programmiert, unsere Webseite mit dem bisherigen Shop-System komplett aufgebrochen, um die Wandlung zu einem Open-Access-Server hinzukriegen und vieles mehr. Wir haben eine ganze Menge zusätzlicher Aufwände – übrigens auch dauerhaft – zu realisieren, um hochkarätige und exzellente Open-Access-Publikationen produzieren und anbieten zu können. Ich zähle das alles auf, um zu erläutern, dass wir einen hohen fünfstelligen Betrag pro Jahr nur für unsere Open-Access-Novitäten ausgeben.

„Transparenz ist aus unserer Sicht der Schlüssel für Partnerschaft und Partnerschaft brauchen wir, damit Open Access dann gelingt.“

Auch unsere Partner bekommen solche Kostenaufstellungen von uns. Auf den ersten Blick mögen die 6.000 Euro pro Titel vielleicht viel erscheinen, aber wenn man das im größeren Maßstab betrachtet und durchrechnet, ist dieses Open-Access-Finanzierungsmodell auf Dauer sogar günstiger als das derzeitige Erwerbungsmodell der Bibliotheken.

Welche Arbeiten und Leistungen übernehmen Sie dafür?

Ich fange an: Qualitätskontrolle durch Lektorat oder selbst aufgesetzte Peer-Review-Plattform, Prüfung, editorische Beratung und Begleitung von Manuskripten, Platzierung des Buches in einer produktiven editorischen Umgebung wie Reihen und Programmbereiche, Pflege bestehender und Installation neuer Editionen. Auch wenn die Leute das nicht sehen, wir haben einen sehr umfangreichen Bereich für Titelredaktion und Begleittexte inklusive Metadaten, Beratung zu Rechten und Lizenzen. Und die medienneutrale Herstellung der Titel – Stichworte sind hier pdf, Print, E-Pub, demnächst auch html – ist nicht nur sehr kostenintensiv, sondern führt auch zur Diversifizierung von Aufgaben, denn jedes Kapitel, jeder Aufsatz ist eine eigene Publikation und muss als solche verwaltet werden. Und in dieser Aufzählung sind einzelne Positionen zu Herstellung und Druck, zu Marketing und Vertrieb, zu Lagerhaltung und Autorenhonorar noch gar nicht dabei!

„Qualitätsverlage sind agil, erfinderisch und kreativ – und liefern exzellente Leistung ab.“

Wenn man Open Access damit gleichsetzt, eine PDF-Datei auf einen Server zu legen, ginge die Veröffentlichung vielleicht günstiger. Aber aus unserer Sicht ist Open Access die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens und wir schulden unseren Autorinnen Reichweite, wir schulden ihnen auch die Anlieferung von sauberen Nutzungsdaten, und wir schulden ihnen sauber editierte Dateien!

Warum können Autoren nicht komplett von eigentlich klassischen Verlagsarbeiten wie Korrektur, Lektorat und Satz befreit werden?

Kern der Open-Access-Thematik für Verlage ist, dass wir Bücher medienneutral herstellen und damit auch wirklich offene Daten anbieten, die von Suchmaschinen und Discovery-Services gefunden werden. Autoren können uns an der Stelle also nichts abnehmen. Vielleicht hilft ein Vergleich: Vor 20 Jahren hatten wir im Schnitt pro Buch einen Aufwand von 110 Stunden, jetzt haben wir 15 Stunden mehr, mit steigender Tendenz. Und das in Zeiten schrumpfender Märkte. Will heißen: Verlage haben erheblich mehr Aufwand bei sinkenden durchschnittlichen Verkäufen. Das ist eine Situation, in der kaum die Rede von hohen Überschüssen sein kann, und das obwohl wir alle sehr effizient und wirtschaftlich arbeiten. Dazu kommt, dass sich unsere Arbeit grundlegend gewandelt hat: Während Lektoren früher mehr in den Texten gearbeitet haben, müssen wir heute viel mehr an Datenformaten und Schnittstellen arbeiten, aber auch daran, das Buch in vielfacher Weise und an viele Milieus kommunikativ anschlussfähig zu machen. Ein Beispiel: Als wir vor 20 Jahren angefangen haben, passte eine VLB-Meldung (VLB steht für Verzeichnis lieferbarer Bücher) auf ein kleines Kärtchen, heute basiert unsere VLB-Meldung auf Onix, einem HTML-Derivat und ist zwei Meter lang!

„Das deutsche Wort „verlegen“ trifft unsere Arbeit eigentlich nicht mehr, ich spreche deshalb lieber von Publishing.“

Was ich sagen will: Wir Verlage sind gewiefte Multi-Publisher geworden und diese Verschiebung müssen wir kommunizieren! Natürlich könnten wir das Lektorat auch noch machen, aber dann sind wir bei 8.000 bis 9.000 Euro pro Buch. Das ist nicht wirtschaftlich. Auf der anderen Seite kann sich auch niemand mehr das Leistungsspektrum eines Verlags der 80er Jahre wünschen: Lektorat, Herstellung, Druck und Versand, Kontakt mit Buchhandel und zwanzig Rezensionen akquirieren. Das war nämlich ein vergleichsweise einfaches und übersichtliches Geschäft. Wir haben in den 20 Jahren, die es uns gibt, den transcript-Verlag dreimal komplett aufgebohrt und wieder neu zusammengesetzt. Die digitale Transformation haben alle Qualitätsverlage brillant bewerkstelligt und das, ohne dass die öffentliche Hand jemals einen Cent reingesteckt hätte. Wir Verlage haben noch nie so einen guten Job gemacht wie hier und heute!

Stichwort Open Access-Transformation: Wie soll, kann sie finanziert werden?

Die Finanzierung ist bislang noch ein Mix aus verschiedenen Töpfen: Es gibt Stiftungen, die bestimmte Open-Access-Publikationen finanzieren, auch die Leibniz-Gemeinschaft hat sich mittlerweile dafür geöffnet. Forschungsinstitute fördern Open Access immer ausgewählt, und es gibt Sonderforschungsbereiche und Exzellenzcluster, denen es wichtig ist, ihre Veröffentlichungen mit höchster Qualität und Reichweite zu verknüpfen. Nach meinem Dafürhalten fast ein Obligo, denn was nutzt mir die Exzellenz, wenn ich die Reichweite nicht erziele? Und in Niedersachsen wird es einen Open Access-Fond geben – hoch interessant, auch wenn noch nicht klar ist, wann genau er kommt und was er beinhaltet. Und dann gibt es natürlich noch das schon beschriebene Crowdfunding-Modell von Knowledge Unlatched, auf das wir sehr stark setzen. In den Politikwissenschaften ist es uns gemeinsam mit dem Nationalen-Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE in Bielefeld letztes Jahr gelungen, dafür 46 Crowdfunder zusammenzubringen, die zusammen 20 Titel aus der Politikwissenschaft finanzieren konnten. Das versuchen wir auch für 2020 und für 2021 auch in der Soziologie.

„Bei Open Access-Veröffentlichungen ist es für alle Beteiligten wichtig, zu wissen, welche Leistungen angeboten werden. Gemeinsame Qualitätsstandards sind deshalb sehr wichtig.“

Für die Finanzierung von Open-Access-Publikationen spielen übrigens Qualitätsstandards eine wesentliche Rolle, denn wenn wir Geld für Open Access haben wollen, müssen wir auch definieren, welche Qualität alle Partner dafür bekommen. Gemeinsam mit dem OA2020-DE und Knowledge Unlatched haben wir 2018 deshalb ein Papier mit durchaus anspruchsvollen Qualitätsstandards vorgelegt.

Zum Schluss: Was wären aus Ihrer Sicht ideale Bedingungen für Open Access?

Wir brauchen einen offenen Geist für die Möglichkeiten, die unsere Zeit bietet – und zwar bei allen Akteuren. Gemeinsam könnten wir eine neue demokratische und transparente Publikationskultur gestalten und das nicht wie im Bereich Naturwissenschaft, Technik und Medizin (engl. Science, Technology, Medicine, kurz STM) den großen Konzernen überlassen. Das heißt: Angst weg, Engstirnigkeit weg und auch die Erwerbermentalität bei den Bibliotheken als einzigen geistigen Frame mal in Frage stellen! Wir sollten gemeinsam Workshops veranstalten und uns als „Enabler“ definieren, um Neues auf den Weg zu bringen. Natürlich spielen da finanzielle Mittel eine Rolle, aber das Geld allein wird uns nicht helfen. Leider ist das weder bei den Verlagen, noch bei den Bibliotheken oder bei den Autorinnen wirklich angekommen. Wir alle – Verlage, Repositorien, Bibliotheken, Autoren und Wissenschaftsförderung – müssen uns zusammenraufen und Exzellenz beim Publizieren gemeinsam neu erfinden. Das ist doch eine großartige Herausforderung!

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Werner!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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