Bildungsgerechtigkeit in der beruflichen Bildung

Über Maßnahmen in der Berufsbildung, die Bildungsgerechtigkeit fördern.

In insgesamt vier Interviews mit Fachleuten aus der Berufsbildung geht Christine Schumann in dieser Folge unserer Reihe Bildungsgerechtigkeit der Frage nach, wie man Ungleichbehandlungen in der beruflichen Bildung entgegenwirken kann. Dazu hat sie mit Leiterinnen und Leitern ausgewählter Projekte gesprochen: Mit Roman Wink von der Stiftung Bertelsmann zum Thema Teilqualifizierungen, mit Sabine Schwarz von „Lernende Region – Netzwerk Köln“ über arbeitsorientierte Grundbildung, mit Renate-Anny Böning vom Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik über Ausbildungsbegleitung und mit Rachel Knauer vom Berufsförderungswerk Köln über ein Projekt, das Digitalisierung, Inklusion und Berufsbildung zusammendenkt.

Wortwolke mit verschiedenen Begriffen wie Fachkräftesicherung, Zukunft, Personal, Qualifikation, Nachwuchs, Bildung, Demografie etc.

Zum Dossier „Bildungsgerechtigkeit“ mit vielfältigen Infos zur Förderung von Ausbildung und zur Erreichung von Abschlüssen, zur Unterstützung bei Qualifizierungsmaßnahmen und zur Durchlässigkeit zwischen Bildungssektoren sowie zu Grundbildung und Medienkompetenz .

Linkempfehlungen zum Thema Bildungsgerechtigkeit und Berufsbildung im Dossier des Deutschen Bildungsservers


Die Interviewpartner*innen


Lesefassung (nur Moderationstext)

Guten Tag und herzlich willkommen bei der neuen Folge unseres Podcasts „Bildung auf die Ohren“ – dieses Mal zum Thema Bildungsgerechtigkeit und Berufsbildung. Mein Name ist Christine Schumann.

In der ersten Folge unserer Reihe haben wir ja schon festgestellt wie vielschichtig und auch unübersichtlich das Thema Bildungsgerechtigkeit ist. Denn nicht alles, was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, taugt auch wirklich. Man dürfe nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, sagte Katharina Wessling vom BIBB im Hinblick auf Ungerechtigkeiten, die Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfahren können; vielmehr müsse man gezielt und individuell vorgehen, um Ungleichbehandlungen in der Berufsbildung aufzuspüren. Man muss also genau hinschauen und analysieren, wo, wann und wodurch sie entstehen – um dann geeignete Instrumente zu entwickeln.

Ich habe mich also auf die Suche nach solchen Maßnahmen gemacht und mir erstmal die Seiten zur Berufsbildung im Dossier „Bildungsgerechtigkeit“ des Deutschen Bildungsservers angeschaut; sie waren sehr hilfreich! Aus den dort identifizierten Themenfeldern habe ich mir vier Projekte und Programme herausgesucht und mit den jeweiligen Leiterinnen und Leitern gesprochen: Mit Roman Wink von der Stiftung Bertelsmann zum Thema Teilqualifizierungen, mit Sabine Schwarz von „Lernende Region – Netzwerk Köln“ über arbeitsorientierte Grundbildung, mit Renate-Anny Böning vom Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik über Ausbildungsbegleitung und mit Rachel Knauer vom Berufsförderungswerk Köln über ein Projekt, das Digitalisierung, Inklusion und Berufsbildung zusammendenkt.

Anfangen will ich mit Roman Wink, der bei der Bertelsmann-Stiftung das Projekt „Aufstieg durch Kompetenzen“ leitet. Er beschäftigt sich unter anderem mit Teilqualifikationen und wie sie aufeinander aufbauen müssen, damit sie zu einem vollständigen Berufsabschluss führen können.

O-Ton Roman Wink….

Teilqualifizierungen sind also ein guter Weg – vor allem, um die über 25-jährigen ins Berufsleben zu bringen. Außerdem wären eine klarere Struktur in der öffentlichen Weiterbildung und mehr Flexibilität gegenüber den Lebensbedingungen Erwachsener grundsätzlich geeignet, um mehr Gerechtigkeit in der Berufs- und Weiterbildung schaffen.

Auch die Idee der arbeitsorientierten Grundbildung ist eng mit der Arbeitswelt verknüpft. Für Sabine Schwarz, die bei „Lernende Region – Netzwerk Köln“ den Bereich Grundbildung und Alphabetisierung für Erwachsene leitet, ist sie ein sehr erfolgversprechendes Konzept, um Erwachsenen grundlegende Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben Rechnen und Umgang mit digitalen Anforderungen zu vermitteln. Und zwar bezogen auf ihr jeweiliges Arbeitsumfeld. Aber lassen wir uns erst mal den Begriff genau erklären.

O-Ton Sabine Schwarz….

Die Menschen da abholen, wo sie sind. Das ist nicht nur ein Satz für die Politik, sondern auch für die berufliche Bildung, vor allem dann, wenn es um Grundbildung geht. Mit dem Konzept der arbeitsorientierten Grundbildung werden also nicht nur grundlegende Fähigkeiten gefördert, sondern auch die Qualifizierungsfähigkeit. Außerdem hat sie eine Brückenfunktion, weil sie viele gute Anknüpfungspunkte für andere Zielgruppen und Handlungsfelder bietet – auch für das Konzept der Teilqualifikationen.

Fehlzeiten in der Berufsschule, Konflikte im Betrieb oder private Probleme. All das kann dazu führen, dass Auszubildende ihre Ausbildung abbrechen oder ihren Ausbildungsvertrag ersatzlos kündigen. Im schlimmsten Fall machen sie gar keine Berufsausbildung mehr. Um das zu verhindern, gibt es in Hessen QuABB, die „Qualifizierte Ausbildungsbegleitung in Betrieb und Berufsschule“. Das ist ein Programm, das Auszubildenden eine zentrale Anlaufstelle bei Schwierigkeiten in der Ausbildung bietet. Die so genannten QuABB-Beraterinnen und Berater begleiten Azubis bei akuten Krisen und unterstützen bei der Lösung von Konflikten. Zu finden sind sie in den offenen Sprechstunden der QuABB-Büros, sie sind an fast allen hessischen Berufsschulen zu finden. Die QuABB-Koordinierungsstelle wird von Renate-Anny Böning beim Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geleitet. Ich habe sie gefragt, welche Jugendlichen gefährdet sind, ihre Ausbildung abzubrechen und warum.

O-Ton Frau Böning….

Wie kann man Menschen, die nicht in den klassischen Weg der Berufsausbildung passen oder dafür eben Unterstützung brauchen, eine Ausbildung oder Umschulung ermöglichen? Das bewegte Rachel Knauer vom Berufsförderungswerk Köln. Sie setzte ein Projekt auf, bei dem Rehabilitanden und Auszubildende gemeinsam die notwendige digitale Expertise und mediale Kompetenzen für einen erfolgreichen beruflichen (Wieder-)Einstieg erwerben.

Frau Knauer, wie sind sie denn darauf gekommen Inklusion, Digitalisierung und Berufsbildung zusammenzudenken?

O-Ton Frau Knauer….

Die Menschen da abholen, wo sie sind: Ist das der Schlüssel zu mehr Bildungsgerechtigkeit in der Berufsbildung? Das haben jedenfalls alle hier vorgestellten Konzepte und Maßnahmen gemeinsam: Sie gehen von den jeweiligen Lebensumständen und beruflichen Situationen der Menschen aus, für die sie Bildungsangebote entwickeln – und suchen dafür auch den direkten Kontakt mit Betrieben und Unternehmen.

Allerdings sind alle Projekte und Programme, die ich hier vorgestellt habe, zeitlich befristet und verfügen über begrenzte Mittel; sie sind also nicht in eine Struktur öffentlich geförderter Berufs- oder Weiterbildung eingebettet. Roman Wink von der Bertelsmann-Stiftung war da sehr deutlich: Er spricht vom Dschungel in der öffentlich geförderten Weiterbildung, der es Menschen und Betrieben schwer macht, den Wert beruflicher Kompetenzen zu erkennen und anzuerkennen.

Um nachhaltig für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Berufsbildung zu sorgen, braucht es also doch noch einige Anstrengung.

Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.


Der Podcastjingle verwendet einen Ausschnitt aus dem Track Tupac Lives von John Bartmann, lizenziert unter CC0 Public Domain.


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver



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2 Kommentare

  1. Dietmar Münker

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    vielleicht hätte die Autorin zu ihrem Thema lieber mit Berufsschullehrern gesprochen. So wurde statt der Bildungsgerechtigkeit IN der Berufsausbildung eigentlich nur die Zugänglichkeit ZUR beruflichen Bildung diskutiert.
    Bildungsgerechtigkeit bedeutet in der Berufsbildung gleiche Chancen z.B. in Flächenländern, bei der kleine Klassengrößen dafür sorgen, dass Bildungsgänge oft gestrichen werden und Azubis weit zur Berufsschule fahren müssen. Bilungsgerechtigkeit wäre auch das Bezahlen der Schulbücher durch die Betriebe, was trotz neuem BBiG von den Betrieben oft hintergangen wird. Bildungsgerechtigkeit schafft man auch durch die Möglichkeit individueller Betreuung und Krisenintervention. Dies wäre durch mehr Lehrkräfte und einer stärkeren Einbindung von Schulsozialarbeit in den Schulalltag möglich.
    Schließlich würde ein längerfristig verlässlicher Lehrplan den Lehrkräften mehr Raum und Zeit für pädagogische Arbeit geben, wohingegen permanente Lehrplanänderungen viel zu viel Energie in didaktischer Arbeit bindet.
    Es gäbe so viel zum Thema Chancengleichheit in der Berufsbildung zu diskutieren, wenn man nur mal mit den RICHTIGEN Leuten sprechen würde.
    Fragen Sie doch ml die Berufsschullehrerverbände.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dietmar Münker

    • Das sind wichtige Punkte, die Sie da ansprechen, Herr Münker. Und ja: Ein Gespräch mit einer/einem Lehrer*in aus dem Berufsschulverband hätte noch einmal eine andere, wichtige Perspektive auf die Bildungsgerechtigkeit in der Berufsbildung geschaffen. Hier zumindest mal ein Link zum Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB): https://www.bvlb.de/ueber-uns/

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