25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (7)
INTERVIEW mit Peter Schermer, der in den 90er Jahren im hessischen Kultusministerium maßgeblich die Einrichtung des Fachinformationssystems Bildung vorangetrieben hat. Im Rahmen seiner Arbeit war er in der noch bis 2007 existierenden Bund-Länder-Konmmission sehr aktiv. Unter anderem auch, um den Modellversuch eines Fachinformationssystems für den Bildungsbereich politisch durchzusetzen. Mit Peter Schermer sprachen wir über die bildungspolitische Atmosphäre dieser Zeit, die politischen Hintergründe, die schließlich zum Modellversuch FIS Bildung führten, und darüber, wie das föderale Bildungssystem Deutschlands die Struktur eines Fachinformationssystems prägte.
Herr Schermer, wie kam es 1992 zur Entscheidung ein Fachinformationssystem Bildung zu schaffen?
Die Informations- und Dokumentationsszene im Bildungswesen war Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre recht lebendig: Hartmut Müller, der ehemalige Leiter der Frankfurter Forschungsbibliothek, hatte in dem von ihm initiierten Dokumentationsring Pädagogik, auch DOPAED genannt, bereits alle wesentlichen Akteure und Institute versammelt. So gesehen gab es bereits eine Struktur, an die wir in Teilen anknüpfen konnten. Mein Verdienst bestand darin, ein Fachinformationssystem Bildung als Modellversuch überhaupt erst zu ermöglichen. Mit dem 25. Geburtstag dieses Jahr werden im Grunde 20 Jahre Regelbetrieb und fünf Jahre Modellversuch (von 1992-1996) gefeiert. Modellversuche waren übrigens ein ganz hervorragendes Instrument, weil man nach einer Auswertungsphase entscheiden konnte, ob ein Projekt weitergeführt wird.
Was war das Besondere an diesem Modellversuch?
Die Einführung von Fachinformationssystemen in allen Wissenschaftsbereichen wurde eigentlich schon in den 70er Jahren auf Bund-Länder-Ebene beschlossen. Die großen Projekte in den Naturwissenschaften haben den Anfang gemacht. Damals konnte man überhaupt nicht ahnen, welche technischen Möglichkeiten sich später daraus ergeben würden. Mit dem Fachinformationssystem Bildung waren wir also relativ spät dran. Aber das eigentlich Besondere ist nicht, dass es neu aufgebaut worden ist, sondern seine Struktur: Es ist das einzige Informationssystem, das 30 oder 40 bestehende Dokumentationseinrichtungen und –stellen zusammengeführt hat. Dieser völlig andere Ansatz hat natürlich mit den föderalen Strukturen in der Bildungspolitik zu tun. Eine zentralistische Struktur hätte politisch überhaupt nicht umgesetzt werden können.
Föderale Struktur heißt also, aus jedem Bundesland liefert eine Dokumentationseinrichtung ihre Datensätze in das zentrale Fachinformationssystem?
Nein, denn in den Ländern war die Situation im Hinblick auf die Dokumentation völlig unterschiedlich. Und zugeliefert haben immer um die 30 Institute, bis heute kommen die aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen wie etwa der Kirche oder den Hochschulen. Bei der ersten Tagung waren 40 Vertreter aus unterschiedlichen Instituten anwesend, viele davon mit einer Haltung, die man als „Abwehrinteresse“ bezeichnen kann: „Mal schauen, was die da machen, wir machen weiter wie bisher.“ Dazu kommt, dass die kooperierenden Institute und Einrichtungen alle sehr unterschiedlich ausgestattet waren – fachlich, sachlich und personell. FIS Bildung ist bis heute darauf angewiesen, was die Partnereinrichtungen liefern.
Und welche Schwierigkeiten gab es zu überwinden?
Dass FIS Bildung ans DIPF gekommen ist, war in großen Teilen tatsächlich mein Werk – da bin ich auch ein bisschen stolz drauf (lacht). Da gab es schon Begehrlichkeiten, denn eine solche zentrale Dokumentationsstelle wollten auch andere Institutionen und die Bundesländer bei sich verankern. Dazu kamen die zwei politischen Lager, die es – heute schwer vorstellbar – in den 90erJahren in Deutschland noch gab: Auf der einen Seite die SPD, die für sich in Anspruch nahm, fortschrittlich zu sein, und auf der anderen Seite eine eher konservative, durch die CDU verkörperte Haltung. Die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen der verschiedenen Bundesländer selbst waren nicht so sehr das Problem, aber auf der Bund-Länder-Ebene haben die Kollegen natürlich immer eine politische Haltung vertreten. Für die Bayern war es damals kaum vorstellbar, dass die als links geltenden, roten Hessen ein Fachinformationssystem Bildung bekommen sollen. Da konnte man nur durch vertrauensbildende Maßnahmen entgegenwirken. Nach und nach merkten aber alle Ländervertreter in der BLK, dass mit diesem Modellversuch nichts exekutiert, sondern nur koordiniert werden sollte.
Der letztlichen Entscheidung gingen also viele Diskussionen voraus?
Ja, das kann man so sagen! Es hat schon recht vieler Anstrengungen bedurft, bis der Modellversuch endlich bewilligt wurde. Die übliche Förderzeit damals lag bei drei Jahren, danach gab es dann noch eine Verlängerung um weitere zwei. Wir hatten also insgesamt fünf Jahre Zeit, das Modell zu entwickeln, auf die Beine zu stellen und zu erproben. Und mit den 3,5 bewilligten Personalstellen war dann auch sehr schnell klar, dass keine eigenständige Dokumentation geleistet werden kann, sondern nur eine Koordination bestehender Dokumentationsstellen möglich ist. Um all diese Institute mit jeweils eigenen Vorstellungen zusammenzubringen, war schon sehr viel Fingerspitzengefühl und Verständnis notwendig. Ich bewundere es noch immer, wie Alexander Botte und Doris Bambey es in dem schwierigen Feld geschafft haben, alle Beteiligten davon zu überzeugen, eine CD-ROM zu produzieren (Anm. der Red.: Die CD-ROM wurde zu Beginn der Nullerjahre dann vom Fachportal Pädagogik mit integrierter FIS Bildung Literaturdatenbank abgelöst). Neben der rein fachlichen Aufgabe war das zweifellos eine großartige Leistung. Aber spätestens mit der Umstellung von reinen Bibliographien auf eine CD-ROM war allen Beteiligten klar, dass sie nur profitieren konnten! Rückblickend ist es ein toller Erfolg, dass deren Verkauf an Universitäten und viele andere Einrichtungen sogar noch Erlöse erzielt hat! Für die Zukunft wünsche ich der FIS Bildung Literaturdatenbank, dass der Verbund auch weiterhin so gut und erfolgreich zusammenarbeitet wie bisher!
Vielen Dank für das Gespräch, lieber Herr Schermer!
Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver
In dieser Reihe auch veröffentlicht:
- 25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (6): „Literaturinformationssysteme müssen einfacher, handhabbarer werden.“ FRAGEN AN Eva Elisabeth Kopp, Fachreferentin für Psychologie, Bildungs- und Sozialwissenschaften an der SULB Saarbrücken.
- 25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (5): „Über die FIS Bildung ist unser Angebot auch in den Bibliotheken der Schweizer Hochschulen bekannt geworden.“ FRAGEN AN Michel Rohrbach, Leiter des Informations- und Dokumentationszentrum (IDES) der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK)
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- 25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (3): „Wir haben immer sehr von der fachlichen Expertise im FIS Bildung-Verbund profitiert“. FRAGEN AN Dr. Albrecht Schöll, ehem. Leiter des Zentralen Dienstes Information – Dokumentation – Bibliothek beim Comenius-Institut
- 25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (2): „Die FIS Bildung ist für die Erziehungswissenschaften im deutschsprachigen Raum wirklich unentbehrlich.“ FRAGEN AN Prof. Dr. Hans-Christoph Koller, den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).
- 25 Jahre FIS Bildung Literaturdatenbank (1): „Fachdatenbanken sind unerlässlich für die kritische Beobachtung der eigenen Disziplin.“ INTERVIEW mit Alexander Botte, dem langjährigen Leiter von FIS Bildung.