„Partizipation von Mitarbeitenden fördert das Gelingen von Digitalisierung in sozialen Organisationen“

Digitalisierung und Organisationsentwicklung im Bildungssektor „Bildung in Kindheit, Jugend und Familie“ (1/5)

Wie verändert die Digitalisierung Arbeitsprozesse und Organisationsstrukturen in Bildungseinrichtungen? Dies ist zentraler Gegenstand von Bildungsforschung und Thema des zweiten Reviewbandes „Bildung im digitalen Wandel. Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen„, der im Rahmen des BMBF-Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ im November 2021 erschienen ist und vom DIPF – Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation herausgegeben wurde. Er beleuchtet in Form von Critical Reviews den aktuellen Forschungsstand zu Digitalisierungsthemen in den verschiedenen Bildungssektoren. Im Metavorhaben selbst werden ca. 50 Forschungsprojekte begleitet. Michaela Achenbach hat für diese Podcast-Reihe zum Thema „Bildung im digitalen Wandel: Digitalisierung und Organisationsentwicklung“ einige Forscherinnen und Forscher aus den Projekten des Metavorhabens zu Ergebnissen des Reviewbandes befragt und sie zudem gebeten, aus ihren eigenen Forschungsvorhaben zu berichten.

Den Auftakt zur fünfteiligen Reihe bildet das Interview mit Iris Nieding, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen und Mitautorin des Reviewbandes. Sie blickt auf die Umsetzung von Digitalisierung in Organisationen der non-formalen Bildung und die Herausforderungen für Einrichtungen in freier Trägerschaft – und erläutert anhand ihres Dissertationsprojektes „Digitalisierung in der frühkindlichen Bildung. Strategien für die Organisationsentwicklung“, warum die Partizipation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zentral für das Gelingen ist.


Lesefassung

Ich spreche mit Iris Nieding. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, Mitautorin des Reviewbandes und forscht zu den Entwicklungen im Sektor Bildung in Kindheit, Jugend und Familie.

Frau Nieding, die aktuelle Corona-Pandemie hat dem digitalen Wandel in der Bildung einen regelrechten Schub versetzt. Was bedeutet das aktuell speziell für die Organisationen der Bildung in Kindheit, Jugend und Familie? 

Es bedeutet vor allen Dingen, dass es einen großen Umbruch gab und viele Organisationen und Fachkräfte einiges neu denken mussten. Wer hätte vorher gedacht, dass Fachkräfte aus sozialen Einrichtungen wie bspw. Kindertageseinrichtungen von zu Hause aus arbeiten können? Da mussten von jetzt auf gleich neue Lösungen gefunden werden. Viele Träger haben schnell nachgerüstet was sowohl Hardware als auch Software angeht, damit z.B. Fachberatungen ihre Gespräche Online durchführen können. Die Trägervertreter*innen mit denen ich im Zuge meiner Dissertation gesprochen habe berichten mir eigentlich alle einstimmig, dass sich auch die eigenen Arbeitsprozesse und Anforderungen sehr schnell deutlich verändert haben. Die Fachberatungen hatte ich ja schon angesprochen aber auch die Verwaltung der Einrichtungen geschah dann aus dem Homeoffice und Fortbildungen für Mitarbeitende aller Ebenen mussten auf Online-Programme umgestellt werden – was aber wohl ziemlich gut angenommen wurde. Hier haben sich also neue Fenster für die Zukunft geöffnet. Wenn das Thema Digitalisierung nicht vorher sowieso schon auf der Agenda stand, steht es spätestens jetzt sehr weit oben.

Sie sind Mitautorin des Reviewbandes und haben das Thema Umsetzung von Digitalisierung in Organisationen der non-formalen Bildung bearbeitet. Einrichtungen in freier Trägerschaft wurden von Ihnen im Review besonders angeschaut. Was sind die Herausforderungen für diese Gruppe?

Die Besonderheit liegt in der Heterogenität des Systems begründet und es führt dadurch natürlich auch zu ganz unterschiedlichen Herausforderungen. Der sozialwirtschaftliche Sektor setzt sich aus ganz unterschiedlichen Institutionen zusammen, die auch verschiedene Leistungen erbringen. Es gibt also Organisationen, die nur Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe erbringen aber auch andere z.B. wohlfahrtsstaatliche Organisationen, die ein viel breiteres Spektrum aufweisen. Insgesamt erbringen sie aber alle soziale Dienstleistungen und das mit zum Teil langer Tradition und einem hohen Berufsethos würde ich das jetzt mal nennen. Und dann kommt die Digitalisierung und grätscht salopp gesagt mit ihrer rasanten Entwicklung einmal quer durch diese ganzen Organisationen und Dienstleistungen durch. Weil alle gesellschaftlichen und lebensweltlichen Entwicklungen, die die Menschen betreffen die Zielgruppen sind in der Kinder und Jugendhilfe und das geht ja noch weiter in die Altenpflege und so weiter, dort überall findet Digitalisierung statt und soziale Organisationen (wie wir sie im Review nennen) müssen diese Entwicklungen aufgreifen und darauf reagieren können. Und natürlich berührt das auch den Kern der Organisationen. Sie müssen zum einen, um zukunftsfähig zu bleiben, sich selbst und ihre Verwaltungsabläufe digitalisieren und zum anderen die Digitalisierung inhaltlich und technisch in ihre Angebote integrieren. Das ist eine große Herausforderung in diesem Bereich.

Warum scheitern Digitalisierungsvorhaben in Organisationen der Sozialwirtschaft?

Ich weiß nicht ob man das so sagen kann. Sie vollziehen sich glaube ich einfach nur etwas langsamer als in anderen Branchen.
Die Bedeutung für den eigenen Bereich wurde lange Zeit nicht als so dringlich erachtet und es wurde vielleicht an einigen Stellen verpasst, rechtzeitig auf den Zug aufzuspringen, sodass jetzt viel in kurzer Zeit nachgeholt werden muss. Und auch Fehler müssen gemacht werden um sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Die Prozesse, die andere Branchen schon länger durchgemacht haben, stehen in der Sozialwirtschaft eben jetzt erst an. Da ist alles dabei von Scheitern bis Gelingen und nochmal neu denken und nochmal von vorne. Die Gefahr die hier besteht ist einfach auch, dass die Prozesse etwas unreguliert ablaufen in den Institutionen und viele Vorhaben – gerade jetzt durch die Pandemie – ad hoc geschaffen werden und vielleicht nach kurzer Zeit verworfen werden müssen. Oder sie werden in der Praxis nicht angenommen und dadurch wird der Digitalisierung ein Riegel vorgeschoben. Das sind alles Faktoren die müssen in diesem Sektor schrittweise angegangen werden. In meinen Interviews höre ich oft, dass die Implementierung über Arbeitsgruppen mit verschiedenen Personenkreisen geregelt wird – und da kann es zum Teil auch mal vielleicht ein paar Arbeitsgruppen und parallele Projekte zu viel geben, sodass sich der Prozess in gewisser Weise ausfasert durch diese „Verarbeitsgruppung“. Damit die Implementierung nicht scheitert muss klar geregelt sein was das Ziel ist und wie die Erkenntnisse aus den Arbeitsgruppen tatsächlich von den Entscheidungsträgern berücksichtigt und dann auch umgesetzt werden, sonst waren die Bemühungen umsonst.

Wer ist zuständig den digitalen Wandel voranzutreiben und wie kann das gelingen?

In erster Linie muss sich die Management- und Führungsebene in den sozialen Organisationen dieser Aufgabe bewusst sein und die Prozesse anstoßen. Eine Organisation kann ja nicht einfach unstrukturiert digitalisiert werden, dahinter stecken Entscheidungen, Abwägungs- und Aushandlungsprozesse und vielleicht auch schon gescheiterte Vorhaben. Es gibt ja auch nicht den einen Königsweg zur digitalisierten Organisation, sodass bestehende Modelle und Verfahren anderer nicht einfach 1-zu-1 adaptiert werden können. Jede Führungsebene ist letztendlich dafür verantwortlich, individuelle Lösungen zu finden, die für die eigene Organisation, die Organisationskultur und die Mitarbeitenden passen. Die Leitungsebene muss einfach ein klares Ziel oder eine Richtung vorgeben, wohin die Reise gehen soll. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Verantwortung der IT-Abteilung – sofern überhaupt eine eigene Abteilung dafür vorhanden ist. An der Aufgabenverteilung zeigt sich auch, welche Bedeutung der Digitalisierung zugemessen wird. Bei kleineren sozialen Organisationen haben wir oftmals das Problem, das die IT-Abteilung aus einer Person besteht, die eigentlich etwas ganz anderes als Kernaufgabe hat und z.B. im Bereich Personal arbeitet und die Digitalisierung „nebenbei“ oder „on top“ machen muss. Dabei kann eine explizit ausgewiesene IT-Stelle den Umsetzungsprozess wirklich stark unterstützen.

Und dann kommen natürlich auch die Fachkräfte aus der Praxis und die Mitarbeitenden der Trägerorganisationen ins Spiel, weil sie müssen es ja letztendlich umsetzen.

Für Ihr Dissertationsprojekt „Digitalisierung in der frühkindlichen Bildung – Strategien für die Organisationsentwicklung“ haben Sie Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von verschiedenen Trägereinrichtungen geführt. Dabei stellen sich Parallelen zu den Forschungslücken und Themen des Dossiers heraus. Eine wichtige Überschneidung ist das Thema „Partizipation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Gestaltung von Digitalisierungsprozessen“. Warum ist ihre Partizipation für das Gelingen so wichtig?

Eine zentrale Kernaussage aus meinen Interviews mit den Trägervertreter*innen ist, dass alle mit ins Boot geholt werden müssen, sonst verlaufen alle Bemühungen ins Leere. Es geht also nicht ohne die Einbindung und Partizipation der Mitarbeitenden aller Ebenen, weil es sonst nicht akzeptiert und gelebt wird. Viele Träger in meinen Interviews betonen ihren starken Fokus auf bottom-up Strategien und das ist auch wichtig, um die Eindrücke, das Feedback und die relevanten Themen aus der Praxis zu erhalten, ein gewisses Maß an top-down Steuerung darf dabei aber nicht fehlen. Der Rahmen muss also klar festgesteckt sein und es muss auch geregelt sein, wofür die Fachkräfte dann in den Arbeitsgruppen oder Workshops, die die Träger zu den Digitalisierungsthemen veranstalten, ihre Meinung einbringen und sie müssen sich sicher sein, dass diese Meinung auch gehört und berücksichtigt wird. Ich finde das Bild einer Wippe hier ganz passend – mal sind die partizipativen Elemente im Prozess oben auf der Wippe und mal die Steuerungselemente der Führungsebene, so geht es dann hin und her und vielleicht, wenn der Prozess abgeschlossen ist und die Dinge „laufen“, hält es sich die Waage.

Die Einbindung der Mitarbeitenden ist also zentral für das Gelingen. Welche anderen Strategien halten Sie noch für sinnvoll?

Die Mitarbeitenden aus den Organisationen und der Praxis müssen dahinter stehen und sich auch sicher fühlen im Umgang mit digitalen Medien und in der Umsetzung digitaler Verwaltungsprozesse. Es bringt nichts die Arbeitsprozesse zu digitalisieren, wenn sie aufgrund von Unsicherheiten oder mangelnden Kompetenzen fehlerhaft oder gar nicht umgesetzt werden. Dann wird auch der Mehrwert in dem Ganzen nicht gesehen. Es sollten also flächendeckend gewisse Grundkompetenzen geschaffen werden – welche das sind sollte jede Organisation für sich entscheiden, wenn ein gewisses Programm eingesetzt werden soll muss natürlich auch dafür gesorgt werden, dass sich alle sicher fühlen im Umgang mit diesem Programm und es muss Ansprechpartner für Hilfestellungen geben. Ich finde also Fortbildungen sind ein wichtiges Instrument und ergänzend dazu ein guter Austausch – idealerweise auch träger- und organisationsübergreifend. Dass man von guten Beispielen und voneinander lernen kann. Nicht jede Organisation und nicht jeder Träger muss das Rad neu erfinden. Auf Konferenzen begegnen mir schon ganz oft sogenannte Leuchtturmprojekte wo ganz niedrigschwellig Erfahrungen ausgetauscht werden können und vielleicht findet das eine oder andere dann Umsetzung in den eigenen Reihen.

Und es braucht natürlich Zeit und Geduld und Führungskräfte, die diese Geduld und Bemühung aufbringen – ich weiß das ist leicht gesagt, aber eine Digitalisierung, die im Querschnitt die Organisationsprozesse verändert oder gänzlich umstrukturiert, verändert in gewisser Weise auch die Organisationskultur und das muss irgendwann von allen Ebenen gelebt und mitgetragen werden.

Liebe Frau Nieding, ich danke Ihnen sehr herzlich für das informative Gespräch und die Einblicke in Ihre Forschung, sage allen Zuhörerinnen und Zuhörern danke für Ihre Zeit und Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal bei “Bildung auf die Ohren”.


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Michaela Achenbach für Deutscher Bildungsserver



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