„Schulleitungen müssen auf Vermittlung von Medienkompetenz im Lehramtsstudium drängen“

Nur die Schule kann wirklich alle Kinder und Jugendlichen erreichen

In der ersten Folge unserer Reihe „Förderung von Medienkompetenz“ haben wir mit Klaus Rummler, dem Vorsitzenden der DGfE-Kommission gesprochen.

Porträt Klaus Rummler

Klaus Rummler, Vorsitzender der DGfE-Kommission Medienpädagogik

INTERVIEW mit Dr. Klaus Rummler über die Notwendigkeit medienpädagogische Kompetenzen vor allem von Lehrerinnen und Lehrern zu fördern, darüber, welche Rolle Schulleitungen dabei spielen können, und was es mit Data und Information Literacy auf sich hat.

Doch zuvor wird ein wenig Ordnung in das Dickicht der Begrifflichkeiten rund um Medienbildung, Medienpädagogik und Medienkompetenz gebracht.

 

Herr Rummler, Medienbildung, Medienpädagogik, Medienkompetenz – in welchem Verhältnis stehen die Begriffe eigentlich zueinander?

Medienpädagogik ist der Begriff der Disziplin. Wir orientieren uns an den Namen und Denominationen der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft; übrigens hat auch die Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft eine Fachgruppe Medienpädagogik.

„Der Begriff „Medienpädagogik“ markiert die Disziplin.“

Alle anderen Begriffe sind im Grunde Handlungsfelder der Medienpädagogik. So gesehen ist Medienkompetenz Ziel unserer pädagogischen Arbeit. Kompetenz ist aber ein theoretisches Konstrukt, eine pädagogische Utopie, die im Grunde nicht erreichbar ist und der wir als Handlungsfeld hinterherstreben. Medienbildung im Sinne von Jörissen/Marotzki, Spanhel, Meder oder Bachmair* hingegen bezeichnet einen theoretischen Rahmen, der letztlich auf Humboldtsche Bildungstheorien rekurriert. Aber jetzt muss ich doch kurz auf die Historie zu sprechen kommen (lacht). Gerhard Tulodziecki und auch Annemarie Hauf-Tulodziecki sprachen und das war wirklich zentral für die Medienpädagogik als Disziplin von Medienerziehung als institutionelle Umsetzung oder Vermittlung von Medienkompetenz. Mit ihrem Medienkompetenzbegriff beriefen sie sich damals auf Dieter Baacke. Anfang der 2010er-Jahre sprang Tulodziecki plötzlich von Medienerziehung hin zu Medienbildung in der Schule und die ganze Community hat sich gefragt „Warum dieser begriffliche Sprung? Warum das Ablassen von Medienerziehung hin zu einer Medienbildung?“ Zu dieser Strömung gehören neben Tulodziecki auch Bardo Herzig, beide an der Uni Paderborn, und Silke Grafe von der Uni Würzburg, die 2010 dann gemeinsam den UTB Band „Medienbildung in Schule und Unterricht(Medienbildung in Schule und Unterricht, 3. Auflage) veröffentlichten. Sie sprachen von Medienbildung, meinten aber eigentlich Medienerziehung. Sie haben das dann versucht auszutauschen, auch weil man in der Schweiz Medienbildung und Medienerziehung gleichsetzt, aber der Begriff war schon in der Fachcommunity präsent.

„Medienkompetenz ist das Ziel unserer pädagogischen Arbeit.“

Auch den Begriff der „Medienkompetenz“ muss man klären: Zum einen kann man ihn im Sinn von Dieter Baacke, herkommend von Noam Chomsky, verstehen, zum anderen im Sinne des Kompetenzbegriffs wie Franz Weinert und Eckhart Klieme ihn für die Schulleistungsdiskurse eingeführt haben. Als Vorsitzender der Sektion Medienpädagogik finde ich, dass wir beim Begriff Medienpädagogik als Disziplin bleiben und die Förderung der Medienkompetenz weiterhin Medienerziehung nennen sollten.

„Förderung der Medienkompetenz sollten wir weiterhin Medienerziehung nennen.“

Vielen Dank für diesen erhellenden Exkurs in das doch recht akademische Feld! Aber nun zur Praxis: Wie erlangen pädagogische Fachkräfte diese medienpädagogische Kompetenz?

In der Disziplin Medienpädagogik sind wir der Überzeugung, dass man aus der eigenen Medienkompetenz heraus eine Didaktik machen muss. In der Regel verfügen Lehrkräfte ja über Medienkompetenz – sie kennen die verschiedenen Medien und wissen mit ihnen umzugehen. Allerdings lauern im Schul- oder Lehralltag einige Fallstricke und oft kommt es genau da zum Bruch zwischen eigener Medienkompetenz und Professionalität. Und genau diesen Bruch kann man überwinden, indem man die eigene Medienkompetenz in der Vermittlung berücksichtigt. So geht es zum Beispiel darum, das eigene alltägliche Medienhandeln auf Social-Media-Plattformen zu reflektieren und diese Reflektion zum Bestandteil im Unterricht zu machen. Erst so kann eine Didaktik der Medienkompetenz entstehen – und das ist Medienerziehung. Die zentrale Frage für Medienpädagoginnen und -pädagogen ist also: Wie finde ich einen Weg, der es beispielsweise auch älteren Lehrkräften ermöglicht, Minecraft oder Youtube-Videos so verstehen zu lernen, dass sie den Umgang damit selbst didaktisch aufbereiten und produktiv in den Unterricht einbringen können?

Weiterführende Infos zum Thema Medienkompetenz /medienpädagogische Kompetenz

Könnten medienpädagogische Studiengänge zu einer besseren Medienkompetenzvermittlung beitragen?

2017 hat die Sektion Medienpädagogik den „Orientierungsrahmen für die Entwicklung von Curricula für medienpädagogische Studiengänge und Studienanteile“ veröffentlicht, mit dem vor allem die Ausbildung der Studierenden an Hochschulen und Universitäten verbessert werden soll. Der Orientierungsrahmen bietet eine Grundlage dafür, wie medienpädagogische Aufgaben und medienpädagogisches Wissen in pädagogischen Studiengängen Eingang finden können. Die Sektion Medienpädagogik tritt dafür ein, dass alle pädagogischen Fachkräfte – von der frühkindlichen Bildung über die schulische Bildung bis hin zu außerschulischen Arbeitsfeldern – eine verbindliche medienpädagogische Grundbildung erhalten. Vor allem für Lehramtsstudierende ist medienpädagogische Kompetenz von herausragender Bedeutung, denn:

„Nur die Schule kann wirklich alle Kinder und Jugendlichen erreichen.“

Deshalb ist es aus meiner Sicht auch so wichtig, dass Schulleitungen auf die Vermittlung von Medienkompetenz in den Lehrämtern drängen und Hochschulprofessorinnen in ihren Bestrebungen unterstützen, medienpädagogische Studienanteile weiter auszubauen und sie letztendlich in den Lehramtsstudiengängen in allen Bundesländern zu verankern!

Welche Weiterbildungsmaßnahmen würden Sie Lehrkräften empfehlen?

Ich denke, dass Weiterbildungen nicht wirklich helfen – meist sind sie selbst das Problem. Deshalb ist die Konzentration auf die Grundbildung während des Studiums auch eine der Schlagrichtungen unseres Orientierungsrahmens; man kann Medienkompetenz nicht einfach mal so mit der Gießkanne über Lehrkräfte verteilen. Wenn man eine gute Weiterbildung sucht, sollte man sich also bei den Hochschulen und Universitäten nach einer passenden medienpädagogischen Fortbildung umschauen. Dort sind wissenschaftliche Substanz und Verankerung in der Disziplin einfach am größten!

Wir haben jetzt viel über Medienerziehung in der Schule gesprochen. Wie sieht es denn in der sozialen Arbeit oder in der Erwachsenenbildung mit der Medienkompetenzförderung aus?

Während der Schulbereich ja relativ homogen ist, geht es in der sozialen Arbeit darum, Handlungspraktiken, die außerhalb von Schule stattfinden, ernst zu nehmen. Kinder und Jugendliche machen Rap oder betätigen sich in anderer Weise künstlerisch. Mit diesen sozialen Praktiken stärken sie ihren Ausdruck und nutzen dafür die technischen Möglichkeiten von Smartphones und „sozialen Medien“. Dieses „Entäußern“, das „sich zeigen wollen“ gab es schon immer, nur die Ausdrucksformen ändern sich – und mit ihnen eben auch das Sujet der medienpädagogischen Bildung. Es geht also darum, den Umgang mit unterschiedlichen Medien und deren technischen Aufbereitungsmöglichkeiten einzuüben und sie dann auch kritisch zu reflektieren.

„In der sozialen Arbeit geht es darum, unterschiedliche Ausdrucksformen – auch in den sozialen Medien – erst einmal anzuerkennen.“

In der Fotografie der 1970er Jahre ging es zum Beispiel noch ganz stark um den Zugang zu Technik; heute ist die ganze Technik in einem Handy vereint und wir können Fotos, Ton- und Videoaufnahmen auf ganz hohem Niveau machen. Diese Möglichkeiten kann man im Sinne von Medienkompetenz sehr gut nutzen, zum Beispiel in einem Projekt der Jugendarbeit. Die Jugendlichen könnten zum Frankfurter Hauptbahnhof gehen und mit dem Smartphone O-Töne von Passanten zum Thema Stadtentwicklung aufnehmen lassen: Wie finden Sie die B-Ebene des Frankfurter Hauptbahnhofs? Was gefällt Ihnen daran? Was ist nicht gut? Wollen Sie etwas dazu sagen? Sie könnten dazu kurze dokumentarische Videos drehen, alles auf ihrem Handy schneiden, in einem größeren Rahmen präsentieren und so eine bürgerliche Öffentlichkeit schaffen.

„Mit Medienkompetenz lässt sich auch Citizenship, also bürgerliche Öffentlichkeit, herstellen.“

Medienpädagogik und Medienerziehung sind ja sehr facettenreich. Was sind für Sie die aktuell drängendsten Fragen in der Medienpädagogik?

Der Umgang mit Daten! Wir haben es heute ja nicht mehr nur mit audiovisuellen Medien wie Radio und Fernsehen zu tun, sondern mit Videos auf Youtube, Instagram und Tiktok oder auch Online-Games. Im Kern also alles Daten, die auch für andere Zwecke verwendet werden. Deshalb brauchen wir mehr Data Literacy, also mehr individuelle Datenkompetenz, die idealerweise in die Medienkompetenz integriert ist.

„Die Beschäftigung mit Data Literacy könnte auch die Medienkompetenzdebatte aktualisieren.“

Datenkompetenz spielt übrigens auch bei Schulentwicklungsprozessen eine große Rolle: Wie gehen wir als Schule im Rahmen der Digitalisierung mit unseren Daten um? Auf der einen Seite präsentieren sich Schulen nach außen, auf der anderen Seite erzeugen und handeln sie im Inneren selbst mit Daten, wenn beispielsweise Schulnoten oder Leistungsbeurteilungen erhoben und gespeichert werden. Deshalb müssen Schulleitungen sich in Zukunft verstärkt darum kümmern, welche Daten sie aus den Schulen rausschicken, welche sie reinlassen wollen und dürfen. Überspitzt gesagt: Die Kontrolle der schulinternen Netze darf nicht dem Elektroinstallateur vor Ort überlassen werden.

Sie zielen auf sichere und verlässliche digitale Unterrichts- und Schulplattformen ab?

Richtig! Die Sache kann und muss man technisch ganz pragmatisch angehen: Wer wartet das ganze System vom Zugang bis zum Filesharing? Wer repariert, wenn irgendwas ausfällt? Ist das die Lehrperson, die zum Beispiel in NRW zur Medienberaterin oder zum Medienberater ausgebildet wurde? Von denen gibt es leider viel zu wenige! Und die nächsten, die sich anbieten, sind tatsächlich lokale Elektroinstallationsbetriebe. Deren Kompetenz ist das Leitungsnetz, vielleicht noch die Installation eines Netzwerks und der entsprechenden Server und Router, aber nicht die Inhalte oder die Vergabe von Zugriffsrechten innerhalb dieser Netze und Server. Ich finde, dass die Trennung von Infrastruktur und Inhalten – die ursprüngliche Idee des Dualen Rundfunks – beibehalten werden sollte.

Sie sprachen vorher von Data Literacy – wie sieht es denn mit der „Information Literacy“, also der Informationskompetenz aus?

Stichwort „Lügenpresse“ und verantwortungsbewusster Umgang mit Informationen. Wir haben in den letzten Jahren alle das Erstarken der Neuen Rechten in Deutschland wahrgenommen. Und wir haben es da mit einer nicht zu unterschätzenden Klientel zu tun, die Kritik an öffentlichen Medien und Berichterstattung übt. Dabei ist es jetzt notwendig, diesen Menschen Durchschaubarkeit und Transparenz darüber zu bieten, wie Medien, Mediensysteme, Nachrichten und ihre Produktion funktionieren.

„Wir propagieren seit 40 Jahren Medienkritik, und scheinen dennoch nicht in der Lage zu sein, eine innere Durchschaubarkeit unserer Medienlandschaft herzustellen.“

Wir dürfen zum Beispiel die „Offenen Kanäle“ nicht einfach den neuen rechten Strukturen überlassen. Schon seit Jahren werden sie vor allem im Osten Deutschlands von der Neuen Rechten übernommen, mittlerweile werden sogar Offene Kanäle geschlossen. Aber solche lokalen Infrastrukturen dürfen wir nicht einfach so aufgeben, sondern müssen sie als strukturelle Angebote der Medienkompetenzvermittlung wahrnehmen und abrufen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rummler!

Zur Person

Dr. Klaus Rummler ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich und seit 2018 Sprecher der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)


*Literaturangaben

  • Jörissen, Benjamin, and Winfried Marotzki. 2009. Medienbildung – Eine Einführung: Theorie – Methoden – Analysen. 1., Aufl. UTB 3189. Stuttgart: Klinkhardt.
  • Spanhel, Dieter. 2009. Medienerziehung: Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft. Handbuch Medienpädagogik 3. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Meder, Norbert. 2011. ‘Von der Theorie der Medienpädagogik zu einer Theorie der Medienbildung’. In Medialität und Realität. Zur konstitutiven Kraft der Medien, edited by Johannes Fromme, Stefan Iske, and Winfried Marotzki, 67–81. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    https://doi.org/10.1007/978-3-531-92896-8_5.
  • Bachmair, Ben. 2009. Medienwissen für Pädagogen: Medienbildung in riskanten Erlebniswelten. 1. Aufl. Lehrbuch. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91391-9.

Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver.


2 Kommentare

  1. Das ist sehr wichtig, denn sonst geht es in der heutigen Zeit schnell – dass die Schüler auf diesem Gebiet besser zurecht kommen als die Lehrenden. Und dann ist alle Kompetenz schnell zunichte……………..

    Nicht weniger wichtig ist natürlich der Umgang und die Bewertung der Medien. Es ist mittlerweile eine unendliche Menge an „News“ , „Wissen“ , „Experten-Einschätzungen“ etc. verfügbar – wie lernen wir, das Richtige zu finden, das Gute vom „Schlechten“ zu trennen?

    Woran erkennt man überhaupt Kompetenz? (!)

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