„Viele Jugendliche sind heute tendenziell überfordert, sich für einen Berufsweg zu entscheiden.“

Bildungsberatung (4): Ein Blick in die Beratung zur Berufsorientierung und -ausbildung

Den Weg von der Schule in eine Ausbildung oder ein Studium und damit letztlich ins Berufsleben zu finden, ist nicht immer leicht. In Hamburg unterstützen die Jugendberufsagenturen junge Menschen dabei, ihren Weg zu finden. Gegründet wurden sie, um die für Jugendliche undurchdringliche und verwirrende Anzahl von Zuständigkeiten und Anlaufstellen zu ordnen und die vorhandenen Angebote und die Beratung „unter einem Dach“ besser zu verzahnen. Seit 2010 arbeiten nun Arbeitsagentur, Jobcenter, Jugendämter und Schulen in den „Jugendberufsagenturen“ zusammen und helfen Jugendlichen bei der Gestaltung ihres Lebenswegs und der Wahl ihres künftigen Berufs. Wir wollten wissen, wie das genau funktioniert.

FRAGEN AN Annette Paßlack, Berufsberaterin für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur, die wie das Jobcenter, die Behörde für Schule und Berufsbildung und die bezirkliche Jugendarbeit zur Hamburger Jugendberufsagentur gehört.

Annette Paßlack, Berufsberaterin für akademische Berufe bei der Arbeitsagentur Hamburg

Frau Passlack, wie ist die Beratung für akademische Berufe in Hamburg organisiert?

In Hamburg haben wir zwei über die ganze Stadt verteilte Schulformen: Das klassische Gymnasium und die Stadtteilschulen, die zu allen Schulabschlüssen führen können. Insgesamt 28 Kolleginnen und Kollegen in zwei Teams betreuen die Absolventen mit Abitur und Fachhochschulreife; übrigens auch diejenigen, die nicht mehr in die Schule gehen, weil sie entweder einen Freiwilligendienst, Work and Travel, Au pair, gejobbt oder auch gar nichts gemacht haben. Wir beraten also junge Leute – von der Einser-Abiturientin bis zu den Orientierungslosen im Alter zwischen 17 und 25. Das ist eine kunterbunte Mischung.

Wie kommen die Leute zu Ihnen? Auf Empfehlung der Lehrer?

Da gibt es unterschiedliche Wege: Einige kommen über die Kooperationspartner innerhalb der Jugendberufsagentur, einige Kontakte entstehen über Eltern, die sich bei uns melden, andere über Medien oder auch über Messen. Ganz viele melden sich auch direkt für ein Erstgespräch bei uns an, oft nach den Sprechstunden oder den Vorträgen an ihren Schulen. Manchmal kommen sogar alle Schüler einer Klasse zur Beratung. Um hier möglichst nah am Interesse der Schülerinnen zu sein, stehen wir in engem Kontakt mit den Berufsorientierungslehrern der jeweiligen Schulen und stimmen Inhalte und Themen mit ihnen ab.

Was sind die Themen in den Beratungsgesprächen?

Das hängt immer von dem Anliegen der jungen Leute ab. Wir schauen erst nach Interessen, Stärken, Talenten, Wünschen und überlegen dann, welche Möglichkeiten es für jeden einzelnen gibt. Ich versuche zum Beispiel herauszufinden, ob sie eher praxisorientiert sind oder sich ein wissenschaftliches Studium wünschen. Oft kennen sie den Unterschied zwischen Fachhochschulstudium, dualem Studium und Universitätsstudium nicht, oder sie wissen nicht, welche Möglichkeiten in der dualen Ausbildung liegen. Manchmal setzen sie sich aber auch etwas in den Kopf: Zum Beispiel muss es partout ein Lehramtsstudium an der Uni Hamburg sein, das aber leider einem NC unterliegt. Wenn dann der eigene Abiturschnitt nicht reicht, kann es auch mal ein Jahr dauern bis man beginnt sich Alternativen zu überlegen. Die Zwischenzeit wird überbrückt, indem zunächst was anderes studiert wird, gejobbt oder ein Freiwilligendienst gemacht wird.

Bildungsberatung beim Deutschen Bildungsserver

In unserem Dossier „Bildungsberatung: Wege durch das deutsche Bildungssystem“ haben wir Informationen und Möglichkeiten der Beratung zusammengetragen. Und da Beratungsbedarf entlang der (Bildungs-)Biografie entsteht und an den verschiedenen Stationen im Bildungssystem unterschiedlich ausgeprägt ist, orientieren sich unsere Informationen vorrangig am Bildungsverlauf und sind nach Bildungsbereichen bzw. entsprechenden Übergängen gegliedert.

Wie geht´s weiter nach der Schule? Informationen zur Studien- und Berufswahl
Mit Empfehlungen auf allgemeine Infoportale und Beratungsstellen, Eignungstests (Berufswahl), Einstiegsseiten zur Berufsausbildung und zum Studium für Schülerinnen und Schüler, mit Bewerbungstipps, Tipps für Überbrückung der Zeit zwischen Schule und Ausbildung/Studium – Praktika, Auslandsaufenthalt, soziales Jahr? sowie Materialien und Projekten zu Berufswahl/Berufsorientierung für Schule und Unterricht

Berufswahl – vor der Ausbildung

Einrichtungen der Studienberatung

Studienwahl – vor dem Studium

Wie sehen die Beratungsgespräche genau aus?

In unseren Beratungen setzen wir gern und viel so genannte Berufswahltests ein. Instrumente also, mit denen persönliche Stärken und Talente für bestimmte Ausbildungen herausgefunden werden können. Und um zu prüfen, ob ein Studium oder eine Ausbildung besser geeignet ist, machen wir eine Datenanalyse der beruflichen Interessen und Motivationsstruktur. Abiturienten, die sich für vieles interessieren, aber unsicher sind, nehmen gerne studienfeldbezogene Beratungstests an; sie helfen bei der Entscheidung, ob man nun eher ein wirtschaftswissenschaftliches, ein juristisches, ein naturwissenschaftliches oder ein sprachliches Studium aufnehmen soll. Die konkreten, themenbezogenen Tests werden dann gemeinsam mit einem Berufspsychologen ausgewertet und besprochen. Für diejenigen, die stark unter seelischem Druck stehen, haben wir einen berufspsychologischen Service im Haus, der bei Schulschwierigkeiten, Prüfungsangst oder familiären Problemen bis zu drei Beratungsgespräche anbietet. Und für diejenigen, die unsicher sind, ob sie für ein Studium oder eine Ausbildung seelisch überhaupt belastbar genug sind, bieten wir psychologische Gutachten.

Sie sind seit 28 Jahren Beraterin für akademische Berufe. Welche Entwicklungen nehmen Sie in den letzten Jahren wahr?

Durch die Vielzahl an Möglichkeiten, die die Jugendlichen heute haben – allein die Selbstinformationschancen und die Vielzahl an Studiengängen – fühlen sich gerade gute Schüler damit überfordert, sich zu entscheiden. Das war vor 20 Jahren noch anders. Und bei der recht hohen Hamburger Abiturientenquote von 52 Prozent passen die Studienwünsche manchmal einfach nicht zu den Realitäten! Viele Fächer haben einen Numerus Clausus, der für nicht wenige nicht zu erreichen ist. Im Team haben wir außerdem den Eindruck, dass die psychischen Belastungen – ob durch Stress oder familiäre Probleme – zunehmen. Das schält sich oft erst im Laufe eines Beratungsgesprächs heraus, und interessanterweise oft bei denjenigen, denen aufgrund ihrer guten Noten eigentlich sehr viele Türen offen stehen.

Unterscheiden sich die Beratungsgespräche mit Absolventen an Stadtteilschulen von denen am Gymnasium?

Natürlich gibt es das altgriechische Gymnasium, bei dem es in der Beratung ausschließlich um Studienmöglichkeiten geht. Und ja: Unterschiede gibt es auch abhängig vom Einzugsbereich der Schule sowie dem Hintergrund der Eltern. Es gibt sehr wohlhabende Viertel, in denen es eher um ein Studium im Ausland oder an privaten Universitäten geht, und Stadtteile, in denen mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund leben; deren Familien könnten sich so etwas finanziell gar nicht leisten. Aber gerade bei diesen Familien stelle ich fest, dass viele Eltern sich für ihre Kinder unbedingt ein Studium wünschen. Die Triebfeder, dass ihr Nachwuchs es mal besser und deshalb den höchstmöglichen Abschluss haben sollte, ist doch sehr ausgeprägt.

Wie merken Sie, ob eine Beratung gut gelaufen/geglückt ist?

Vielleicht ist die Tatsache, dass wir mit vielen in Kontakt bleiben, ein gutes Zeichen. Nach dem Erstgespräch, das ja zunächst eine erste Orientierung bietet, gibt es häufig Folgegespräche – persönlich, per Telefon oder E-Mail. Es geht dann um Fragen wie: Wie kann ich weiter recherchieren? Welche Selbsterkundungstools gibt es? Wenn die Berufs- oder Ausbildungsplanung konkreter wird, helfe ich auch bei der Vermittlung und schicke Vorschläge für ein Studium oder für Ausbildungsfirmen. Ich bitte dann um Rückmeldung, ob es mit dem Ausbildungsplatz geklappt hat, oder ob noch weitergesucht wird – oder ob sich der Berufs- oder Studienwunsch zwischenzeitlich verändert hat. Das Ganze ist ja ein Prozess, und wenn es gewünscht wird, betreue ich schon engmaschig.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Paßlack!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver


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4 Kommentare

  1. Gratulation, eine schöne Idee mit diesen Interviews. Falls es mal um LRS/Legasthenie, speziell Rechtschreibstörung, -schwäche oder -schwierigkeiten geht, dann fragen Sie gerne auch einmal bei uns (Prof. Dr. Günther Thomé, Dr. Dorothea Thomé) nach. Wir geben gerne Hinweise, Informationen und versenden auch Prüfexemplare für Rezensionen. Beste Grüße, Dorothea Thomé (Institut für sprachliche Bildung, Oldenburg, http://www.isb-oldenburg.de)

  2. Naja, aber heute hat man auch viel mehr Auswahl und Freiheiten als früher. Und selbst wenn man eine falsche Entscheidung trifft kann man ja immer noch einen neuen Weg einschlagen und zum Beispiel eine Weiterbildung für Finanzen machen oder ins Handwerk gehen.

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