„Das systematische Vorgehen ist Voraussetzung für jedes Review-Format“

Das Dossier des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ als Beispiel für ein Critical Review

Systematic Reviews (2)

FRAGEN AN Dr. Annika Wilmers, die beim DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation die Review-Arbeiten des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ (Digi-EBF) koordiniert. Sie erklärt, was sich hinter dem Begriff der Systematic Reviews verbirgt, welche Arbeitsschritte damit verbunden sind und wie die Reviews des Metavorhabens aufgebaut sind.

Annika Wilmers, welche Arten von Reviews gibt es in den Bildungswissenschaften?

Ursprünglich entwickelte sich das Verfahren der Reviews in der Medizin und fand dann etwas zeitversetzt auch in den Sozialwissenschaften und damit auch in der Bildungsforschung Anwendung. In den Bildungswissenschaften kommen unterschiedliche Formate zum Einsatz: Von weit gefassten Literaturübersichten über Forschungssynthesen, die ihren Schwerpunkt auf bestimmte Arbeitsschritte setzen, bis zu Verfahren mit genau definierter Vorgehensweise beispielsweise bei Metaanalysen. Eine systematische Vorgehensweise ist Voraussetzung für jede Form eines Reviews, gleichwohl liegt einem Systematic Review methodisch die umfassendste Art der Ausarbeitung und Darstellung zugrunde.

„Eine systematische Vorgehensweise ist Voraussetzung für jede Form eines Reviews.“

Allen Review-Formaten ist gemeinsam, dass die einzelnen Arbeitsschritte transparent und damit nachvollziehbar sein sollten. Damit wären zum Beispiel spätere Wiederholungen oder Aktualisierungen des Forschungsstandes möglich. Der Dokumentation des Arbeitsprozesses kommt also eine besondere Rolle zu. Für die Reviews in unserem Projekt zur „Bildung im digitalen Wandel“ wurde ein Format gewählt, das sich am Verfahren für Systematic Reviews orientiert, aber an bestimmten Schnittstellen eine methodisch abgeschwächte Vorgehensweise aufweist. Dabei lehnt sich das Verfahren an sogenannte „Critical Reviews“ an, bei denen jeweils die wichtigste Literatur im Feld identifiziert, ausgewertet und schließlich die Forschungsaussagen und übergeordneten Erkenntnisse miteinander in Verbindung gesetzt werden. Entsprechend lassen sich Forschungsergebnisse zusammenfassen, übergeordnete Ergebnisse benennen und Forschungslücken aufzeigen.

Was zeichnet die Reviews zur Bildung im digitalen Wandel aus?

Die Reviews entstehen als Teil des Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ (Digi-EBF), das innerhalb des BMBF-Rahmenprogramms empirische Bildungsforschung Förderprojekte in der Förderlinie „Digitalisierung im Bildungsbereich – Grundsatzfragen und Gelingensbedingungen“ begleitet. Auch die Reviews sind Teil dieser Projektbegleitung:  Sie nehmen aktuelle Forschungsthemen und -fragen auf, der Stand der Forschung zum Thema wird recherchiert, analysiert und die Ergebnisse werden zugänglich gemacht.

Geplant sind jeweils fünf Sammelbände mit Reviews aus den Sektoren Bildung in Kindheit, Jugend und Familie, Schulische Bildung, Berufliche Bildung, Lehrerbildung und Erwachsenenbildung.

Über die gesamte Projektlaufzeit von 2018 bis 2023 werden fünf Sammelbände erstellt, die jeweils Reviews aus den Sektoren Bildung in Kindheit, Jugend und Familie, Schulische Bildung, Berufliche Bildung, Lehrerbildung und Erwachsenenbildung beinhalten. Damit spiegelt die Struktur der Sammelbände die Zuordnung der geförderten Projekte zu den entsprechenden Bildungsbereichen wider. Daneben enthalten die Bände auch ein jeweils eigenes Kapitel zur Methodik der Reviews und zum Kontext des jeweiligen Themas. Im Review-Prozess kooperieren das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, hier ist die Recherche und Koordination des Projekts angesiedelt, und die Universität Duisburg-Essen (UDE), das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebens langes Lernen (DIE) und das Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM), die die jeweilige fachspezifische Kompetenz stellen. Die jeweilige Fragestellung der Reviews wird im Team entwickelt und dann in den einzelnen Sektoren spezifiziert und angepasst.

Wie sieht so ein Review-Prozess aus? Welche Schritte gibt es? Wer muss dabei sein?

Review-Prozesse unterscheiden sich je nach Projektumfang, Teamgröße und Teamzusammensetzung. Umfangreichere und dezentral an verschiedenen Instituten angesiedelte Projekte profitieren von einer Koordinationsstelle, die den Arbeitsprozess und die diversen Abstimmungsprozesse unterstützt. Die Literaturrecherche sollte idealerweise immer von einer*m Informationswissenschaftler*in, eine*r Bibliothekar*in oder einer Person mit vergleichbarer Expertise durchgeführt oder zumindest unterstützt werden.

Reviewprozesse unterscheiden sich je nach Projektumfang, Teamgröße und Teamzusammensetzung.

In diesem Projekt ist eine Informationswissenschaftlerin für die Literaturrecherche zuständig, die zusammen mit den Bildungsforschenden aus den Sektoren die Suchkriterien bestimmt und eine Suchstrategie für den ersten Recherchedurchgang entwickelt. Die Wissenschaftler*innen aus den Sektoren stellen im Reviewprozess die inhaltlich-thematische Expertise und arbeiten am Ende die Reviews aus. Nach Sichtung der ersten Befunde in den Sektoren findet ein zweiter angepasster Suchdurchlauf statt. Die Auswahl und Auswertung der Literatur erfolgt anschließend in den Bildungssektoren mit Hilfe eines Kodierschemas, welches die Grundlage für die Vergleichbarkeit der Literatur und der Bewertung schafft. Steht fest, welche Literatur dem Review zugrunde gelegt wird, wird diese im weiteren Prozess analysiert und miteinander in Verbindung gebracht. Im Idealfall schließt sich dem eigentlichen Schreibprozess noch ein Transferprozess an, in dem die Ergebnisse auch in die Bildungspraxis und die Bildungspolitik getragen werden. Hierfür ist aber zusätzliche journalistische Expertise nötig, die zielgruppengerechte Formate erarbeitet.

„Bildung im digitalen Wandel. Die Bedeutung für das pädagogische Personal und für die Aus- und Fortbildung“ hrsg. von Annika Wilmers, Marc Rittberger, Carolin Anda, Carolin Keller, Waxmann 2020, doi.org/10.31244/9783830991991

Die Literaturrecherche für das Review ist im Forschungsdatenzentrum Bildung einzusehen. DOI: 10.7477/414:1:0

Schaffen solche Reviews Transparenz über aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaft?

Reviews beleuchten bestimmte Fragestellungen und ihre Unteraspekte zu einem bestimmten Zeitpunkt. Insofern zeigen sie in der Tat aktuelle Entwicklungen auf und sollten so angelegt sein, dass zu einem späteren Zeitpunkt mit den Ergebnissen weitergearbeitet werde kann. Review-Verfahren sind per Definition transparent angelegt, der Transfer der Erkenntnisse in Politik und Praxis bedarf aber noch weiterer Arbeitsschritte: Beispielsweise die Organisation von Veranstaltungen wie Diskussionsforen, der Austausch mit Praktikern, gegebenenfalls die Entwicklung von Beratungsangeboten, ein besonderes Augenmerk auf die „Übersetzung“ internationaler Erkenntnisse in den deutschen Kontext oder weitere, auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Publikationsformate. So ein Prozess ist sehr arbeitsintensiv, in der Struktur des Metavorhabens Digi-EBF ist er aber bereits angelegt.

Vielen Dank für das Gespräch, Annika Wilmers!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Carolin Anda für Deutscher Bildungsserver.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert