„Menschen haben ein Recht auf ein Leben ohne rassistische oder antisemitische Gewalt oder Verletzungen“

Betroffene erfahren häufig wenig Solidarität und werden damit ein zweites Mal zu Opfern gemacht

Bildungsberatung (7): „response.“ – Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hessen

INTERVIEW mit Draupadi Fitz, Mitarbeiterin von „response.“, der Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hessen, die in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main angesiedelt ist. response bietet ein niedrigschwelliges und umfangreiches Beratungsangebot für Opfer von rechter rassistischer antisemitischer Gewalt. Welche Auswirkungen solche verbalen und physischen Angriffe auf die betroffenen Menschen haben und wie in der Beratung darauf eingegangen wird, davon berichtet Frau Fitz in diesem Gespräch. Und sie gibt auch gleich ein paar Empfehlungen, wie man sich in konkreten Fällen mit den Betroffenen solidarisch zeigen kann.

Frau Fitz, die hessische Beratungsstelle „response.“ wurde 2015 eingerichtet. Was war der Anlass?

Response ist eine der jüngeren Beratungsstellen gegen rechte Gewalt, in den ostdeutschen Bundesländern gibt es solche Beratungsangebote bereits seit Ende der 90er-Jahre. Dass das Angebot an Beratungsstellen auch in den westdeutschen Bundesländern ausgebaut wurde, war eine Konsequenz und eine Forderung nach der rechtsextremen Mordserie des NSU und der Erfahrung geschuldet, dass die Angehörigen der Opfer keine Unterstützung bekommen haben – und ihre Perspektive auch keine Beachtung fand. 2015  hat die Bildungsstätte Anne Frank mit response die erste hessische Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt eröffnet. Mittlerweile gibt es 15 Beratungsstellen in 13 Bundesländern, die sich im Dachverband für Betroffene von rechter Gewalt zusammengeschlossen haben

Response hat seinen Hauptsitz in Frankfurt am Main?

Wir haben ein Büro in Frankfurt mit fünf und ein Büro in Kassel mit zwei Beraterinnen, die für ganz Hessen zuständig sind. Das heißt, wir sind mobil und aufsuchend aktiv und fahren zu Beratungsnehmenden in ganz Hessen – auch in die ländlichen Gebiete.

„Wir wollen ein niedrigschwelliges Angebot, das Menschen in ganz Hessen zur Verfügung steht.“

Die Räume dafür stellen uns Partnerorganisationen zur Verfügung. Wenn die Ratsuchenden das wünschen, besuchen wir sie aber auch zuhause.

Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in Hessen unterstützt Menschen, die von rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer oder antiromaistischerGewalt betroffen sind – unabhängig davon, ob Anzeige erstattet wurde und die Vorfälle strafrechtlich verfolgt werden oder nicht.

Wer kommt in die Beratungsstelle?

response unterstützt Menschen, die von rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer oder antiromaistischer Gewalt betroffen sind: Also Menschen, die erlebt haben, dass sie körperlich angegriffen wurden, die geschubst, geschlagen, bedroht und eingeschüchtert wurden. Auch Menschen, angeschrien wurden, also verbale Gewalt erlebt haben, rassistischen oder antisemitischen Beleidigungen oder anderen Erfahrungen ausgesetzt waren, beraten wir. Wir beraten unabhängig davon, ob Anzeige erstattet wurde und die Vorfälle strafrechtlich verfolgt werden oder nicht.

Sind die Opfer von rassistischer und rechter Gewalt in den letzten Jahren in Hessen gestiegen? Was beobachten Sie?

Als relativ junge Beratungsstelle ging es uns in den ersten Jahren vor allem darum unser Beratungsangebot bekannt zu machen. Die Beratungsfälle sind von 42 in 2017 auf 135 Fälle in 2019 gestiegen. Das hat einerseits mit der zunehmenden Bekanntheit unseres Angebots zu tun, andererseits nehmen wir auch wahr, dass die rechte Szene in Hessen erstarkt und immer selbstbewusster auftritt. Dazu ist wichtig zu sagen, dass ein großer Teil der Vorfälle in bürgerlichen Milieus stattfindet und nicht nur durch rechtsextreme Personen ausgeübt wird. Insgesamt beobachten wir, dass Angriffe brutaler und gewaltvoller geworden sind, mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Ein Großteil der Fälle geschieht aus rassistischer Motivation der Täter. Es finden viele Angriffe auf Muslime oder Menschen statt, die als Muslime gelesen werden. Auch antisemitische Vorfälle und Anfeindungen gegen politisch links Engagierte und Kommunalpolitikerinnen nehmen zu.

Worum geht es bei den Beratungen im Kern?

Wir unterscheiden zwischen dem psychosozialen und dem rechtlichen Beratungsbereich. In der psychosozialen Beratung geht es erst einmal darum, den Betroffenen einen vertrauensvollen Raum zur Verfügung zu stellen, indem sie von dem Erlebten berichten können. Rassistische oder antisemitische Gewalt und Anfeindungen bedeuten für die Betroffenen immensen Stress und können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Wir begleiten im weiteren Prozess die Beratungsnehmenden dabei, eigene Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten zu betrachten und zu nutzen. Dabei schauen wir ganz individuell, was Menschen brauchen um die Folgen des Erlebten bearbeiten zu können.

Informationen zum Rechtswesen schaffen Sicherheit und helfen, sich souveräner in diesem Feld zu bewegen.

Im rechtlichen Beratungsbereich informieren wir zu juristisch relevanten Themen: Wie erstatte ich eine Anzeige? Was passiert danach? Was bedeutet ein Ermittlungsverfahren? Wann wird ein Gerichtsverfahren eröffnet? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Was passiert in einem Gerichtsverfahren? Welche Rollen haben Staatsanwälte und Richterinnen?

Wie kann ich mir so eine Beratungssituation vorstellen?

Unsere Beratungsgespräche dauern in der Regel 90 Minuten. Die Betroffenen erzählen, was ihnen passiert ist und wie sich die Tat auf sie und ihr Leben, ihren Alltag auswirkt. Denn die Folgen solcher Angriffe finden ja auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen statt – auf der emotionalen, der psychischen, der sozialen und der finanziellen Ebene. Das kann konkret bedeuten, dass die Menschen nachts nicht mehr schlafen können, sich außerhalb ihrer Wohnung nicht mehr sicher fühlen und auch langanhaltende gesundheitliche Folgeschäden und Schulden aufgrund von Anwalts- und Umzugskosten haben.

„Wir beraten und unterstützen Opfer von rechter rassistischer antisemitischer Gewalt und stärken sie ihre Rechte in Anspruch zu nehmen.“

Wir arbeiten also heraus, welche Lebensbereiche betroffen sind, welchen Bedarf sie haben, was das Ziel der Beratungsnehmenden ist, und worin sie sich Unterstützung wünschen. Geht es darum mehrere Termine zu machen, in denen das emotionale Erleben besprochen wird? Oder werden rechtliche Schritte gewünscht? Wenn letzteres der Fall ist, informieren wir ausführlich über das Rechtswesen, damit die Person ihre Entscheidungen auf einer guten Grundlage treffen kann. Wir können hier Informationen geben, für eine Rechtsberatung vermitteln wir aber an Anwälte. Menschen haben ein Recht auf ein Leben ohne rassistische oder antisemitische Gewalt oder Verletzungen. Das ist unter anderem im Grundgesetz und der Antirassismuskonvention der EU festgelegt. Wir unterstützen Betroffene darin, dieses Recht in Anspruch zu nehmen.   

Wie viel Beratungsgespräche bieten Sie maximal an?

Wir haben keine Obergrenze, dazu sind die Beratungsfälle zu unterschiedlich. Wenn wir zum Beispiel bei Gerichtsprozessen begleiten, kann das über ein Jahr dauern.

„Bei einem Gerichtsverfahren stehen wir den Menschen von Anfang bis Ende verlässlich zur Seite. Wir sind einfach da.“

In einer Beratung, in der es vorwiegend um psychosoziale Unterstützung und um die Bearbeitung seelischer Verletzungen geht, haben wir als Richtwert ungefähr fünf Beratungen. Wenn therapeutischer Bedarf besteht, vermitteln wir an Ärztinnen und Therapeuten weiter.

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Können sie Beispiele aus Ihrer Beratungsarbeit geben?

Ich kann von einem Fall berichten, bei dem der Betroffene selbst mit seinem Erlebnis an die Öffentlichkeit gegangen ist: Ein Familienvater  erlebte in einem dörflichen Umfeld einen Angriff rassistischer Gewalt – unter „Heil Hitler“-Rufen wurde er von einer rechtsextremen Personengruppe mit einem Fahrradschloss verprügelt. Er hat sich gewehrt und Anzeige erstattet. Über eine andere Beratungsstelle ist er dann an uns vermittelt worden. Wir begleiten ihn nun bei den nächsten Schritten, das Gerichtsverfahren selbst steht noch aus. Solche Vorfälle gibt es gleichermaßen in der Stadt wie im ländlichen Raum. In dörflichen Kontexten gibt es allerdings weniger Hilfsangebote und weniger Anonymität. Das kann bedeuten, dass die Betroffenen beispielsweise den Angreifern sehr regelmäßig begegnen.

Begegnen Ihnen mehr physische oder mehr psychische Gewalttaten?

Die Folgen eines körperlichen Angriffs müssen nicht schwerer oder weitreichender sein, als die Folgen von rassistischem Mobbing am Arbeitsplatz und darin erlebten wiederholten Abwertungen der Person. Oftmals ordnen sich Angriffe in einen Kontext sehr vieler anderer rassistischer und diskriminierender Erfahrungen ein.

„Die Biografie von Betroffenen ist voller Erfahrungen von Alltagsrassismus und Alltagsantisemitsmus.“

Für Menschen die mehrfach marginalisierten Gruppen angehören, also auf mehreren Ebenen Benachteiligung ausgesetzt sind, wie beispielsweise geflüchtete Menschen, haben Angriffe oft noch weitreichendere Folgen. Das liegt auch daran, dass ihnen weniger Ressourcen zur Bearbeitung der Folgen zur Verfügung stehen. Besonders deutlich wird das zum Beispiel, wenn ein rassistischer Angriff im nahen Wohnumfeld, beispielsweise durch Nachbarn, ausgeübt wird und es dann aufgrund asylrechtlicher Bestimmungen, mangelnder finanzieller Ressourcen und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sehr schwer ist, eine neue Wohnung zu finden und die Betroffenen in der bedrohlichen und zutiefst verunsichernden Wohnsituation bleiben müssen.

Was sind Besonderheiten in der Beratung von Betroffenen, die rassistische Gewalt erfahren haben?

Die Betroffenen weisen eine erhöhte Gefahr der sekundären Viktimisierung aus. Sekundäre Viktimisierung bedeutet, dass das Umfeld nicht adäquat oder unangemessen auf die Verletzung oder auf den Vorfall reagiert und die Betroffenen so zum zweiten Mal zum Opfer gemacht werden und erneut verletzt werden. Da bagatellisiert das Umfeld zum Beispiel die Verletzung, oder den Betroffenen wird eine Mitschuld zugeschrieben – die so genannte Täter-Opfer-Umkehr. Oder die Opferperspektive wird einfach nicht gesehen und Hilfe verwehrt. Das erleben Betroffene auch immer wieder im institutionellen Unterstützungssystem, etwa bei Behörden oder im Gesundheitsbereich.

Wenn Betroffene keine Solidarität erfahren, wird ihr Weltbild erschüttert; sie verlieren ihr Sicherheitsgefühl.

In der Beratung geht es dann darum, Sicherheit wieder herzustellen, die Kontrolle zurück zu gewinnen und sich die Deutungshoheit über das Geschehene wiederzuerlangen.

Wie kann Bildungsarbeit helfen?

Für uns bedeutet Bildungsarbeit für die Perspektive derer zu sensibilisieren, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Und aufzuzeigen, wie Mechanismen von rassistischen oder antisemitischen Vorurteilen funktionieren: Zum Beispiel wenn sie „anders“ gemacht, also abgewertet werden, wenn ihnen bestimmte negative Attribute zugesprochen werden – ja, wenn ihnen Menschlichkeit abgesprochen wird. Das hat Folgen für den Selbstwert der Menschen. Sie wurden immer wieder mit Kommentaren und Aussagen konfrontiert, manche sind vielleicht nicht böse gemeint, aber können trotzdem in der Wirkung verletzend sein. Gerade Jugendliche und Kinder, aber auch Erwachsene, sollten Bescheid wissen, was eine solche Herabsetzung für einen Menschen bedeutet, welche Mechanismen dahinter stehen.

„Hessen schaut hin“ – Meldestelle für rechte Gewalt

Seit Januar 2020 gibt es in Hessen eine Meldestelle, bei der Betroffene und Zeuginnen Vorfälle rechter Gewalt melden können. Hessenschauthin.de ist ein Angebot der Bildungsstätte Anne Frank, an dem die Beratungsstelle response. gemeinsam mit anderen Partnern daran arbeitet, das Ausmaß rechter Gewalt realistischer abzubilden. Mithilfe eines sehr klar und übersichtlich gehaltenen Meldeformulars kann der Vorfall beschrieben und gemeldet werden. Bei Bedarf gibt es die Möglichkeit Beratung in Anspruch zu nehmen. Gedacht ist das Meldenetzwerk für alle, die wollen, dass solche Vorfälle und Angriffe registriert und dokumentiert werden.

Welches Verhalten empfehlen Sie bei Wahrnehmung von rechten und rassistischen Vorfällen?

Sich solidarisieren, nicht wegschauen und weitergehen! Den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind! Augenkontakt aufnehmen mit der Person, sich neben sie stellen oder setzen! Der Person, von der die  Handlung ausgeht, widersprechen – das sind ganz wichtige Gesten!.

„Aus der Perspektive der Betroffenen ist jede Form der Intervention ein Zeichen der Anteilnahme, der Solidarität.“

Die Erfahrung alleingelassen zu werden, führt zu dem Gefühl, dass der Tat zugestimmt wird und befördert Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. Ausbleibende Reaktionen sind also oft sehr schmerzhaft. Auch Widerspruch und laute Solidarität stärken Betroffene und helfen ihnen das Erlebte zu verarbeiten. Jeder Mensch muss da seinen eigenen Stil finden, sich also so verhalten, dass es zu einem passt und auch machbar erscheint.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Fitz!


Dieser Text steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Christine Schumann für Deutscher Bildungsserver.


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