„Digitalisierung passiert nirgendwo in der Erwachsenen- / Weiterbildung von selbst, nebenbei oder durch eine Einzelperson.“

Digitalisierung und Organisationsentwicklung im Bildungssektor „Erwachsenen-/Weiterbildung“ (3/5)

Die Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist wie kein anderer Bildungssektor durch Heterogenität geprägt – die Herausforderungen durch den digitalen Wandel sind daher vielfältig. Im dritten Teil unserer Podcast-Reihe zum Thema „Digitalisierung und Organisationsentwicklung“ berichtet Professorin Regina Egetenmeyer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg aus ihrem Projekt DigiEB und skizziert die Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie.

Lesefassung

Hallo und herzlich willkommen bei Bildung auf die Ohren – dem Podcast des Deutschen Bildungsservers. Mein Name ist Michaela Achenbach.

In dieser neuen Folge in der Reihe „Digitalisierung und Organisationsentwicklung“ schauen wir auf die Erwachsenen- und Weiterbildung. Die Digitalisierung beeinflusst Lehr- und Lernformen, Bildungsformate, aber auch Organisationsprozesse. Vor welchen Herausforderungen steht dieser heterogene Bildungssektor, wie kann hier Digitalisierung erfolgreich sein und welche Digitalisierungsstrategie braucht es dazu? Darüber spreche ich mit Regina Egetenmeyer von der Julius-Maximilian Universität Würzburg. Sie ist Professorin für Erwachsenenbildung und Weiterbildung am Institut für Pädagogik und leitet außerdem das BMBF geförderte Projekt DigiEB, welches auf die Gelingensbedingungen der Digitalisierung schaut.

Herzlich willkommen Frau Professorin Egetenmeyer, schön, dass Sie da sind.

Hallo Frau Achenbach.

Frau Egetenmeyer,  allgemein gefragt – vor welchen Herausforderungen stehen die Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung in den kommenden Jahren?

Das ist als allgemeine Frage leider nicht zu beantworten. Das Feld der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist von einer hohen Pluralität geprägt. So vielfältig wie die Einrichtungen sind die Herausforderungen. Es gibt Einrichtungen der Erwachsenenbildung mit Übernachtungsbetrieb, die aufgrund der Kontaktbeschränkungen große Herausforderungen in der Finanzierung haben. Einige Einrichtungen mussten bereits schließen. Problematisch ist hier, dass dies häufig wichtige Orte politischer Bildung sind, deren Bildungsangebot nun verloren geht und nicht einfach durch andere Einrichtungen ersetzt werden kann. Andere Einrichtungen haben Probleme, die notwendige Anzahl an Räumen mieten zu können, die für die Abstandsregeln notwendig sind. Andere Einrichtungen, die vorwiegend berufliche Aufstiegsfortbildung anbieten, und vor allem FachexpertInnen beschäftigen, stehen vor didaktischen Herausforderungen. FachexpertInnen konnten in der Zeit vor Pandemie didaktisch einen starken Fokus auf berufliche Sozialisation legen und ihre Seminare so gestaltet haben, wie sie es selbst als Lernende erlebt haben. Die Nutzung von digitalen Medien stellt eine große didaktische Frage dar, die grundlegend neu gestaltet werden muss. Andere Einrichtungen stehen vor der Herausforderung, wie sie Technik und Software finanzieren, wie sie Medienangebote mit fachlich und didaktisch versiertem Personal entwickeln und dafür ausreichend ausgebildetes Personal erhalten können.

Ihr Projekt DigiEB untersucht die Gelingensbedingungen der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung und beruflichen Weiterbildung auf der Institutions- und Organisationsebene. Es ist geprägt durch einen engen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Welche Vorteile bietet das und wie genau ist Ihre Vorgehensweise?

DigiEB untersucht die Gelingensbedinungen der Digitalisierung aus einer Mehrebenenperspektive. Dies schließt die Ebene der Gesellschaft, Institutionen bzw. Dachorganisationen und Organisationen ebenso ein, wie die Ebene der Angebote und Programme, des Personals und der Lernenden. Für die Untersuchung haben wir ein dialogisches Forschungsverfahren entwickelt, das inspiriert wurde durch die Critical Communicative Method der Forschungsgruppe CREA in Barcelona und die gestaltungsorientierte Bildungsforschung von Tulodziecki/Grafe/Herzig. Unserem Forschungsverfahren liegt die Erfahrung zugrunde, dass die Relevanzen und Perspektiven in Bildungsforschung und Bildungspraxis sehr unterschiedlich sind. Gemeinsame Forschung bedarf des Dialogs, um gegenseitig Relevanzen und Perspektiven kennen zu lernen. Dafür ist ein echtes Interesse an den gegenseitigen Perspektiven notwendig, die Bereitschaft eigene Perspektiven zu hinterfragen und das Bewusstsein, dass über den Dialog immer nur Teile gegenseitiger Perspektiven zugänglich sind. Damit dies gelingt, muss gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Es ist notwendig, dass der Dialog beidseitig und auf Augenhöhe erfolgt. Persönliche Distanzen, die zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis bestehen müssen überwunden werden, um Dialog, Fragen, Hinterfragen und Nichtverstehen möglich zu machen. Was jedoch bleibt sind die inhaltlichen und strukturellen Distanzen, die Gegenstand und Kontext der Forschung darstellen. Erst an dieser Stelle beginnt die Forschung: Indem Fragestellung gemeinsam diskutiert, Erhebungsmerkmale erörtert, Praxisinteressen formuliert und optimale Zugänge zu Daten gemeinsam entwickelt werden. Wir haben die Erfahrung, dass dadurch die Kolleg/inn/en aus der Bildungspraxis im Prozess unmittelbar Veränderungsprozesse anstoßen. Es ist kein Transfer von Wissenschaft in die Bildungspraxis. Der Gewinn der dialogischen Forschung liegt vielmehr darin, dass wir gemeinsam einen Forschungsprozess gehen und Wissenschaft wie Praxis durch den Perspektivwechsel zahlreiche Erkenntnisse für die weitere Arbeit nutzen können. Wir haben als Wissenschaftler/inn/en dadurch Zugang zu Perspektiven und Daten, die unsere Interpretationen theoretisch wie praxisnah begründen können. Neben Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften versuchen wir auch Beiträge in Zeitschriften von Praxisverbänden zu platzieren. Dadurch stehen den Praxispartnern Beiträge zur Verfügung, die sie unmittelbar in ihrem Bildungsalltag nutzen können.

Im Rahmen des BMBF-Metavorhabens „Digitalisierung im Bildungsbereich“ ist ja gerade der 2. Critical Review Band erschienen. Die systematische Forschungssynthese schaut genauso wie Ihr Projekt DigiEB auf die Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen in Zeiten des digitalen Wandels. Für den Sektor Erwachsenenbildung haben Jan Koschorreck und Angelika Gundermann vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung die Bedeutung der Digitalisierung für das Management von Weiterbildungsorganisationen untersucht. Aus den Ergebnissen der Autor*innen ließe sich die These ableiten, dass es eine der jeweiligen Einrichtung angepasste Digitalisierungsstrategie sowie eine Strategie auf übergreifendender Ebene braucht um die Anforderungen der Digitalisierung zu bewältigen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Das bestätigen unseren Daten aus sechs Einrichtungen und zwei Dachverbänden der Erwachsenenbildung und Weiterbildung. Überall dort, wo die Digitalisierung durch die Einrichtungen und Verbände der Erwachsenenbildung/Weiterbildung als gelingend eingeschätzt wurden, lagen diese Strategien vor. Digitalisierung passiert nirgendwo in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung von selbst, nebenbei oder durch eine Einzelperson. Unsere Daten deuten sogar darauf hin, dass für eine gelingende Digitalisierung auch die anderen Ebenen relevant sind: 1. Die Ebene der Gesellschaft durch Staat, Markt und Zivilgesellschaft, 2. Die Ebene der Angebote und Programme, 3. Die Ebene des Personals und 4. Die Ebene der Teilnehmenden. Digitalisierung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung verändert auch die Programme und Angebote in inhaltlicher wie didaktischer Weise. Damit Digitalisierung gelingt, muss das Personal in Gänze auf diesem Weg begleitet und mitgenommen werden. Aber auch Teilnehmende müssen herangeführt werden an die Veränderungen des digitalen Wandels, damit sie Veränderungen als Gestaltungspotential wahrnehmen können und nicht als Veränderungspflicht.

Was gilt es noch zu beachten, damit der digitale Wandel gelingen kann und welche Rahmenbedingungen müssen dafür gegeben sein?

Die Rahmenbedingungen verweisen in unserer Mehrebenenperspektive auf die Ebene der Gesellschaft. Je nach Einrichtung sind hier staatliche, marktbezogene oder zivilgesellschaftliche Akteure relevant. Akteure, die vorwiegend im Bereich des Marktes agieren sind davon abhängig, welche Ressourcen für die Durchführung ihrer Angebote zur Verfügung stehen und wie die Teilnehmenden dafür gewonnen werden können. Diese Ressourcen beziehen sich auf Personal, Räume, Medientechnik und Medienangebote in gleicher Weise. Da Erwachsenenbildung/Weiterbildung wesentlich dynamischerer als andere Bildungsbereiche ist, liegen hier nur für bestimmte Bereiche bereits umfassende Medienangebote (z.B. für den Sprachenbereich) vor. Deshalb ist die zielgruppengenaue Entwicklung von fachlich wie didaktisch exzellenten Medienangeboten eine große Aufgabe des gesamten Bildungsbereiches.

Für Einrichtungen, die im Bereich der Gemeinnützigkeit arbeiten und zu den freien wie kommunalen Träger zählen, stellt die Finanzierung von Medientechnik und didaktischen Medienangeboten zum Teil eine sehr große Herausforderung dar. Es ist dringend notwendig, dass für diesen Bildungsbereich eine finanzielle Unterstützung von Seiten des Bundes zur Verfügung gestellt wird. Es sollte uns als Gesellschaft ein hohes Anliegen sind, dass Menschen sich im Erwachsenenalter weiterbilden. Die Teilnahme an Erwachsenenbildung ist ein Beitrag zur Gesellschaftsentwicklung. Wir sollten als Gesellschaft ein hohes Interesse haben, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Es ist unbedingt sicher zu stellen, dass möglichst viele Mitglieder unserer Gesellschaft an Digitalangeboten teilnehmen können. Ich verstehe diesen Zugang grundlegend notwendig für die Demokratieentwicklung.

Was sind die Hürden? Und wie sind sie zu bewältigen?

Mit Blick auf die Medienangebote sollte kritisch überprüft werden, welche Ressourcen über den freien Markt zur Verfügung gestellt werden und wo die Grenzen dieses Angebot bestehen. Diese Lücken scheinen in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung größer zu sein als in anderen Bildungsbereichen. Hier sollte meines Erachtens geprüft werden, für welche Themen und welche Zielgruppen inhaltlich-didaktische Medienangebote (z.B. Lehrprogramme, digitale Übungen, Lernspiele, intelligente tutorielle Systeme) entwickelt werden sollten, die eine breite Einsatzmöglichkeit erfahren können. Die Verfügbarkeit der Angebote ist m.E. sehr wichtig für die Digitalisierung des Bildungsbereichs insgesamt.

Mit Blick auf die digitale Infrastruktur bei den kommunalen und freien Trägern sind Bund-Ländervereinbarungen notwendig. Dies ist aufgrund der Länderhoheit im Bereich Erwachsenenbildung notwendig. Hier gibt es derzeit positive Entwicklungen. Das Positionspapier der Kultusministerkonferenz zur Initiative Digitale Weiterbildung spricht sich explizit für eine Förderung durch den Bund für die digitale Infrastruktur und Ausstattung der Einrichtungen aus. Dies ist ein wichtiger Schritt, damit die technischen Rahmenbedingungen in den Einrichtungen sichergestellt werden können.

Welche Forschungsfragen treiben Sie im Projekt DigiEB noch um?

Wir sehen im Forschungsprojekt, dass das Gelingen von Digitalisierung vor allem eine didaktische Frage ist, sofern Didaktik als Mehrebenenperspektive betrachtet wird, wie dies viele Kolleg/inn/en in der Erwachsenenbildung tun. Das Gelingen von Digitalisierung hängt von einer guten didaktischen Orchestrierung auf den einzelnen Ebenen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ab. Teilnehmende, Personal, die ganze Organisation ist auf dem Weg der Digitalisierung mitzunehmen. Dabei leiten die unterschiedlichen Voraussetzungen, Einstellungen und Rahmenbedingungen der Teilnehmenden, des Personals und der Organisation.

Wir sehen im Projekt, dass dies an vielen Stellen in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung sehr gut gelingt. Wir bewegen und hier in einem Bildungsbereich, in dem die Existenz von Einrichtungen davon abhängig ist, zielgruppenspezifische Bildungsbedarfe inhaltlicher wie didaktischer Art präzise bestimmen zu können. Die Einrichtungen sind deshalb in einem Dauermodus der Identifizierung von Bedarfen und Veränderungen und der Entwicklung von Anpassungen und Neugestaltungen. Viele Einrichtungen identifizieren hier einen hohen Entwicklungsbedarf, den sie zielgenau angehen. Deshalb habe ich keine Zweifel, dass der Erwachsenenbildung/Weiterbildung die Veränderung gewinnbringend für die Gesellschaft gelingen wird.

Liebe Frau Egetenmeyer, ich danke Ihnen sehr herzlich für die Einblicke in Ihre Forschung, sage allen Zuhörerinnen und Zuhörern danke für Ihre Zeit und Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal bei „Bildung auf die Ohren“.


Dieser Podcast steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden: Michaela Achenbach für Deutscher Bildungsserver



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